kommunisten.ch

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Vorbemerkung: Wenn es aussieht wie eine Ente, watschelt wie eine Ente, und quakt wie eine Ente, dann ist es vermutlich eine Ente. Wenn man gewisse Verlautbarungen der Kommunistischen Partei Griechenlands und ihres Genossen Georgos Marinos liest, dann sieht das alles so aus, watschelt so und quakt, als hätte man ein klassisches trotzkistisches Elaborat vor sich.[1] Trotzdem verbreiten sich die Thesen der KKE auch in weiteren kommunistischen Parteien und kommunistischen Jugendorganisationen. Aber schon bei der Jungfernfahrt in das Schwarze Meer hat eine der Hauptthesen der KKE Schiffbruch erlitten: die These der Gleichsetzung des westlichen Imperialismus mit dem angeblichen “Imperialismus” Russlands und anderer BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Aus diesem Anlass beginnen wir hier mit einer Artikelserie welche den aktuellen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der kommunistischen Weltbewegung gewidmet ist und Material für eine Debatte zusammentragen soll, die im deutschen Sprachraum erst gerade angefangen hat. Der heutige erste Artikel ist speziell Russland und der russischen Politik in der Ukrainekrise gewidmet.

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Ukraine/Russland:

Die KKE-These über die BRICS-Länder erleidet schon im ersten praktischen Anwendungsfall Schiffbruch

Der Imperialismus ist das höchste und Endstadium in der Entwicklung des Kapitalismus. Es ist der Vorabend der proletarischen Revolution, für die er die nötigen Voraussetzungen schafft. Ein äusserliches Merkmal der Politik des imperialistischen Stadiums ist die zunehmende Aggressivität in der Aussenpolitik. Lenin verweist in seiner Definition des Imperialismus (1915) auf die Tatsache, dass die Aufteilung der Kolonialgebiete um 1900 abgeschlossen war, und dass der Expansionsdrang des Monopolkapitals von nun an auf Kosten konkurrierender Monopolgruppen gegen muss. Ihre Rivalität wird nicht mehr in Form des Wettlaufs um Eroberungen fortgesetzt, sondern als Kampf unter Räubern um die Beuteteilung. Die ungleichmässige Entwicklung des Kapitalismus verschärft sich und erzeugt bei der relativ erstarkten Monopolgruppe neue politische Ansprüche, die mit den bestehenden Machtteilungen nicht vereinbar sind. Der Imperialismus hat die beiden Weltkriege erzeugt und er führt gesetzmässig zu Konflikten, die in Form von Kriegen ausgetragen werden. Die meisten Kriege im imperialistischen Zeitalter richten sich zumindest indirekt gegen Interessen rivalisierender Imperialistengruppen, auch wenn der Hauptschlag gegen ein nichtimperialistisches Land geführt wird.

Aber Lenin hat in seiner Schrift über die “Juniusbroschüre” ausdrücklich auf den Fehler hingewiesen, dem Rosa Luxemburg ihre Genossen unterlagen. In der Junius-Broschüre, die den Spartakus-Briefen voranging, hatte Luxemburg die These vertreten, dass nationale Kriege im Zeitalter des Imperialismus unmöglich seien. Die Berechtigung von Lenins Kritik an dieser These wird durch die seitherige Geschichte vollauf bestätigt. Wie Lenin bei anderer Gelegenheit betont hat, begrenzt sich der Imperialismus auf eine Handvoll stark entwickelter Länder, die gegenüber den schwächeren als Plünderer auftreten und Extraprofite herauspressen. Dabei fragen sich die Herrschenden der imperialistischen Zentren nicht lange, ob es sich beim unterdrückten Land um ein kapitalistisches oder feudales, oder um ein sozialistisches Land handelt, das sie mittels Konterrevolution unter ihre Kontrolle bringen. Es ist absurd zu behaupten, dass der griechische, portugiesische, brasilianische, südafrikanische Kapitalismus imperialistisch seien, weil die Konzentration und Zentralisierung des Kapitals auch in diesen peripheren Ländern vor sich geht. Im Vergleich zur Macht der gigantischen Kapitalballung in den Grossmächten des imperialistischen Blocks (USA/EU/Japan) stehen diese Länder mindestens so weit zurück, wie etwa Serbien, die osmanische Türkei und andere schwächere Länder, die im Ersten Weltkrieg angegriffen wurden, gegenüber Deutschland oder England zurücklagen.

