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Morgenröte in Westasien und der Türkei

Von Doğu Perinçek, Vorsitzender der Patriotischen Partei (Türkei)

Die Länder Westasien einerseits und Russland, Deutschland und China andererseits haben sich nunmehr in einer gemeinsamen Front wiedergefunden. Syrien bildet nun die vorderste Front Eurasiens. Die USA haben eine Niederlage erlitten.

Unter diesen Bedingungen muss die Türkei Stellung in Westasien und Eurasien beziehen, um ihre territoriale Integrität zu bewahren und den Fortschritt auf dem Pfad der kemalistischen Revolution fortzusetzen.

Die Kemalistische Revolution, die im Atlantik in die Knie gezwungen wurde, wird in Asien wieder auferstehen.

Russland zeigt heute nicht nur in Syrien, sondern auch im östlichen Mittelmeer Präsenz. Russland, das in der Ukraine mit den USA in einen Gegensatz geraten ist, wird sich mit ihnen in Syrien nicht einigen. Es liegt keine Übereinkunft vor. Russland hat in Westasien gegen die USA Front bezogen.

Die entstehende Front in Westasien

In Westasien finden sich Syrien, der Irak, der Iran und Russland in einer Front wieder. Auch Deutschland gehört zu dieser Front. Die USA haben das Unternehmen Volkswagen zur Zielscheibe erklärt und damit der deutschen Industrie gegenüber eine Kriegserklärung auf strategischer Ebene ausgesprochen. Berlin hingegen leistet Washington Widerstand. Dieser Widerstand ist nicht auf die Sphäre der Ökonomie beschränkt, sondern tobt auf allen Ebenen.

Die Volksrepublik China hat in ihrer Strategie, die USA auf friedlichem Wege zu überholen, erheblichen Fortschritt erzielt. Und nunmehr bezieht sie auf sieben Kontinenten Stellung auf der Seite jener, die sich gegen US-amerikanische Einmischung wehren. Chinese Politiker haben die Krawatte ausgezogen und die im Westen „Mao-jacke“ genannten Kleider Asiens wieder angezogen. Die Zusammenarbeit zwischen China und Russland schreitet stetig und sicher voran. Einer der bedeutenden, alten Vordenker in Washington, Brzezinski, hatte stets geraten, „Russland gegen China auf die eigene Seite zu ziehen“. Diese Ratschläge haben nichts genutzt.

In der Gänze betrachtet, haben sich die Länder Westasiens und Russland, Deutschland und China in einer gemeinsamen Front gefunden. Syrien ist nunmehr die Vorderfront Eurasiens, mit anderen Worten Europas plus Asiens. Ohne Zweifel umfasst diese vorderste Front die gesamte Region.

Jeder schlägt auf die Marionetten der USA ein

Einige sprechen von „Stellvertreterkrieg“, wir bevorzugen den Ausdruck „Krieg der Marionetten“. Die Länder Westasiens drängen die Marionetten der USA in die Ecke und dreschen auf sie ein, wo sie diese finden. Unter dem Vorwand, „gegen den Islamischen Staat vorzugehen“, bekämpfen alle Staaten die US-Marionetten, die sie jeweils vorfinden. Washington bleibt nichts anderes übrig als die Klage, „nicht der Islamische Staat, sondern unsere Kräfte werden angegriffen“.

Am 24. Juli haben die türkischen Streitkräfte eine Operation gegen die PKK begonnen, welche die USA als „eigene Landstreitkräfte“ bezeichnen. Gegen diese Operation haben die USA keine ernstzunehmende Antwort liefern können.

Nun bombardieren russische Flugzeuge jene Terroristen, welche die USA als „unsere Leute“ bezeichnen. Die USA sind nicht in der Lage, die von ihnen ins Feuer geworfenen Organisationen zu schützen.

Ein neues Zeitalter

Die Kräfteverhältnisse in der Region haben sich verändert. Sogar die Kräfteverhältnisse im Weltmaßstabverändern sich derzeit. Die USA haben in Syrien im Besonderen und in Westasien im Allgemeinen verloren. Und jene, welche die USA für unbesiegbar hielten, haben ebenfalls verloren. Das 500 Jahre alte Atlantische Zeitalter neigt sich seinem Ende zu. Die Welt tritt in das Asiatische Zeitalter ein.

Die Türkei vor ihrem Zeitalter der Modernisierung

Zu Anfang der 2000er Jahre hatte die CIA einen Bericht veröffentlicht, der etwa den Titel „Perspektiven des 21. Jahrhunderts“ trug. Dort hielt der CIA fest, dass die Zukunft der Türkei, ihre Interessen im 21. Jahrhundert im asiatischen Kontinent lagen. Der amerikanische Geheimdienst sah vor, dass die Türkei neben den Ländern Westasiens mit Russland und China die Zusammenarbeit suchen würde. Daher wurde die Türkei auf US-amerikanischem Verlangen hin zum EU-Beitrittskandidaten gemacht und somit an die atlantische Pforte gebunden. Doch jetzt ist es das atlantische Bündnis selbst, das in Stücke fliegt. Die Tatsache, dass die deutsche Kanzlerin Merkel mit den USA zusammen die Erklärung unterschreibt, welche Sorgen vor der russischen Operation in Syrien bekundet, ändert diese neue Wirklichkeit nicht.

