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Zur grundlegenden Bedeutung des Kampfes um Aufwertung des kollektiven Arbeitsrechts

Worin liegt die Gewähr für Einhaltung und Erfolg von Massnahmen, wie sie 1917 zur Bekämpfung von Hungersnot und Zerrüttung notwendig, aber von der revolutionär-demokratisch genannten Kerenski-Regierung und ihren Beamten hintertrieben wurde? Sie liegt in der Kontrolle durch die Arbeiterklasse und die betroffenen Volksklassen, sagte Lenin und bestimmte eine Massnahme als grundlegend: die Zusammenfassung der Bevölkerung nach Berufstätigkeiten und Arbeitszweigen.[1] Lenin zählte fünf Konkretisierungen dieser zur Kontrolle über die Kapitalisten grundlegenden Massnahme auf.[2] Solche Wörtchen wie “grundlegend” und “grundsätzlich” gilt es meist mit Vorsicht zu geniessen, denn sie werden oft wahllos gebraucht. In der Folge meinen wir aber mit “grundlegend” nach dem Beispiel Lenins jene Massnahme, die den Grund für das Weitere legt. Unsere heutige Frage richtet sich nach der Bestimmung des grundlegenden Rechts oder eines Kerns von grundlegenden Rechten innerhalb der Arbeiterrechte, sowohl der bestehenden wie derjenigen, die wir von der Bourgeoisie erst einfordern beziehungsweise gegenüber einem bürgerlichen Staatswesen vertreten.

Die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit

Zu den wichtigsten und grundlegendsten Forderungen der Arbeiter gegenüber Staat und Kapital gehört auf dem Gebiet der Arbeiterrechte die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit, insofern sie unmittelbar der Herabsetzung der Ausbeutung dient, was bei Lohnerhöhungen meist nicht der Fall ist, da diese nicht mit dem Wachstum der Produktivität Schritt halten (manchmal auch nicht mit der Teuerung). Die Arbeitszeitverkürzung verhilft dem Arbeiter zu zusätzlicher Freizeit und Mussestunden, die unter anderem seiner politischen Tätigkeit zugute kommen können. Sie bildet eines der kurzfristig besten Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. In der Zeit nach der Oktoberrevolution 1917 erkämpften sich die Arbeiter in vielen Ländern Europas den 8-Stundentag, den sie allerdings nach Abflauen der revolutionären Flut in den folgenden Jahrzehnten kaum verteidigen konnten. Die Niederlage des Faschismus im Zweiten Weltkrieg schuf die Voraussetzungen für neue Errungenschaften auch an der Arbeitszeitfront. In der Bundesrepublik Deutschland der 1960er Jahre erkämpften sich die Arbeiter flächendeckend die 40-Stundenwoche. Nach langen und harten Streikkämpfen ab Ende der ‘70er Jahre mussten führende Grossbetriebe zur 35-Stunden-Woche übergehen. Leider ist es an dieser Front seit den ‘90er Jahren zu zahlreichen Rückschlägen gekommen. In vielen Ländern wurden die Pensionsalter heraufgesetzt und Wochenarbeitszeiten juristisch oder de facto verlängert. In der Schweiz geschieht dies derzeit sehr verbreitet unter dem Vorwand des starken Frankens nach dem Entscheid der Schweizerischen Nationalbank, die Anbindung an den Euro zum starren Kurs von 1,20 SFr./Euro aufzugeben. Vom Sprung des Frankens und dem Gejammer der Exportindustrie über den Entscheid der SNB profitierend, ist es damals vielen Firmen gelungen, die Arbeitszeiten um drei oder vier Stunden pro Woche zu verlängern, oft sogar ohne jeden Lohnausgleich. Und viele von ihnen halten heute an dieser Praxis fest, obwohl der Franken seither wieder beträchtlich an Wert verloren hat und sich schweizerische Produkte im Ausland wieder besser verkaufen.

Koalitionsfreiheit einschliesslich Streikrecht in Bedrängnis

Im Gesamtbereich des Arbeiterrechte ist es das Recht der Arbeiter, die Arbeitsverträge kollektiv auszuhandeln in Verbindung mit dem Streikrecht insofern grundlegend, als es das Mittel für die Erringung und Verteidigung aller weiteren Rechte bildet. Deshalb konzentriert sich die gegenwärtige europa- und weltweite Offensive des Grosskapitals vor allem auf die Zerschlagung und Unterminierung der kollektiven Arbeitsrechte. Gelingt es, diese zu schwächen, so schwächt man damit auch den Widerstand gegen weitere Schritte zur Verschärfung der Ausbeutung mittels Lohnabbau, Arbeitszeitverlängerung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Ein besonderes Gewicht kommt dabei dem (real fehlenden) Streikrecht der am schlechtesten gestellten Arbeitergruppen zu. Darunter fallen alle Immigranten ohne geregelten Status und unter anderem alle unfreiwilligen Teilnehmer von amtlich befohlenen Beschäftigungsprogrammen für Arbeitslose, Behinderte, Asylbewerber, Sozialempfänger und ähnliche Gruppen. Diese unterliegen meistens einem scharfen Sanktionenreglement und riskieren für das geringste Vergehen oder unverschuldet schwere finanzielle Einbussen und Schikanen, wenn sie den amtlichen Weisungen nicht folgen. Vom Organisationsrecht inklusive Streikrecht Gebrauch machen zu können, wäre gerade hier vonnöten.