Auch Russland ist kapitalistisch geworden. Der Sieg der Konterrevolution, die zur Auflösung der Sowjetunion und des befreundeten sozialistischen Staatensystems geführt hat, ändert natürlich auch die internationale Korrelation der Klassenkräfte ganz erheblich und hat die Bahn frei gemacht für Offensiven des Imperialismus, da ihm keine starke UdSSR die Stirne bietet. Die Sowjetunion ist von Gorbatschow, und Russland ist von Jelzin an die USA und an die landeseigenen Oligarchen verschachert worden. Staatliche Ömter der zerfallenden Sowjetunion wurden direkt von US-Beamten geleitet. Russland ist noch heute an unvorteilhafte Verträge geknebelt, die Putins Vorgänger mit den Blutsaugern eingegangen waren. Aber unter Putins Führung wurde diese Politik beendet und umgekehrt, und damit der Einfluss der US-Imperialisten in Russland massiv zurückgestutzt. Putin versucht, die Handlungsfreiheit Russlands wiederherzustellen und die Kontrolle über die Bodenschätze und strategische Sektoren in staatliche Hand, oder jedenfalls in russische Hand zu bringen.

Seine Aussenpolitik zur Eindämmung der imperialistischen Expansion (z.B. im Kaukasus, in Syrien, in der Ukraine) wird bekanntlich auch von den russischen Kommunisten unterstützt, die Putin und Medwedew mehrmals aufgefordert haben, den westlichen Zumutungen und den Faschisten noch energischer entgegenzutreten. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) hatte im Jahre 2011 die zögerliche Haltung Moskaus im Libyenkonflikt kritisiert.[2] Wenn nun – die Hypothese dient hier zur Logik der Beweisführung – die russischen Kommunisten morgen Putin ablösen sollten, dann werden sie genau dieselbe Aussenpolitik fortsetzen und allenfalls verschärfen, die heute von der PdA Schweiz und anderen als “imperialistisch” diffamiert wird. Auch hierin verdeutlicht sich die Absurdität der Theorie der Gleichsetzung zwischen den Westmächten, die Russland mit Sanktionen bedrohen und Militärkräfte an seinen Grenzen konzentrieren, und Putins Russland, das sich keinen Illusionen über die westlichen Absichten hingibt, das sich rüsten und auf schlimmeres gefasst machen muss, und dessen Staatsführung eine Politik der ruhigen Hand führt.

Es ist nicht ganz zufällig, dass einige Genossen, die die Rückführung der Krim an Russland als “imperialistisch” kritisiert hatten, einige Wochen später die Argumente wechseln und nunmehr Putin vorwerfen, dass er nicht einschreitet. Genossen mit so tiefsitzenden Aversionen würden vermutlich aus jedem beliebigen Verhalten Putins, egal ob eine Handlung unternimmt oder unterlässt, irgend ein Argument gegen Putin herausziehen. Ebenso sind solche Genossen fähig, aus ihrer verzerrten Lektüre Lenins beliebige Argumente gegen Russland oder andere BRICS-Länder zu zaubern.

Nur wer mit Blindheit geschlagen ist, kann bei der Analyse der heutigen Weltlage verkennen, dass die BRICS-Länder eine Aussenpolitik verfolgen, die sich von der Aussenpolitik des imperialistischen Blocks unter Führung der USA wesentlich unterscheidet und sich dieser aggressiven Politik entgegensetzt und damit den fortschrittlichen und revolutionären Kräften weltweit Spielräume verteidigt und eröffnet. Russland ist weder unser Feind noch der Feind der Ukraine. Unsere Feinde sind die Feinde der ukrainischen Arbeiterklasse und des ukrainischen Volks: die westlichen Imperialisten im Verein mit den einheimischen Oligarchen und Bandera-Faschisten.

