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Wie Álvaro Cunhal 1963 gegen Chruschtschow einschreiten musste

Der nachmalige Sowjetbotschafter in Angola, Piotr Evsiukow , der in den 1960er Jahren als Mitarbeiter der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gearbeitet hatte, berichtet in seinen Memoiren von einer Intervention des PCP-Generalsekretärs Álvaro Cunhal aus dem Jahr 1963, welche die Weichen für die Geschichte des südlichen Afrikas stellte:[1]

Fernab von der Hauptstadt auf Krim-Urlaub, empörte sich Nikita Chruschtschow in der ihm eigenen explosiven Art, als er vernahm, dass die Sowjetunion keine diplomatischen Beziehungen zur angolanischen FLNA von Roberto Holden unterhielt, und befahl hau-ruck die diplomatische Anerkennung der “Exil-Regierung” dieser antikommunistischen Gruppierung, und dies ohne Absprache mit der dafür zuständigen Internationalen Abteilung der Partei.

In Moskau fiel nun dem Vizechef der Internationalen Abteilung, Dimitri Petrowitsch Schewliagin die undankbare Aufgabe zu, diesen Sachverhalt dem gerade in der Stadt befindlichen Führer Agostinho Neto der marxistischen Befreiungsbewegung Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA) schonend beizubringen, was natürlich scheitern musste. Evsiukow, der als Übersetzer teilnahm, hielt nach eigenem Bericht die Anerkennung der FLNA für einen Fehlentscheid. Der einzige, der einer Meinung nach imstande war, die Lage noch zu retten, war der portugiesische Kommunistenführer, der über internationales Prestige und gute Beziehungen zu Teilen der sowjetischen Partei verfügte, und der ebenfalls in Moskau weilte. Evsiukow riet Neto, sofort ins ZK-Hotel Arbat zu fahren, um sich mit Cunhal zu treffen und diesen um Intervention zu bitten. Cunhal setzte bald darauf seine Hebel in Bewegung, um Chruschtschows unhaltbaren Entscheid zu vereiteln.

Am Tag darauf erschien in der Prawda statt der allseits erwarteten Meldung über die Anerkennung der FLNA ein Artikel der Internationalen Abteilung mit völlig entgegengesetzter Tendenz, und schliesslich anerkannte die Sowjetunion die MPLA als einzige legitime Vertreterin des angolanischen Volkes. Der Prawda-Artikel war offenbar so brisant, dass die US-Botschaft sich telefonisch beim Aussenministerium nach dem Verfasser erkundigte. Es handelte sich um Evsiukows Vorgesetzten Benjamin Wladimirowitsch Midtsew . Wer dahinter stand, wird die US-Botschaft dabei kaum erfahren haben.

Álvaro Cunhals Gewicht innerhalb der kommunistischen Weltbewegung war nicht zu unterschätzen. Er hatte am Weltkongress 1935 und am Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen, den grössten Teil des Lebens im Untergrund und im Kerker zugebracht, aus dem er 1960 nach elfjähriger Haft zusammen mit einer Handvoll weiterer Genossen ausbrechen und ins Exil fliehen konnte, wo er 1961 die Parteiführung übernahm. Er hat die Kampagnen gegen Stalin und gegen den Personenkult abgelehnt und diejenigen Tendenzen innerhalb der eigenen Partei bekämpft, welche die Schlussfolgerungen des 20. Parteitags der KPdSU auf Portugal übertragen wollten und eine “friedliche Lösung des portugiesischen politischen Problems” propagierten. In einem Interview von 1999 bestätigt Alvaro Cunhal «die direkte Ablehnung der Sowjetführung, als wir 1961 den Kurs auf einen nationalen Aufstand einschlugen.»[2]

Cunhals Bedeutung stieg mit dem Ausbruch der chinesisch-sowjetischen Polemik, in dem er sich mit aller Kraft einsetzte, um den Bruch der kommunistischen Weltbewegung zu verhindern. Auch wenn er Chruschtschow fern stand, hielt Cunhal die Sowjetunion für das unentbehrliche Bollwerk des Sozialismus, von dessen Stärke der Ausgang des Kampfes gegen das imperialistische Lager entscheidend abhing.

(mh/09.10.2015)

1 Die von Evsiukow nicht veröffentlichten Memoiren (Евсюков, Петр Никитович, Мемуары) finden sich auszugsweise zitiert in: Владимир Шубин, Горячая ‘холодная война’: Юг Африки (2013, russisch); sowie in: José Milhazes, Contributos para a história de Portugal (22.05.2006, portugiesisch)

2 Catarina Pires: Cinco Conversas com Alvaro Cunhal (Porto 1999). Siehe Interview-Auszug in: 25 de Abril sempre!


Siehe auch:

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