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Kein Grubenunglück, sondern ein Massenmord

Tabelle 1: Tödliche Arbeitsunfälle pro abgebaute Mio. Tonnen Kohle
Jahr Türkei China USA
2000 7,1 4,08 0,03
2001 7,22 4,11 0,02
2002 6,04 3,98 0,04
2003 9,23 4,06 0,04
2004 5,14 3,03 0,03
2005 5,51 2,72 0,01
2006 2,59 2 0,06
2007 8,02 1,5 0,04
2008 7,22 1,27 0,02
Quelle: China State Administration of Work Safety, U.S. Bureua of Labor Statistics, The United Nations Statistics Division (UNSD) Energy Statistics und Sozialversicherungsanstalt der Türkei

Diese Zahlen zeigen, auf wessen Kosten der vielfach gelobte wirtschaftliche Erfolg der AKP-Regierung geht. Ihre neoliberale Wirtschaftspolitik mit Privatisierungen, Flexibilisierung, Deregulierung, Outsourcing legte den Grundstein für die hohen Wirtschaftwachstumszahlen der letzten Jahre. Ermöglicht wurde diese Entwicklung nicht nur durch die Ausweitung der Ausbeutung, sondern auch durch den rigorosen Abbau von Arbeiter- und Gewerkschaftsrechten unter der AKP-Regierung.

In den vergangenen Jahren hatten Ministerpräsident Erdogan und seine Minister ähnliche Unglücke als “Schicksalsschlag” bezeichnet und die Opfer zu “Märtyrern” erklärt.

Privatisierung führt zu Arbeitsunfällen

Der Unfall in Soma machte jedoch erneut deutlich, dass die wahre Ursache nicht bei einem höheren Wesen, sondern in der Politik zu suchen ist. Der betroffene Betrieb in Soma war bis zu seiner Privatisierung im Jahr 2005 in öffentlicher Hand. Damals wurden die Abbaurechte an einen Privatunternehmer übertragen. Der heutige Konzern-Chef Alp Gürkan protzte in einem Zeitungsinterview vor zwei Jahren mit folgenden Zahlen: “Der Staatsbetrieb produzierte eine Tonne Steinkohle für 130 US-Dollar und schrieb deshalb rote Zahlen. Wir haben die Produktionskosten pro Tonne auf 23,80 US-Dollar reduziert und erwirtschaften Gewinne.” Auf die Frage, wie dieses “Wunder” verwirklicht werden konnte, antwortete er: “Wir setzen den Arbeitsstil der Privatwirtschaft um.”

Konkret bedeutet dieser Stil: Erhöhen des Drucks auf die Belegschaft, Entlassungen, Lohndumping, Einsatz von Leiharbeitern, Sparen an Arbeitsschutz und –sicherheit, Verhindern von Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit u.v.m. Und wenn die Leitungsetage des jeweiligen Unternehmens wie Gürkan gute Beziehungen zur Regierungspartei pflegt, braucht man keine unangekündigten Inspektionen und auch keine Sanktionen wegen Nichteinhaltung von Mindeststandards zu befürchten. So überrascht dann die folgende Tabelle auch niemanden:

Tabelle 2: Tödliche Arbeitsunfälle pro abgebaute Mio. Tonnen Steinkohle
Jahr Staatsbetriebe Privatunternehmen
2000 3,98 59,25
2001 2,12 94,82
2002 3,56 80,38
2003 3,98 229,44
2004 2,66 76,78
2005 6,01 3,91
2006 1,97 3,77
2007 2,98 18,36
2008 4,41 11,51
Quelle: Steinkohlebericht der Türkischen Ingenieur- und Architektenkammer, 2008

Proteste angekündigt

Türkische Medien berichten, dass seit gestern in Soma, aber auch in zahlreichen Insdustriestädten des Landes SicherheitsmaÖnahmen getroffen wurden, um etwaige Protestdemonstrationen zu verhindern. Trotzdem kam es in Kayseri, Mugla, Bursa und vielen anderen Städten zu spontanen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen. Ein Streik der Studierenden an der Universität ODTÖ in Ankara, die mit einem Protestmarsch zum Energieministerium ziehen wollten, wurde von Polizei brutal aufgelöst.

Die Gewerkschaftskonföderationen DISK und KESK sowie Berufsverbände von Ingenieuren und Örzten haben für den morgigen Donnerstag zu einem landesweiten Streik- und Aktionstag aufgerufen. Die Partei der Arbeit (EMEP), Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und andere Organisationen haben ebenfalls zu Protesten aufgerufen.

Auch in Deutschland haben verschiedene Organisationen, darunter die Föderation Demokratischer Arbeitervereine e.V. (DIDF) für heute und die nächsten Tage zu Protest- und Solidaritätsaktionen aufgerufen.

Quelle: tuerkeiaktuell.wordpress.com (14.05.2014)


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