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In seinem ‘Freidenker-Brief’ vom 18. November 2012 informiert der Deutsche Freidenker-Verband über eine Petition an den deutschen Bundestag, die das verantwortungslose Verhalten der deutschen Regierung im Syrien-Konflikt zum Gegenstand hat. Wir veröffentlichen dieses Dokument nachstehend im vollen Wortlaut (mh/20.11.2012):


Petition an den Deutschen Bundestag

Verantwortungsloses Verhalten der Bundesregierung im Syrien-Konflikt


–Wir erheben Beschwerde dagegen, dass der Bundesminister des Öusseren und
andere Bundesbehörden sich unter Bruch des Völkerrechts und des Deutschen
Grundgesetzes in die inneren Angelegenheiten der Arabischen Republik Syrien
einmischen, insbesondere durch die Unterstützung interner wie externer
Feinde der rechtmäÖigen syrischen Regierung, einschlieÖlich bewaffneter
Gruppen.

Zum Sachverhalt weisen wir darauf hin,

- dass ein Spionageschiff der Bundesmarine vor der syrischen Küste mit Hilfe
akustischer und optischer Sensoren Informationen sammelt, die an die
bewaffneten Gruppen weitergegeben werden;

- dass Saudi-Arabien und Katar, die bewaffnete Gruppen nach Syrien
entsenden, als regionale Militärmächte durch Lieferung deutscher Panzer
gestärkt werden;

- dass der Türkei, von der aus die bewaffneten Gruppen ungehindert nach
Syrien einfallen, offiziell Anerkennung und Solidarität zugesichert wird;

- dass die nach eigener Auskunft überwiegend aus dem Budget des Kanzleramts
finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik Vertreter syrischer
Oppositionsgruppen nach Berlin eingeladen hat, um über –die Zeit nach Assad–
zu beraten.

- dass die Bundesregierung andere Regierungen zu wirtschaftlichen Sanktionen
gegen Syrien drängt, um das syrische Volk in seiner Widerstandskraft gegen
die Aggression zu schwächen und zur Revolte gegen die Regierung zu bewegen;

- dass sich die deutsche Diplomatie offen weigert, gemeinsam mit den
Sicherheitsratsmitgliedern Russland und China und anderen Ländern auf eine
Lösung des inneren Konflikts durch beiderseitigen (!) Gewaltverzicht und
politische Verständigung hinzuwirken.


Diese Handlungen von Bundesbehörden

- stellen in ihrer Gesamtheit eine völkerrechtliche Aggression dar. Denn
nach der Aggressionsdefinition der Resolution der UN-Generalversammlung vom
14. Dezember 1974 ist nicht nur –das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen,
Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder in seinem Namen– als eine
völkerrechtliche Aggression zu bewerten sondern auch eine –wesentliche
Beteiligung–, wie sie sich aus dem gekennzeichneten Sachverhalt ergibt;

- sie verstoÖen daher gegen das Aggressionsverbot (Art. 2 Abs. 4 UN-Charta)
und gegen die Pflicht zu friedlicher Konfliktlösung (Art. 2 Abs. 3
UN-Charta). Sie zeugen von offener Missachtung des Prinzips der souveränen
Gleichheit der Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta) und des Verbots der
Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates (Art. 2
Abs. 7 UN-Charta).

- sie unterminieren somit völkerrechtliche Grundnormen, die nach Art. 25 GG
zu den –allgemeinen Regeln des Völkerrechts– gehören und –Bestandteil des
Bundesrechtes– sind. Das heiÖt: –Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen
Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes–;

- sie missachten schlieÖlich auch das fundamentale Bedürfnis des deutschen
Volkes, in Frieden und Sicherheit zu leben, das darin zum Ausdruck kommt,
dass Artikel 26, Abs. 1 GG bestimmt: "Handlungen, die geeignet sind und in
der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu
stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind
verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen."

