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Kommunistische Partei der Italienischen Schweiz:

Überlegungen zur gegenwärtigen Entwicklung des Imperialismus


1 – Die Entwicklung der Produktion auf internationaler Ebene hat in den letzten 30 Jahren (und bis in die Gegenwart) tiefgreifende Veränderungen bewirkt, die insbesondere in den Ländern der imperialistischen Zentren (wie der Schweiz) auch die Arbeiterklasse erfassen. Es besteht eine “Arbeiteraristokratie” (Lenin) mit sozialen und ökonomischen Privilegien gegenüber den Werktätigen der peripheren Länder. Ein Wohlstand, der heute durch die Wirtschaftskrise abgetragen wird: dies führt zu politischen Problemen, wie der Annahme von rassistischen, nationalistischen und manchmal sogar kriegsbefürwortenden Optionen von Seiten dieser Schicht des Proletariats.

2 – Die Krise ist tief und systemisch. In die Krise geraten sind die Mechanismen selber der kapitalistischen Akkumulation und Reproduktion, und dies zieht nicht nur die Staaten hinein (durch die öffentliche Verschuldung), sondern überrollt die gesamte Wirtschaft der imperialistischen Triade (USA, EU, Japan). Der Ausweg aus einer solchen Lage wird nach rechts (Autoritarismus und neue Erscheinungsformen von Faschismus) oder nach links (mit Strukturreformen oder Revolutionen) münden. Die Krise kann rasche Umwälzungen hervorrufen, und dies nicht nur auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, sondern auch in den politischen Organisationen und in den staatlichen Institutionen. Ein progressiver Ausgang der Krise wird jedoch völlig davon abhängen, wie die Revolutionäre handeln, wie gut sie organisiert sind, und ob sie es – mit einer der Lage entsprechenden Linie des Herangehens an die Massen – verstehen, die Volksstimmung aufzufangen. Dazu bedarf es einer klaren Strategie, aber einer elastischen Taktik.

3 – Die Krise ist auch politisch und trifft die Grundlagen nicht nur der bürgerlichen Demokratie, sondern auch der friedlichen Koexistenz unter den Nationen; der sozialen Beziehungen, der Stellung der Geschlechter und der Umweltbeziehungen. Das zerstörerische Potential des Kapitalismus zeigte sich bereits in den Widersprüchen der Finanzsphäre, und nun in Form von Kriegsdrohungen. Hieraus geht die Notwendigkeit der sozialistischen Perspektive hervor, im Bewusstsein, dass diese eine lange, von Land zu Land unterschiedliche Übergangsphase bedingt.

4 – Im Fordismus war die soziale Gliederung durch die Konzentration der Arbeiter an einem Arbeitsort, dem Grossbetrieb, geprägt. Hier wurden die sozialen Beziehungen definiert, und hier wurde die Zugehörigkeit zu einem kollektiven Subjekt (der Gewerkschaft oder der Partei) hergestellt. Man interagierte mit dem Territorium, fand Zusammenschluss, entwickelte die Klassensolidarität, usw. Heute hingegen wird die Wohlfahrt abgebaut, und Formen der karitativen und freiwilligen Wohltätigkeit kommen wieder in Mode, um in die Lücken eines Staates in “Austerität” einzuspringen.

5 – Der kapitalistische Strukturwandel zerstückelt die Klassenzusammensetzung, streicht universelle Rechte, indem er diese der Ungleichheit des freien Marktes ausliefert. Das in der Schweiz vorherrschende Denken bevorzugt das neokorporative und klassenübergreifende Modell, das die Gesellschaft unbeweglich macht. Die politische Vertretung der Arbeiterklasse wird durch eine solche Fragmentierung der Gesellschaft erschwert: Damit vervielfachen sich die Angelegenheiten, Arbeitsverträge, Berufsbilder; grosse Migrationen, usw.

6 – Der Kapitalismus ist immer in Entwicklung, denn seine inneren Widersprüche – vor allem der tendenzielle Fall der Profitrate, welcher die Überproduktionskrisen erzeugt – zwingen die Bourgeoisie zur Suche nach “Lösungen”, um an der Macht zu bleiben: man bildet Monopole; man baut den Finanzsektor aus; man zerstört produktive wirtschaftliche Geflechte und die Umwelt; und man tötet Menschenleben durch imperialistische Kriege.

7 – Wenn wir in den Ländern des imperialistischen Zentrums, wie in der Schweiz, eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Werktätigen feststellen, so sind diese immer noch besser als jene der unterworfenen Länder, die vom Imperialismus als Absatzmärkte benutzt werden. Der von der imperialistischen Bourgeoisie durch die Ausbeutung der Peripherie akkumulierte Mehrwert erlaubt ihr eine bescheidene Politik zur Umverteilung des Reichtums im Westen: ein Teil der Arbeiter kommt so in Genuss eines relativen Wohlstands, der allerdings davon rührt, dass andere Arbeiter in anderen Ländern im Ergebnis mehr ausgebeutet werden. Der Zweck, die Werktätigen zu spalten, ist damit erreicht. Die “Arbeiteraristokratie” begreift sich nicht als Klasse, sondern als Ensemble von Individuen, die ihren Lebensstandard bewahren müssen, und dies um jeden Preis. Die tiefe Kluft zwischen dem Arbeiter des imperialistischen Zentrums und dem Arbeiter der Peripherie nimmt Züge an, welche die westliche Arbeiterklasse sogar dazu drängen können, autoritäre Ideen und Kriegstreiberei gegen die eigenen Brüder im Süden der Welt zu unterstützen. Es braucht einen erneuerten Internationalismus, der die Völker einander näher bringt und dem Frieden dient: die imperialistischen Drohungen zum Beispiel gegen Syrien, Venezuela, DVRK, usw. sind eindeutige Botschaften an Russland und China, welche den Expansionismus der USA und der EU bremsen.