Schauen wir uns die Optionen vor der Türkei an, so finden wir nur noch einen Weg, nur noch eine einzige Notwendigkeit: Um ihre territoriale Integrität zu wahren auf dem Pfad Atatürks voranzuschreiten, muss die Türkei Stellung in Westasien und Eurasien beziehen.

Im Atlantischen System ist die Türkei in Schulden versunken, ist sie gespalten worden und in die Fänge von Glaubenssekten und Religionsverkäufern geraten.

Nun wird sie ihre Position in Asien einnehmen und zum Ziel der Modernisierung wieder voranschreiten. Im Atlantik in die Knie gezwungen, wird die Kemalistische Revolution in Asien wiederaufleben.

Der „Kurdische Korridor“ bricht zusammen

Die USA haben nicht die Möglichkeit, die Türkei wieder zurück vor die 90er Jahre zu führen. Mittlerweile stellen die USA selbst eine Bedrohung für die Türkei dar. Die USA haben auch nicht mehr die Möglichkeit, die PKK zu opfern und in den türkisch-amerikanischen Beziehungen in die alten Tage zurückzufinden. Die PKK/PYD ist bereits von allen Seiten aufgeopfert worden. Das US-amerikanische Projekt eines „Kurdischen Korridors“ in Syrien ist mit der Operation der türkischen Streitkräfte und der jüngsten russischen Intervention gescheitert.

Nunmehr ist keine Macht in der Lage, Barzanistan mit dem östlichen Mittelmeer zu verbinden. Im sich wiedervereinigenden Syrien ist ohne Zweifel Platz für Kurden, doch kurdischer Separatismus wird nicht gestattet werden. Russland und Syrien kennen keine andere Option als die Einheit Syriens. Der Dienst der PKK/PYD für den US-israelischen Dienst ist keine Option mehr.

Die USA finden keinen Ausweg
Die Türkei ist in eine Phase getreten, in der die alten Formeln der Herrschaftsgewinnung und Machterhaltung durch Unterstützung der USA nicht mehr gelten. Daher haben die Klageworte der Erdoğans und Davutoğlus gegen die russische Operation keinen politischen Wert.

Die Operation der türkischen Streitkräfte vom 24. Juli hat nicht nur in der inländischen, sondern auch in der regionalen Front ein neuen Zeitalter eingeläutet. Die Türkei bekämpft die US-Marionetten und hat sich damit gegen das Atlantische System erhoben. Die Möglichkeiten der USA, diesen Prozess umzukehren, sind sehr begrenzt. Zweifelsohne ist auch das Abenteuer eine Option, doch solche Schritte würden in die US-Geschichte als „Akte des Wahnsinns“ eingehen. Dass Obama in den vergangenen Tagen in Äußerungen seine Hoffnungen in die „kurdischen Kämpfer“ gesetzt hat, ist Eingeständnis dieser Hoffnungslosigkeit.

Die Türkei muss nicht nur aufgrund ihres Kampfes gegen den separatistischen Terror ihre seitens der USA auferlegten Ketten ablegen, sondern auch, um dem Sumpf der Verschuldung zu entkommen.

Im Rahmen des Atlantischen Systems besteht keine Aussicht darauf, eine Ökonomie der Produktion zu gründen. Heute steht aber auf der Tagesordnung der Türkei erneut jenes „türkische Wunder“ aus den 1930er Jahren. Dieses Wunder wurde unter der Führung Atatürks anhand einer plangeleiteten Mischökonomie erzielt.

Und dieses Modell stellt heute keine Option, sondern den einzigen Ausweg dar.

Die Tagesordnung der Türkei und der Welt

1. Die Türkei wird zur Ökonomie der Produktion übergehen. Die plangeleitete Mischwirtschaft ist bereits in Sichtweite.

2. Die Türkei wird mit ihren Nachbarn Syrien, Irak, Iran, Aserbaidschan und kurz darauf unter Einschluss des Libanon und Ägyptens die Westasiatische Union gründen.

3. Die Türkei wird in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit mit Russland, China, den mittelasiatischen türkischen Republiken und Indien Hand in Hand für den Weltfrieden und für ökonomischen Aufschwung arbeiten.

4. Die Eurasiatische Union aus dem Zusammenschluss von Europa und Asien steht auf der Welttagesordnung.

5. Die USA werden gezwungen sein, die neue Lage in Westasien anzuerkennen. Sie werden nicht umhin können, Politiken zu entwickeln, welche auf der Zusammenarbeit mit den Ländern der Region aufbauen. Versuche jenseits dieses Grundsatzes sind zum Scheitern verurteilt.

6. Die Türkei gelangt zum Ende der Phase, welche von Spaltung innerhalb des Atlantischen Systems und vom Schuldensumpf geprägt war. Die Kollaborateure der USA und die Freunde der PKK werden die Verlierer der kommenden Zeit sein.

7. Unter diesen Bedingungen steht das Programm der Patriotischen Partei auf der Tagesordnung der Türkei. Die Gründung einer Patriotischen Regierung in diesem Prozess kann von keiner Kraft verhindert werden.

Patriotische Partei (Türkei)
Büro für Internationale Beziehungen

Original (türk.): Doğu Perinçek – Batı Asya ve Türkiye’de tanyeri ağarırken, 10.04.2015)


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