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Juri Afonin, ZK-Mitglied KPdRF

Die russischen Kommunisten fragen sich: Warum und weshalb bieten Regierungs­kreise Nawalny Gelegenheit zu so einer Show und ermöglichen ihm, aus einer ultra­minder­heit­lichen Position eine Schein-Oppositions­rolle zu spielen. Juri Afonin, Mit­glied des ZK der Kom­munis­tischen Partei der rus­sischen Föde­ra­tion, hat die Fragen in einer Stellung­nahme auf­ge­worfen, deren Inhalt am Fuss dieser Seite zu lesen ist. (Bild: KPdRF)

Wollen Regierungskreise Nawalny zum Oppositionsführer liften?

Gemessen an anderen politischen Demonstrationen in Russland fiel Nawalnys Mobilisierung vom 24. Januar relativ mässig aus. Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die US-Botschaft die Demonstrationen laut angekündigt und die Orte und Zeiten breit veröffentlicht hatte. Dazu hat der Kreml mit dem Publicity-trächtigen Empfang, den er Nawalny bereitet hat, die Mobilisierung des Rückkehrers zusätzlich gefördert. Bei der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation KPdRF fragt man sich indessen, weshalb die Regierung das getan hat. Spielt Putin, oder gewisse Kreise in der Regierung, mit Nawalny und will man ihm als «Oppositionsführer» eine Bedeutung verschaffen, die seinem bescheidenen 2-bis-4%-Anhang niemals gerecht wird, um den Einfluss der KPdRF als wichtigste Oppositionspartei zu mindern?

Laut einer von der Agentur Tass veröffentlichten Depesche betrachtet die russische Regierung die propagandistische Unterstützung der aus gesundheitlichen Gründen verbotetenen Demonstrationen durch die US-Botschaft in Moskau als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. «All dies deckt sich mit den Empfehlungen der Washingtoner Doktrin der Provokation, Demonstrationen in Ländern mit unerwünschten Regierungen zu schüren», sagte der russische Aussenminister Sergei Lawrow. Er wies darauf hin, dass die auf Websites und Netzwerken der US-Botschaft veröffentlichten Informationen, die zu Demonstrationen im Gastland aufriefen, weit über die Zuständigkeit einer Botschaft hinausgingen.

Die Mobilisierung war relativ gering

Nach Angaben der russischen Regierung versammelten sich bei der Hauptdemonstration auf dem Puschkin-Platz in Moskau nur 4000 Menschen, was für eine Stadt mit 12 Millionen Einwohnern nicht viel ist. Und während die westlichen Medien, die die Propaganda der Agenturen der euro-atlantischen Achse aufgreifen, behaupten, dass der ultraminderheitliche Nawalny der «Hauptgegner Putins» sei, ist festzuhalten, dass dieser Aufmarsch meilenweit zurücksteht hinter den Demonstrationen entfernt ist, die vom ersten und wichtigsten Gegner Putins, der Kommunistischen Partei (KPRF), organisiert werden. Zum Beispiel, als sie Putin im Jahr 2018 zum Rückzieher bei seiner Rentenreform zwang.

(Bild PRCF)

Eine Zählung ortskundiger Leute des Pôle de renaissance communiste en France (PRCF) auf der Grundlage zahlreicher Bilder, einschliesslich Luftaufnahmen und Videos, führt zu einer Schätzung von 5000 bis 10 000 Demonstranten, allerhöchstens 20 000, wenn man die von den Demonstranten eingenommene Fläche von etwas mehr als 11 000 Quadratmetern berücksichtigt, ohne von diesen Zahlen die zahlreichen Anpflanzungen und Geräte auf dem Platz abgezogen zu haben. Ein paar Tausend Demonstranten in Moskau, ein paar Zehntausend in ganz Russland, ist dennoch eine ordentliche Mobilisierung, wenn man bedenkt, dass Putins Regierung diese Demonstrationen aus gesundheitlichen Gründen als verboten bezeichnet hatte. Sie hat jedoch nichts getan, um diese zu verhindern. Wie auf vielen Videos der sozialen Medien zu sehen ist, hielten die Ordnungskräfte grösseren Abstand zu den Demonstrierenden. Verhaftungen gab es nur bei Gewaltübergriffen einzelner Demonstrierender. «Man fragt sich in der Tat», schreibt die französische Soziologin und Russlandkennerin Danielle Bleitrach in ihrem Blog «Histoire et Société» im Zusammenhang mit der Rückkehr Nawalnys, «weshalb die russische Regierung eine solche Armada aufstellt.» Entweder verfüge der russische Staatschef im Rahmen der Installation der neuen neokonservativen Teams von Biden «über Informationen, die wir nicht haben, oder es gibt – wie die Kommunisten der KPdRF andeuten – nach ihrer Analyse innerhalb der Staatsmacht einen liberalen Flügel, eine fünfte Kolonne, die die Unterwerfung Russlands vollenden will und die einen Gegner erfindet, indem sie ihn unter der Hand unterstützt.»

