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Die Kuba-Hetze eines Schweizer Provinzblattes und was daran wahr ist: nichts!

Kurz vor der Fussball-WM fällt das Bild einer Speerwerferin in der Aargauer Zeitung (Schweiz) vom 10. Juni 2010 besonders auf. Die Athletin ist in der Bewegung festgehalten, wie sie eine «blinde» Granate wirft. Der Kolumnisten-Kommentar: «Yanet Cruz ist Speerwerferin. Dazu Kubanerin. Speere gibt–s nicht, trainieren muss sie trotzdem. Da hatte ihr Trainer die Idee, fürs Training Stahlkugeln auszugeben. Weil nun aber selbst diese Kugeln Mangelware sind, übt Yanet Cruz im Panamericana-Stadion von Havanna mit deaktivierten Handgranaten. In Diktaturen ist Sport immer auch Bataille. Granaten passen also ins Bild. Olympiagold dürfte Yanet trotzdem kaum erringen. Nicht wegen des Öbungsgeräts. Aber wegen Kraftlosigkeit. Denn seit Wochen ist auch Reis Mangelware in Kuba, ein Grundnahrungsmittel. Und Salz. Wieder mal herrscht die »¹Periodo especial»º, Spezialperiode. Wann kommt der Tag, da jemand richtige Granaten schmeisst?»

Am Rande der Internationalen Buchmesse im Februar 2011 ergibt sich für Delegationsteilnehmer des Berliner Büros Buchmesse Havanna unverhofft die Gelegenheit, sich im dem Messegelände nahegelegenen »Estadio Panamericano« mit der Athletin Yanet Cruz zu treffen. Wir zeigen ihr, wie in der Schweiz über sie und ihr Land geschrieben wird. Die eher zurückhaltende Yanet reagiert verwundert, und ihr Kommentar fiel entsprechend lakonisch aus: «El está loco» (Der spinnt), meint sie. Dann erklärt sie, warum die Granatenattrappe verwendet wird: Mit ihrer Handlichkeit lässt sich besser Schnelligkeit trainieren. Und Kraftlosigkeit in Folge mangelnden Essens? Klar fehle immer mal was – wie wohl andernorts auch–, aber über ungenügende Ernährung könne sie sich nicht beklagen. Und übrigens, am nächsten Tag fände ein Auswahlwettkampf für die ALBA-Spiele statt. Da könne man sich einen Eindruck von ihr und dem ganzen Kader im Wettkampfeinsatz verschaffen.

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Yanet Cruz, Speerwerferin aus Kuba: »Der spinnt!« Fotos: Samuel Wanitsch

Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Einen Tag später staunen wir nicht nur über die vielen jungen Talente, auch die Atmosphäre beeindruckt uns. Eine einzige grosse Sportlerfamilie, in der man sich gegenseitig anfeuert und so nebenbei noch einen nationalen Rekord im Stabhochsprung der Damen beklatschen kann. In verschiedenerlei Hinsicht herausragend sind aber ausgerechnet die Speerwerfenden; nicht zu übersehen der amtierende Vizeweltmeister Guillermo Martinez, ein Kraftbündel der Extraklasse. Und dann eben die angeblich so kraftlose Yanet Cruz, Jugend-WM-Dritte 2005. Die erst 23jährige Kubanerin wirft den Speer – und stellt ihren persönlichen Rekord von 62,90m ein. Sie wirft damit gute zehn Meter weiter als die besten und bestens ernährten Schweizerinnen.

Der Kolumnist der Aargauer Zeitung nennt seinen Beitrag: «Was für eine Granate!» Und er fragt ungeduldig nach, wann in Kuba endlich mal jemand richtige Granaten schmeisst.

Am Stand des Berliner Büro Buchmesse in Havanna besuchte uns eine deutsche Journalistin. Sie fragte ausgerechnet uns, ob wir glaubten, dass es in Havanna bald losgehen würde wie in Kairo oder Tunis. Die tatsächlichen Fakten interessieren nicht, der reaktionäre Wunsch, gepaart mit politischer Beschränktheit, doe Revolution und Konterrevolution nicht unterscheiden kann, war hier Vater des Gedankens. Und wenn man nichts verdrehen kann, wird auch gerne einfach mal phantasiert. Zum Glück gibt es aber auch eine Zeitung, in der man aufdecken kann, wie sie das tun.

Samuel Wanitsch

 

Dieser Artikel von Samuel Wanitsch ist in der Tageszeitung «Junge Welt» erschienen.