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AI und andere: NGO als Handlanger des Imperialismus

Diana Johnstone in «Die Chaos-Königin»

«Smart Power» heisst schlicht, dass die USA jedes nur erdenkliche Mittel zur Förderung ihrer Welthegemonie einsetzen. In diesem Arsenal ist das wichtigste Konzept der «weichen» Macht mit Sicherheit das der Menschenrechte. Und auf diesem Gebiet ist Suzanne Nossel Spezialistin.

Nossel wurde 1969 geboren und war Geschäftsführerin sowohl von Human Rights Watch als auch des US-Zweigs von Amnesty International. Im Januar 2009 holte Hillary Clinton sie von Human Rights Watch ins Aussenministerium zurück, wo sie zuvor bereits einmal für Richard Holbrooke gearbeitet hatte. Als Ministerialrätin für Internationale Organisationen war sie nun für multilaterale Menschenrechte, humanitäre Angelegenheiten, Frauenfragen, öffentliche Diplomatie, Medienarbeit und die Beziehungen zum Kongress verantwortlich. Zum selben Zeitpunkt traten die USA nach einer langen Periode des Boykotts wieder dem UN-Menschenrechtsrat bei, vor allem, um ihn daran zu hindern, Kritik an Israel zu üben. Stattdessen wollte man ihn dazu bringen, sich auf die Sünden von den USA unliebsamen Ländern oder auf neue Themen, darunter besonders LGTB-Rechte, zu konzentrieren.

Frau Nossel hat seitdem für ihren Einsatz für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen internationale Anerkennung gewonnen und so die USA als Vorhut für die Menschenrechte gegen die zahlreichen traditionellen Gesellschaften der Welt positioniert — besonders gegen die, deren Regimes die USA mittels «Smart Power» in Verlegenheit bringen, isolieren oder sogar stürzen wollen. Nossel spielte eine wichtige Rolle dabei, den Menschenrechtsrat aufgrund von falschen Berichten über bevorstehende Massaker in Libyen zum Handeln zu veranlassen, was dann zum Nato-Bombardement des Landes und zu seiner Zerstörung führte.

Im Januar 2012 verliess Nossel Hillary Clintons Aussenministerium, um als Geschäftsführerin von Amnesty International einen weiteren Dienst für «Smart Power» zu leisten. Es war das Jahr, das durch eine grosse Amnesty-Unterstützungskampagne für Pussy Riot gekennzeichnet war. Das ist vielleicht auch der merkwürdigste Aspekt der Projektion US-amerikanischer «weicher» Macht in den letzten Jahren: die demonstrative Unterstützung von Gruppen junger Frauen, die sich der organisierten Provokation traditioneller moralischer, religiöser oder anderer Verhaltensstandards verschrieben haben.

Es gab einmal eine Organisation namens Amnesty International, die sich der Verteidigung von Gewissensgefangenen überall auf der Welt widmete. Ihr Vorgehen war durch zwei Prinzipien gekennzeichnet, die stark zu ihrem Erfolg beitrugen: Neutralität und Diskretion. Im Kontext des Kalten Krieges achtete Amnesty in diesen frühen Tagen strikt darauf, die Kampagnen gleichmässig auf drei verschiedene ideologische Regionen zu verteilen: den kapitalistischen Westen, den kommunistischen Osten und die Entwicklungsländer im Süden. Die Kampagnen blieben diskret, vermieden ideologische Polemik und konzentrierten sich auf die rechtliche und materielle Situation der Gefangenen. Ihr Ziel bestand nicht darin, die Gefangenen als Vorwand zu benutzen, um gegen eine «feindliche» Regierung zu wettern, sondern darin, Regierungen dazu zu bringen, von der Verfolgung gewaltfreier Dissidenten abzulassen. Amnesty bemühte sich erfolgreich, einen universell zivilisierenden Einfluss auszuüben.

Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Arbeit von Amnesty International komplizierter und schwieriger geworden. Früher befanden sich die meisten «Gewissensgefangenen» entweder im Sowjetblock oder in den diktatorischen US-Satellitenstaaten Lateinamerikas, was die Symmetrie der Arbeit förderte, ohne allzu sehr den Zorn der US-Supermacht zu erregen. Aber besonders seit der Reaktion der Bush-Administration auf den 11. September 2001 sind die USA immer mehr zum notorischsten Kerkermeister der ganzen Welt geworden. Diese Tatsache hat Amnesty als Organisation, die im Kern angloamerikanisch ist, in tiefe Konflikte gestürzt. Zwar protestierte sie gegen abscheuliche Rechtsverstösse wie Guantanamo und die von Folter begleitete Inhaftierung Bradley Mannings, aber diese punktuelle Kritik steht in keinerlei Verhältnis zur summarischen Verurteilung von Regierungen, die von den USA zum Regimewandel ausersehen sind. Im Fall der US-unterstützten «Farbenrevolutionen» werden Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch dazu verleitet, nicht etwa bestimmte politische Gefangene zu verteidigen, sondern ganze Staaten als «Menschenrechtsverletzer» zu brandmarken.

Suzanne Nossels Jahr an der Spitze von Amnesty International war ein Meilenstein bei der US-Machtübernahme in der Organisation. In dieser neuen Phase hat Amnesty (ebenso wie Human Rights Watch und andere westliche «humanitäre» Organisationen) aufgehört, irgendwelche Unterscheidungen zwischen echten Gewissensgefangenen und halb-professionellen Provokateuren zu treffen, deren Aktionen den Zweck verfolgen, Probleme mit den Behörden zu bekommen, um diese dann der Repression zu beschuldigen.

In ihren Bemühungen zur Schwächung und zum Sturz des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic setzte die Clinton-Administration systematisch Techniken ein, wie sie von dem Theoretiker gewaltfreier Aktion Gene Sharp in Massachusetts verfochten werden. So bildeten US-Vertreter in Budapest zum Beispiel eine serbische Jugendgruppe namens «Otpor» (Widerstand), der man die Destabilisierung der Regierung Milosevic’s zur Zeit der von ihm verlorenen Wahl im Jahr 2000 zuschreibt, in diesen Techniken aus. Geboren 1928, liess sich Gene Sharp vom zivilen Ungehorsam diverser Befreiungsbewegungen und antimilitaristischer Gruppen dazu inspirieren, genau die Art von Störaktionen zu systematisieren, die jetzt paradoxerweise Teil des «Soft-Power»-Arsenals der USA geworden sind. Otpor war der erste Stosstrupp der sogenannten «Farbenrevolutionen», die von den USA unterstützt wurden. Das simple Thema dieser Kampagnen ist meist: Der gegenwärtige Führer des Landes «muss weg», und es kümmert wenig, was danach kommt. Da die Kampagnen sich vor allem an die Öffentlichkeit richten, hängt ihr Erfolg von sympathisierenden Medien ab, die nur zu willig sind, provokativen Aktionen Publicity zu verschaffen — Aktionen, die überall sonst auf der Welt als Ruhestörung betrachtet würden, aber in diesem Fall als heldenhafte Herausforderung der Tyrannei gefeiert werden. Solche Gruppen vertreten keine definierbare politische Philosophie und kein Programm ausser dem, die Person an der Macht «loszuwerden», und zwar egal, ob diese Person demokratisch gewählt wurde oder nicht.

Bei dieser Dissidenz scheinen weder Qualität noch Kontext eine Rolle zu spielen. Behörden stehen hier vor dem Problem des Umgangs mit Provokateuren, die absichtlich Rechtsverstösse begehen, um verhaftet zu werden. Verhaftet man sie, geht man in die Falle, verhaftet man sie nicht, kann das zu Beschwerden verärgerter Bürger führen, denen solcher Exhibitionismus nicht gefällt. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Gruppe namens Pussy Riot.

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Auszug aus dem lesenswerten Buch «Die Chaos-Königin – Hillary Clinton und die Aussenpolitik der selbsternannten Weltmacht», Seiten 110 bis 113, erschienen 2016 im Verlag Westend (ISBN 978-3-86489-135-9). Die US-amerikanische Journalistin Diana Johnstone lebt seit vielen Jahren in Paris, wo sie sich seit dem Vietnamkrieg in der Friedensbewegung engagiert.