Denn, wie die KPRF betont, ist Nawalny ein «Trostteufel, ein falscher Gegner für das russische Kapital, das hinter Putin steht». Im Gegensatz zu den Kommunisten ist er für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems und für die Unterwerfung Russlands unter den US-Imperialismus. Darin liegt wiederum der Unterschied zu Putin. Und es sei in der Tat die bürgerliche Jugend Moskaus und vor allem St. Petersburgs, die mobilisiert zu haben scheint.

Nawalny, ein «junger Jelzin» – prangert die KPdRF an

Alexej Nawalny ist keine politische Persönlichkeit, er repräsentiert amerikanisches Geld in Russland, so der Vorsitzende der grössten Oppositionspartei des Landes, der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation. Gennadi Sjuganow, der den Aktivisten zuvor mit Russlands pro-westlichem Präsidenten der 1990er Jahre, Boris Jelzin, verglichen hatte, warf Nawalny auch vor, nicht sein eigener Chef zu sein: «Ich betrachte [Navalny] nicht als Opposition. Er repräsentiert das amerikanische Finanzkapital,» sagte Sjuganow der Komsomolskaja Prawda am Montag. «Sie präsentieren ihn als grosse Figur, aber das ist nichts anderes als ein Versuch, die russische Realität zu verunglimpfen.» Laut dem Vorsitzenden der Kommunisten ist Nawalny ein Handlanger ausländischer Geheimdienste, um einen Aufstand wie den ukrainischen Majdan von 2014 anzuzetteln: «Er ist nicht sein eigener Chef. Er arbeitet mit erfahrenen Spezialisten zusammen, die schon andere vor ihm gefördert haben.» Nawalny ist «ein junger, aber nüchterner Jelzin».

Die Bemerkung Sjuganows über die «erfahrenen Spezialisten» würde sich mit Erkenntnissen des russischkundigen Betreibers des «Anti-Spiegel», Thomas Röper, decken. Eine Analyse des Films über eine angebliche Prachtsvilla von Wladimir Putin lässt vermuten, dass das Original des Films in englischer Sprache war. Das schliesst er aus mehreren schräg übersetzten Begriffen. Die Vermutung geht dahin, dass der Film während des Aufenthaltes Nawalnys in Deutschland aus Video-Versatzstücken von westlichen Geheimdiensten produziert wurde. Bei der Übersetzung ins Russische waren dann aber die Nawalny-Leute offenbar nicht so auf der Höhe.

Eine Stellungnahme der KPdRF zum Fall Nawalny

Es besteht der Eindruck, dass bestimmte Gruppen an der Macht Nawalny absichtlich zur Hauptfigur der Opposition im Land machen.

Als Kommunisten teilen wir nicht im Geringsten die Ideologie, die von Nawalny und seinen Anhängern vertreten wird. Wir sehen, dass es dieselben liberalen Dogmen sind, die schon unzähliges Unglück über Russland gebracht haben.

Allerdings können wir das Vorgehen der Behörden gegen ihn auch nicht gutheissen. Transporter und Bereitschaftspolizei in Wnukowo führen Nawalnys Unterstützer ab. Die Sperrung der Zufahrtsstrassen zum Flughafen. Änderung des Flughafens, auf dem das Flugzeug aus Berlin landen sollte. Die Verhaftung von Navalny selbst in Scheremetjewo. All dies hinterlässt den Eindruck einer Art gross angelegter Show, die ein Bild von Nawalny als Märtyrer schaffen soll.

Etwas Ähnliches haben wir bereits 2013 gesehen, als Nawalny zum ersten Mal vor Gericht stand, die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn lenkte und dann verurteilt wurde, aber er wurde sofort freigelassen und durfte bei den Moskauer Kommunalwahlen einen Publicity-Gag machen, denn dieser Oppositionsführer schaffte es, durch den kommunalen Filter zu kommen, indem er Unterschriften – von Abgeordneten von «Einiges Russland» – sammelte.

Und heute scheinen wir Zeuge eines weiteren Aufschwungs der Person Nawalnys als führende Oppositionsfigur des Landes zu sein. Es stellt sich also die Frage: Wer macht das und warum?

Die Wahl zwischen Navalny und den Behörden ist eine Sackgasse. Denn ihre Ideologie ist im Wesentlichen dieselbe. Sowohl die Navalisten als auch die aktuelle Regierung sind für den Kapitalismus. Das bestätigt den seit 30 Jahren andauernden Status Russlands als Rohstoffperipherie, Degradierung und Aussterben.

Diese Wahl ohne Wahl wird uns künstlich aufgezwungen. Aber wir sind uns sicher, dass sich unsere Leute nicht täuschen lassen werden. Bei den nächsten Föderationswahlen werden die Wähler die patriotischen linken Kräfte unterstützen, die eine echte Alternative zur Politik der derzeitigen Behörden bieten.

Juri Afonin, Stellvertretender Vorsitzender des Zentralkomitees der KPRF

(Stellungnahme übersetzt von Marianne Dunlop)

Quellen:
→ initiative-communiste.fr, Pôle de renaissance communiste en France
→ Histoire et Soiété, Blog von Danielle Bleitrach
→ Anti-Spiegel

→ siehe auch die Seitenspalte
→ ferner zum Thema: Zur Causa Alexander Nawalny: Cui bono?