8 – Wir leben in einem finanzialisierten Staatskapitalismus: heute ist ein Grossteil der Kapitalmasse fiktiv und wird hauptsächlich geschaffen durch das Mittel der öffentlichen Verschuldung (und die entsprechende Geldschöpfung). Der Begriff “finanzialisiert” rechtfertigt sich auch damit, dass der Grossteil des produzierten Kapitals in der Finanzwirtschaft, und nicht in der Realwirtschaft angewendet wird. Das vom Staat geschaffene Kapital wird alsdann auf unterschiedlichste Weise an die Reichen verschenkt: zum Beispiel in Form von Banken-Rettungsaktionen à fonds perdus. Die Schweiz hat im Jahre 2008 die UBS mit 60 Milliarden gerettet, ohne jede Auflage; in den USA war die grösste Empfängerin von staatlichen Zuwendungen die Goldman Sachs; und – ein Extremfall – in Südzypern wurde das Geld direkt ab den Konten der Bürger eingezogen. Dieser Mechanismus produziert keine Investitionen in der Realökonomie, sondern saugt immer grössere Anteile des effektiv bestehenden Kapitals auf, verhindert so dessen Regenerierung und treibt damit den Prozess der Finanzialisierung voran.

9 – Im finanzialisierten Staatskapitalismus vermindert sich die Progressivität der Steuersätze. Die sogenannten Steuererleichterungen für die Reichen haben Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen, welche zwangsläufig mit der Vermehrung der öffentlichen Schulden gedeckt worden sind. Diese Staatsschulden werden von den Bourgeois gekauft, die bereits die Abzüge auf ihren Steuern geniessen und heute auch von den Zinssätzen profitieren, welche die Allgemeinheit ihnen für den Erwerb der öffentlichen Schulden erbringen muss.

10 – Wir müssen eine eigenständige Leseart der heutigen Wirtschaftskrise vorlegen, wie sie in der Linken noch wenig verbreitet ist. Diese Krise ist in erster Linie eine Krise der Überproduktion von fiktivem Kapital und wird dadurch zur Krise der weltwirtschaftlichen Stellung der USA auf dem Gebiet der Währung. Die Krise des Euro ist demzufolge ein Reflex des Niedergangs der USA als Inhaber der internationalen Referenzvaluta. Die USA werden im Augenblick eingequetscht zwischen der Explosion der eigenen Widersprüche einerseits, und anderseits den aufstrebenden BRICS, deren Entwicklung im Hinblick auf die Schaffung eines Gleichgewichts, von welchem aus die Völker ihre eigenen Befreiungskämpfe entfalten können, positiv zu bewerten ist.

11 – In diesem Zusammengang gilt es ein starkes Denken aufzubauen, das uns befähigt, den Marxismus-Leninismus an die Veränderungen der gegenwärtigen Gesellschaft anzupassen. Ein Wiederaufschwung der kommunistischen Ideale besteht weder in einem zur Farce verkommenden “remake” der Sowjetgesellschaft, noch in einem anti-ideologischen Opportunismus. Man muss wieder dazu zurückkehren, den Marxismus-Leninismus mit dem Alltagsleben der Personen zu verknüpfen. Eine schwierige Aufgabe, die aber zugleich erleichtert wird durch die Verschärfung des Klassenkampfes und der Teilung der Welt in einander entgegengesetzte geopolitische Gruppen. Die fortgeschrittene Rolle des sozialistischen China und der BRICS macht diese zu Hoffnungsträgern für den Frieden!

12 – Was heute in der westlichen Linken fehlt, ist sowohl der strategische Ansatz für den Sozialismus, wie auch ein gesellschaftliches Projekt: notwendig ist die Herstellung einer Volkseinheit zwischen Arbeitern, Studenten, Intellektuellen, Arbeitslosen, Migranten: die Fähigkeit zur Mobilisierung des Schweizer Volkes für die Sicherung der Pensionen gegen die Macht der Manager verdient besondere Würdigung beim Aufbau einer linken Aktionseinheit. Eine ernsthafte kommunistische Partei darf nicht wie eine Sekte von Nostalgikern wahrgenommen werden, sondern muss sich in einer glaubwürdigen Weise zur Verfügung stellen, um einen Prozess von Bündnissen in Gang zu bringen: das leninistische Konzept des “sich von den Reformisten trennen, um sich mit den Reformisten zu verbünden” behält in der Tat immer noch seine Gültigkeit. Auch wenn man für Bündnisse eintritt, muss man die Stärkung der Partei als unabhängiges Subjekt und Avantgarde im Auge behalten. Um unabhängig zu sein, muss man auch eine wirtschaftliche Tätigkeit entwickeln: Die Kommunisten müssen darüber nachdenken, wie sie die wirtschaftliche Arbeit führen, um die Initiative nicht der Bourgeoisie allein zu überlassen. Die Kommunisten müssen ein Projekt der multilateralen (“win-win”) Zusammenarbeit gegen die neo-kolonialistische Abhängigkeit und zur Stärkung der ursprünglichen Kapitalakkumulation (Marx) als Bedingung für den Aufbau des Sozialismus entwickeln. In diesem Bereich will unsere Partei einen Beitrag leisten, gestützt auf die ausgezeichneten Beziehungen mit den sozialistischen und blockfreien Schwellenländern, die im Rahmen einer neuen multipolaren Weltordnung auf geopolitischem und geoökonomischem Gebiet hervortreten.

Quelle: Partito Comunista della Svizzera Italiana (deutsche Fassung: 13. Mai 2014)


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