Bis zum Siegeszug des Neoliberalismus am Ende des letzten Jahrhunderts galten die “sozialpartnerschaftlich” ausgehandelten Arbeitsverträge (Tarifverträge, in der Schweiz: Gesamtarbeitsverträge) weit über ihren engeren Anwendungsbereich hinaus: Neben der Allgemeinverbindlichkeit, die der Bundesrat erklären kann, um den personellen Geltungsbereich eines Kollektivvertrags zwischen Gewerkschaften und Patrons auf die gesamte Branche (auch die Nichtorganisierten) auszudehnen, bestand auch eine Tendenz, die gesamtarbeitsvertraglich festgelegten Löhne und Arbeitsbedingungen als das Branchen- und Ortsübliche zu betrachten, das rechtlich überall dann zum Zuge kommt, wenn ein Vertrag keine spezielle Regelung trifft. Schliesslich sahen viele Städte und Kantone vor, dass sie für die Vergabe ihrer öffentlichen Aufträge nur Offerten von Firmen berücksichtigen, welche die Gesamtarbeitsverträge einhalten. Von dieser Breiten- und Aussenwirkung der Gesamtarbeitsverträge ist heute kaum noch die Spur vorhanden. Noch schlimmer: Verschiedene prominente städtische und Bundesbetriebe sind selbst dazu übergegangen, bei eigenen Bautstellen unterbezahlte Immigranten zu teils katastrophalen Arbeits- und Sicherheitsbedingungen einzusetzen. Dabei zeigt sich, dass die Auslagerung von Aufgaben der Öffentlichen Hand an die Privatwirtschaft ganz allgemein zu wenig kontrolliert wird, und dass besonders der Einsatz von Sub-Unternehmen immer wieder als Mechanismus zur Aushebelung von Arbeiterrechten und Gewerkschaften verwendet wird. Die Bourgeoisie versucht auf allen Ebenen, die Arbeiterrechte mit der Wurzel auszureissen, und ihr Kampf gegen einen bestimmten Streik ist immer auch ein Kampf gegen das Koalitions- und Streikrecht überhaupt. Umgekehrt muss unsere Parole lauten:

Aufwertung des kollektiven Arbeitsrechts als Mutter aller weiteren Arbeiterrechte

Unsere Bundesverfassung anerkennt die Koalitionsfreiheit) nur sehr bedingt. Der entsprechende Artikel 28 lautet: “1 Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie ihre Organisationen haben das Recht, sich zum Schutz ihrer Interessen zusammenzuschliessen, Vereinigungen zu bilden und solchen beizutreten oder fernzubleiben. 2 Streitigkeiten sind nach Möglichkeit durch Verhandlung oder Vermittlung beizulegen. 3 Streik und Aussperrung sind zulässig, wenn sie Arbeitsbeziehungen betreffen und wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen. 4 Das Gesetz kann bestimmten Kategorien von Personen den Streik verbieten. Eine fortgeschrittene Demokratie würde das Streikrecht der Arbeiter uneingeschränkt anerkennen und es ausschliesslich den Arbeitern und ihren Organisationen überlassen zu entscheiden, wann, wie lange und für welchen Zweck sie von diesem Kampfmittel Gebrauch machen wollen. Sie würde die Aussperrung von Arbeitern durch die Kapitalisten ebenso wie die Streikbrecherei illegalisieren. Ferner würde eine fortgeschrittene Demokratie die Einheit der Arbeiterklasse fördern und alles tun, um die Gewerkschaften gegen Einmischungen, Spaltungsversuche, Korruptionsversuche usw. von klassenfremder Seite zu schützen. Selbstverständlich würde die Drittwirkung der Gesamtarbeitsverträge gestärkt, durch eine entsprechende Regelung der Allgemeinverbindlichkeit, durch Verbot der Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Firmen, welche die Tarife nicht einhalten, und wo dies noch nötig sein sollte, durch strafrechtliche Massnahmen gegen Leute, welche hartnäckig gegen das kollektive Arbeitsrecht manövrieren.

(mh/08.11.2015)

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Anmerkungen:

1 Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll (1917) In: W.I. Lenin, Werke, 25, 327-377; Zitat S. 336.

2 (1.) Vereinigung aller Banken zu einer einzigen Bank und staatliche Kontrolle über ihre Operationen oder Nationalisierung der Banken. (2.) Nationalisierung der Syndikate, d. h. der grössten, der monopolistischen Verbände der Kapitalisten (Zucker-, Erdöl-, Kohlen-, Hüttensyndikat usw. (3.) Aufhebung des Geschäftsgeheimnisses. (4.) Zwangssyndizierung (d. h. Zwangsvereinigung in Verbänden) der Industriellen, Kaufleute und Unternehmer überhaupt. (5.) Zwangsvereinigung der Bevölkerung in Konsumgenossenschaften oder Förderung einer solchen Vereinigung und Kontrolle über sie. (Lenin, Werke, 25, 337f.)


Siehe auch:

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