II

Zum Charakter des Krieges in Syrien ist von besonderem Interesse, was der syrische Präsident Bashar Al-Assad am 9. November 2012 in einem Interview mit dem russischen Auslandsfernsehen –Russia Today– erklärt hat.(Voller Wortlaut auf Deutsch siehe: http://cooptv.wordpress.com/2012/11/12/baschar-al-assad-leben-und-sterben-in-syrien/ )

Es handele sich, so Assad, um –eine neue Art von Krieg, Terrorismus durch Stellvertreter, entweder Syrer die in Syrien leben oder ausländische Kämpfer, die aus dem Ausland kommen–. Das Problem sei, dass die Terroristen aus den Städten heraus kämpfen, wo Zivilisten anwesend sind. Die syrischen Sicherheitskräfte müssten sich bewusst sein, dass sie Schäden an der Infrastruktur und an der Zivilbevölkerung vermeiden müssen. Aber sie müssten kämpfen, sie könnten nicht zulassen, dass die Terroristen töten und zerstören. Das sei die Schwierigkeit bei dieser Art von Krieg. Und Assad konstatiert weiter: –Zweitens ist die Unterstützung, die den Terroristen in jeder Hinsicht, einschlieÖlich Waffen, Geld und politischer Art geboten wurde, beispiellos.– Es werde daher –ein harter Krieg und ein schwieriger Krieg– werden. Es lasse sich nicht abschätzen, wann der Krieg beendet sein wird, solange unklar ist, –wann der Schmuggel von ausländischen Kämpfern aus verschiedenen Teilen der Welt aufhört, vor allem aus dem nahen Osten und der islamischen Welt–. Ohne diese Unterstützung der Terroristen vom Ausland her könnte Syrien –innerhalb von Wochen alles beenden–. Aber solange die kontinuierliche Versorgung der Terroristen mit Waffen, Logistik und anderem anhält, werde es ein langfristiger Krieg.

Dieser nüchternen Beschreibung der Lage ist nur hinzuzufügen, dass schon jetzt völlig klar ist:

1. Fällt das gegenwärtige Regierungssystem, blüht der syrischen Nation eben genau jener –arabische Frühling–, der gegen die Interessen der Völker von den imperialistischen Mächten in Szene gesetzt worden ist: Das Land würde wie Libyen und vorher Irak und Afghanistan wehrlos dem geostrategischen Verteilungskampf der imperialistischen Mächte ausgeliefert werden. Mit Syrien fiele in der Region das letzte Bollwerk des Säkularismus, der Stabilität und des Zusammenlebens. Schon jetzt sind Christen, Alawiten, Tscherkessen, Schiiten, moderate Sunniten und andere durch terroristische Trupps von Salafisten, Moslembrüdern und Al-Qaeda an Leib und Leben bedroht. Von der zu erwartenden Destabilisierung der Region insgesamt ganz zu schweigen.

2. Hält Syrien dagegen unter der Führung Assads dem Anschlag stand, bedeutet das erstmals einen erheblichen Rückschlag für die westliche Strategie der dauernden Kriege, gewaltsamen Regierungswechsel und neokolonialen Besatzungsregimes. Nachdem vor über zwei Jahrzehnten der Untergang der sozialistischen Staaten Europas die Voraussetzungen für eine nahezu ungebremste imperialistische Expansion schuf, deutet sich nunmehr im Syrien-Krieg an, dass dieser Konflikt als Katalysator der Herausbildung eines neuen multilateralen, multipolaren Gleichgewichts des internationalen Staatensystems wirken könnte. Das zeigt sich am deutlichsten an der selbstbewussteren Haltung Russlands und Chinas sowie anderer Staaten. Verantwortungsbewusste Politiker vieler Länder erkennen, dass dem maÖlosen Vormachtstreben der Länder des Atlantikblocks Schranken gesetzt werden müssen und können.

Die Petition versucht bewusst zu machen, was im Syrien-Konflikt sowohl für das geschundene Land und die ganze Region als auch auf weltpolitischer Ebene auf dem Spiele steht.

III

AbschlieÖend eine Bemerkung zu jenen in der Linken und in der Friedensbewegung, die mit oppositionellen Gruppierungen in Syrien sympathisieren und meinen, durch Parteinahme gegen die Regierung Syriens etwas Positives bewirken zu können.

