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Wörterbuch der Geopolitik: Unipolarismus, Multipolarismus und Multilateralismus

Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Triumph der Verei­nigten Staaten hatte sich eine unipolare Welt durchgesetzt. Mit der Folge, dass ab den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts der Imperialismus fast den ganzen Planeten ungehindert plündern konnte. Bis sich Anfang des 21. Jahrhunderts Russland, China, der Iran und Venezuela auf den Weg machten, dem Unipolarismus eine Multipolarität entgegenzusetzen. Es gibt jedoch noch den Begriff Multilateralismus. Wo ist er einzureihen? DAVIDE ROSSI1 hat in sinistra.ch entlarvt, wie dieser Begriff von der EU zur Tarnung ihrer unipolaren Ausrichtung benutzt wird.

Davide Rossi

von Davide Rossi1

sinistra. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Triumph der Verei­nigten Staaten seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich eine unipolare Welt durchgesetzt. Der Uni­polarismus hat die Charak­teristika des west­lichen Modells, das bereits in den Jahren des Kalten Krieges von 1945 bis 1991 auf den Rest des Planeten angewandt wurde, verschärft. Der Westen hat es für legitim gehalten, die anderen Kontinente aller ener­getischen und nahr­haften Roh­stoffe zu plündern und hat die Nato benutzt, um diese Vor­herr­schaft zu garantieren, jede mögliche Alter­native schlagend, zum Beispiel, wie er die Geburt einer afrika­nischen Bank für die Ent­wick­lung dieses Kontinents verhindert hat, allen auf­strebenden Nationen auf­erlegend, sich den schänd­lichen Darlehen der Weltbank und des Inter­nationalen Währungs­fonds zu unter­werfen.

Das wirtschaftsliberale Modell, der Konsumismus und die kulturelle Gleichschaltung nach den schlimmsten angelsächsischen Vorbildern waren die treibende Kraft hinter einer Vorherrschaft, die weniger als zwanzig Jahre angehalten hat und die den Anspruch hatte, alle anderen Völker und Nationen der Welt durch die Globalisierung zu unterwerfen und den westlichen Interessen unterzuordnen.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich vor allem vier Nationen auf den Weg gemacht: Wladimir Putins Russland, das ein verheerendes Jahrzehnt hinter sich hatte, in dem der Westen buchstäblich alle Reichtümer des Landes gestohlen hatte, während die Bevölkerung hungerte, das von der Kommunistischen Partei geführte Volks-China, die Islamische Republik Iran und das bolivarische Venezuela, das von Präsident Hugo Chavez vorangetrieben wurde, um den Sozialismus des 21. Jahrhunderts aufzubauen, haben eine immer engere wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit begonnen, indem sie sich als alternatives Bündnis für all jene Nationen der Welt vorstellten – ausgehend von Asien, Afrika und Lateinamerika, aber auch Kooperationsprojekte mit einzelnen europäischen Staaten nicht verschmähend –, die eine Entwicklung, ein Wachstum und eine Verbesserung des Lebensstandards ihrer Bürger anstrebten und es für notwendig erachteten, aus einer erstickenden und ausbeuterischen unipolaren Situation herauszukommen. Der Aufbau einer multipolaren und friedlichen Welt war geboren.

Der Multipolarismus basiert hauptsächlich auf der chinesischen Doktrin, im Gegensatz zur amerikanischen, nach der das künftige Wohlergehen des chinesischen Volkes nicht durch eine Raubaktion auf Kosten aller anderen Nationen und Völker gewährleistet werden kann, sondern nur im Rahmen der Zusammenarbeit und des allgemeinen Wachstums und der Verbesserung der Lebensbedingungen der gesamten Menschheit. Die Idee, die sowohl konfuzianisch als auch marxistisch ist, basiert auf der Überzeugung, dass China nur in einer Welt, in der es allen besser geht, weiterhin die führende wirtschaftliche und militärische Macht sein kann, da sonst das Gleichgewicht, das der grösste Mangel der unipolaren Welt ist, fehlen würde.

Der Gegensatz zwischen Unipolarismus und Multipolarismus ist, wenn man die Begriffe kennt, eindeutig und lässt keinen Raum für Zweifel. Aber die mediale Vernebelung macht die Begriffe selbst in den Reden derer, die sie vage verwenden, oft unklar. Die Regierungen der Europäischen Union und die Brüsseler Kommission haben die beiden Begriffe nie verwendet, da sie strukturell an die Unipolarität gebunden und daher gezwungen sind, die von China und Russland vorgeschlagene Multipolarität abzulehnen. Sie haben jedoch in den letzten Jahren den Begriff «Multilateralismus», den einige lateinamerikanische Marxisten immer noch als Synonym für Multipolarismus verwenden, auf geniale Weise neu erfunden. Für die europäischen Regierungen ist Multilateralismus ein Synonym für Unipolarismus, mit dem sie versuchen, gegen jene Nationen und Parteien innerhalb der Europäischen Union zu polemisieren, die versuchen, ihre Bürger vor der rigorosen Politik zu schützen, mit der Brüssel jedes Jahr von neuem drastische Kürzungen der öffentlichen Ausgaben durchsetzt. Europa versucht, das Wort «Multilateralismus» als Synonym für «Kooperation» zu verwenden, aber die Kooperation, die sie vorschlagen, besteht im Zwang, sich den Entscheidungen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank zu unterwerfen, und zwar allen ihren antisozialen Massnahmen. Wenn sie also sagen «multilateral handeln», meinen sie das genaue Gegenteil von «für eine multipolare Welt handeln». In jüngster Zeit machen es die europäischen Regierungen noch schlimmer, indem sie in die Bedeutung des «Multilateralismus» nicht nur die Zumutungen der europäischen Gremien, sondern auch die der Nato einbeziehen, wenn auch unter Vermittlung der Vereinten Nationen. Auf diese Weise wird die Gleichsetzung von Unipolarität und Multilateralismus endgültig und total.

Wladimir Putin und Hugo Chávez, zwei der Architekten des Multipolarismus

Nachdem 2021 Chinesen und Russen, gefolgt von ihren Verbündeten, beschlossen haben, von «Multipolarität» zu sprechen, ist die Bezeichnung «Multilateralismus» nicht nur ein taktisches Mittel. Der Zweck des Multipolarismus ist es wirklich, eine Welt zu erreichen, in der die multilaterale Beteiligung aller Nationen zu gemeinsamen Entscheidungen führt, während diejenigen, die im Westen von Multilateralismus sprechen, die Verteidigung und Konsolidierung des Unipolarismus meinen, d. h. eine Abstimmung ausschliesslich unter den Nato-Staaten. Im Bestreben Chinas und Russlands liegt es hingegen, die Widersprüchlichkeit des vom imperialistischen Lager benutzten Tarnbegriffs im Vergleich zum multipolaren Vorschlag Russlands und Chinas zu entlarven.
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1 Davide Rossi, aus­ge­bil­det als His­to­ri­ker, ist Leh­rer und Jour­na­list. In Mai­land lei­tet er das Stu­dien­zen­trum «An­na Seghers» und ist Mit­glied der Fo­reign Press As­so­cia­tion Mi­lan.

Der Artikel wurde erstmals veröffentlicht am 28. Februar 2021 in sinistra.ch. Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version).