Unser Kampf richtet sich schwergewichtig gegen die unerhörte Propagandakampagne der imperialistischen Medien. In diesem Kampf spüren wir einige Rückenschüsse auch aus kommunistischen Parteien. Wie viel schwerer müssen diese Rückenschüsse die Genossen in der Ukraine treffen.

(06.06.2014/mh)

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Fussnoten:

1 Anmerkung vom 7.6.2014: Der erste Satz dieser Vorbemerkung zum Artikel hat dem Autor Kritik von namhaften Seiten eingetragen, die ich hier verdanke und zum Anlass für folgende Klarstellung nehme. Ich will klarstellen, dass ich die KKE für eine in vieler Hinsicht vorbildliche Partei halte, die sich namentlich für den Zusammenhalt der Kommunistischen Weltbewegung und im unermüdlichen Kampf gegen die Opportunisten der Europäischen Linkspartei Lorbeeren geholt hat und der unsere Solidarität gilt. Die hohe Achtung vor der KKE und ihrer heldenmütigen Geschichte – ich erinnere an die Streiks von 1936, den Kampf gegen Metaxas, den Befreiungskampf gegen die Hitlerfaschisten, der im Herbst 1944 in einen Kampf gegen die britischen Besatzer und die monarchofaschistische griechische Reaktion umschlug, den weissen Terror der faschistischen Todesschwadrone, den Bürgerkrieg, der nach schweren Opfern infolge des Verrats durch Tito in einer Niederlage endete und neue Terrorwellen gegen die KKE auslöste, an den Kampf der griechischen Genossen im sowjetischen Exil gegen den Chruschtschow-Revisionismus und die Ereignisse von Taschkent 1955 – enthebt uns nicht von der Pflicht zur kritischen Auseinandersetzung. Mit der Ente ist nicht die KKE gemeint (dies bedarf keiner Klarstellung, es ergibt sich eindeutig aus der Grammatik), sondern die von ihrer internationalen Abteilung unter Gen. Marinos verbreiteten Thesen, die nicht nur im Inhalt an trotzkistische Elaborate erinnern, sondern eben auch in der in der Besserwisserei und Gehässigkeit des Vortrags, in der leeren, phrasenhaften Scholastik. Inhaltlich sind es unbrauchbare Thesen, die sich auch im Kampf gegen den Opportunismus als stumpfe Waffen erweisen und diesem Angriffsflächen bieten und den Manöverspielraum erweitern. Kein Zufall, dass zum Beispiel in der der PdA Schweiz die altgedienten rechten Opportunisten nun plötzlich mit den linksradikalen Anhängern der KKE-Linie zusammen Mehrheiten bilden, dank der “Gleichsetzungstheorie” und auf ihrer Grundlage. Links- und Rechtsopportunismus sind eben nur die beiden Backen ein- und derselben gegen uns gerichteten Zange. Und die Imperialisten schert es wenig, ob wir den linken oder den rechten Opportunisten nacheseln, Hauptsache wir brechen die internationale Solidarität mit den Zielscheiben und Opfern der imperialistischen Aggressionen. Die Achtung vor einer Partei darf uns niemals davon abhalten, vom eigenen Gehirn Gebrauch zu machen. Wenn wir eine berechtigte und wichtige Kritik an den KKE-Thesen unterlassen, wem dienen wir damit? Etwa der KKE? Nein, natürlich dienen wir dann den Rechtsopportunisten, denen die Initiative zur Kritik überlassen wird. Es darf auch kein Denktabu in der Richtung geben, dass eine von Rechtsopportunisten verfochtene Kritik (z.B. an der KKE) a priori falsch sein muss. Keiner darf sich das Denken verbieten aus Angst, dass es ihn zu Ergebnissen bringen könnte, die mit bestimmten Kritiken gewisser Gruppen am rechten Rande der deutschen oder schweizerischen Partei die KKE zusammenfallen. (Marcel Hostettler , 7.6.2014)

2 siehe dazu die Erklärung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF): «Russische Untätigkeit tödlich!»


Siehe auch:


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