Mit der Intensivierung der militärischen Operationen des Westens gegen Syrien wachsen die Zweifel. Die Gräueltaten der terroristischen Banden finden inzwischen auch in den Mainstreammedien Beachtung. Auch in offiziellen Kreisen befürchtet man, dass in einem herbeigebomten –anderen Syrien– keine irgendwie modernen oder gar fortschrittlichen Kräfte sondern Salafisten, Al-Qaeda-Gruppen, Wahabisten und andere Akteure des reaktionärsten politischen Islam das Sagen haben würden. Ist es möglich, länger die Augen davor zu verschlieÖen, dass die Zerrüttung der syrischen Gesellschaft durch Sanktionen und Bandenterror, die Zerstörung eines funktionierenden Staatswesens eine “humanitäre Katastrophe” von ungekannten AusmaÖen wäre? Von der Gefahr für den Weltfrieden ganz zu schweigen.

Die Petition, die auf der Einhaltung des Völkerrechts besteht, ist nicht mit der Bemerkung beiseite zu schieben, dass das Völkerrecht doch schon so oft gebrochen worden ist. Gerade in der Syrien-Krise tritt gegenwärtig mit äusserster Klarheit vor Augen, dass die Geltung der völkerrechtlichen Regeln eine grundlegende Bedeutung für die menschliche Zivilisation hat. Und auch folgendes wird klar: Verwirklicht und gesichert werden die Normen des Völkerrechts nicht allein durch allgemeine Rechtsüberzeugung sondern letztlich durch Zwang, der von den Staaten individuell oder kollektiv ausgeübt wird. Daher leistet ein Staat, der wie gegenwärtig Syrien gegen Aggressionshandlungen gemäÖ seinem –naturgegebenen Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung– (Art. 51 UN-Charta) militärische VerteidigungsmaÖnahmen ergreift, auch einen Beitrag dazu, dem Völkerrechtsbruch Schranken zu setzen, d.h. den Respekt völkerrechtlicher Normen zu sichern. Ein solcher Staat hat in dieser (!) Beziehung unbedingten Anspruch auf internationale Solidarität. Wer mit einem angegriffenen Staat und seiner Regierung im Sinne des Rechts der Völker solidarisch ist, handelt grundsätzlich anders als bürgerliche Regierungen, die oft nach dem Motto verfahren –Der Feind meines Feindes ist mein Freund–. Ein Paradebeispiel dafür liefert gegenwärtig die Bundesregierung, die ständig andere Länder in Sachen Menschenrechte belehrt und gegen Syrien ohne jeden Skrupel gemeinsame Sache mit den reaktionärsten Despotien wie Katar und Saudi-Arabien macht. Dieselbe prinzipienlose –Freund-Feind-Logik– den Befürwortern internationaler Solidarität mit Syrien zu unterstellen, ist nichts anderes als ein Totschlagargument. Wer es benutzt, will alle Kräfte, die vom Westen als –Feind– ausgemacht sind, als solidaritätsunwürdig diffamieren, will überhaupt, dass sich fortschrittliche Kräfte von internationaler Solidarität verabschieden, will vergessen machen, dass internationale Solidarität auf der Grundlage der Verteidigung des Völkerrechts Ausdruck der Interessen aller Völker ist, also auch der eigenen Klasse und Nation, weil, wie gesagt, das zivilisierte Zusammenleben der Völker von der Wirksamkeit völkerrechtlicher Normen abhängt.

Die Initiatoren der Petition möchten manchen ihrer Mitstreiter in der Linken und in der Friedensbewegung Folgendes zu bedenken geben: Muss die Gestaltung der Politik Syriens nicht allein der syrischen Nation überlassen bleiben? Ist es moralisch gerechtfertigt und politisch richtig, dieselben Ziele wie die Interventionsmächte, den –Sturz Assads–, –ein anderes Syrien– etc. zu propagieren und zu legitimieren, auch wenn man meint, damit ganz andere Vorstellungen zu verbinden? Ist es nicht vielmehr dringend geboten, gegen das verantwortungslose Verhalten der eigenen Regierung im Syrien-Konflikt politisch Front zu machen, d.h. konkret von der Bundesregierung zu fordern, die Normen des Völkerrechts einzuhalten und die aggressive Einmischung in Syrien zu beenden?

Mit freundlichen GrüÖen
Deutscher Freidenker-Verband e.V


Siehe auch:

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