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Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Linke auf der Suche nach ihrer Identität

Zeno Casella

Zeno Casella1

sinistra.ch Die Wahlen in Frankreich rücken immer näher, die Motoren laufen bereits seit einiger Zeit und der Wahlkampf hat begonnen. Die erste Runde der Präsident­schafts­wahlen ist für den 10. April angesetzt und alle Augen richten sich auf das Rennen um den Elysée-Palast, wo der amtierende Präsident Emmanuel Macron hofft, eine weitere Amts­zeit verbringen zu können, obwohl die Bilanz seines ersten Legislatur, von den Franzosen «Quin­quennat» genannt, alles andere als positiv ist. Die Spar­mass­nahmen, die unsozialen Reformen und die Steuer­senkungen für die Super­reichen haben die Proteste im Lande angefacht. Die Gewerk­schaften befinden sich in einem fast un­unter­brochenen Zustand der Auf­lehnung und der Ent­wick­lung auto­nomer Formen der Volks­mobi­li­sierung (wie das Phänomen der «Gilets jaunes»). Die Reaktion des Präsidenten auf die im Lande herr­schende Un­zu­frieden­heit hat die Proteste nur noch verschärft: Abgesehen von einem zu Propaganda­zwecken ein­ge­richteten nationalen «Grand Débat» sah sich das Volk mit einer beispiel­losen Repression kon­frontiert, die durch wieder­holte Behinderungen und schwer­wiegende Skandale (wie die Benalla-Affäre, in deren Folge gegen die rechte Hand des Präsidenten wegen schwerer Gewalt gegen Demonstranten ermittelt wurde) gekenn­zeichnet war.

In diesem brisanten Rahmen (und bis zu einem gewissen Grad förderlich für einen alternativen Diskurs) präsentiert sich die französische Linke bei den Wahlterminen gespalten und mit einer grossen Anzahl von Gegenkandidaten. Dies ist ein neues Szenario im Vergleich zu 2017, als sich zahlreiche fortschrittliche Organisationen hinter der Kandidatur von Jean-Luc Mélenchon (Gründer von «France insoumise») versammelt hatten, der dann nur knapp die zweite Runde verpasste (von der er aufgrund der schuldhaften Strategie der Sozialistischen Partei ausgeschlossen wurde. Sie hatten ihm erforderlichen Stimmen für die Stichwahl nicht zukommen lassen, die dann von Macron gegen Marine Le Pen gewonnen wurde. Eine zersplitterte und zerstrittene Linke also, die keine Chance hat, diese Wahl zu gewinnen: Wir werden weiter unten sehen, warum dieses Szenario nicht unbedingt so schlecht ist, wie es scheinen mag, und in der Tat den Keim für eine Wieder­geburt einer klassen­bewussten Linken in Frankreich ent­halten könnte, in einem Land, wo sie eine erst­klassige Geschichte hat.

Das Rennen ist bereits entschieden: Macron gegen Zemmour oder Le Pen

Bevor wir auf die Kandidaturen der Linken eingehen, lohnt es sich, einen Blick auf das allgemeine Bild zu werfen, das sich im Vorfeld der Präsident­schafts­wahlen im April abzeichnet. Während Macron und Le Pen (die bei der Stichwahl 2017 auf­einander­trafen) in den Umfragen weiterhin in Führung liegen, ist ein drittes Rad im Elysée-Rennen hinzugekommen: der umstrittene Journalist und Essayist Eric Zemmour. Der Kolumnist der konservativen Tages­zeitung «Le Figaro» hat zwar noch nicht offiziell seine Kandidatur für die Präsident­schaft der Republik erklärt, aber er hat sich bereits einen wichtigen Platz in der öffentlichen Debatte erobert: Allein im September erhielt er nicht weniger als 16 Einladungen zu Interviews und Debatten in den grossen nationalen Medien (in der Regel zu publikums­wirk­samen Zeiten), hinzu kommen mehr als 4000 Auftritte in der Printpresse (mit durchschnittlich über 130 Artikeln pro Tag).

Seit Anfang dieses Jahres ist Eric Zemmour auf den Titelseiten der Boulevardpresse zu sehen.

Es handelt sich also um ein echtes Medien­phänomen, das die Verlage geschickt konstruiert und auf der nationalen Bühne verbreitet haben, mit der vorher­seh­baren Absicht, einen konser­vativen Gegen­kandidaten zu Marine Le Pen zu fördern und erneut eine Wahl­dynamik zu entfachen, die auf dem Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Modernität und Obsku­ran­tismus basiert und in der Macron leicht eine zweite Amtszeit gewinnen könnte. Sollte es «schief gehen», könnten die Franzosen immer noch einen rauen, aber un­auf­fälligen konser­vativen Kandidaten wählen, der sicher nicht gegen die Inter­essen der herrschenden Klasse des Landes verstossen würde. Seine Agenda, die sich auf die «Einwanderungsgefahr» und die angebliche «Feminisierung» der Gesellschaft konzentriert (Themen, denen er bereits in der Vergangenheit mehrere Essays gewidmet hat), tangiert keines der für die breiten Schichten des Volkes entscheidenden Themen wie die europäische Integration, die soziale Frage oder die wirtschaftliche Entwicklung.

Obwohl wir bereits 2017 darauf hingewiesen hatten, dass die Alternative zwischen Macron und Le Pen eine Scheinalternative war, die zu keinem fortschrittlichen Bruch führen würde (da beide die Interessen bestimmter Sektoren der französischen Bourgeoisie vertraten und immer noch vertreten), scheint es uns jetzt, dass eine Präsidentschaft von Le Pen wichtige Widersprüche innerhalb der französischen herrschenden Klasse aufbrechen könnte. Die Präsidentschaft Trumps in den USA hat uns gelehrt, dass die Wahl eines «souveränistischen» Führers (um einen von unseren Medien geliebten Begriff zu verwenden) einen starken Konflikt innerhalb der Bourgeoisie auslöst. Deren globalistische Sektoren (d. h. Befürworter der Globalisierung, von der sie enorm profitieren) würden sich an einer Gegenfront zu den «nationalen» Sektoren (deren Interessenschwerpunkt eher die nationale Wirtschaft ist) wiederfinden. Nun, dieses Szenario ist aller Wahrscheinlichkeit nach das, was die herrschende Klasse vermeiden möchte, indem sie ein «Zemmour-Phänomen» fördert, das sie – selbst wenn ihm gelingen sollte, Zugang zum Elysée zu erlangen – leicht kontrollieren könnte, wodurch die Auseinandersetzungen im Land zur Nebensache würden.

Die Strategie scheint sehr gut zu funktionieren: Alle aktuellen Umfragen sehen Zemmour bei den Wählerstimmen weit vorne (ca. 15–18%), hinter Le Pen (19–20%), die derzeit an zweiter Stelle hinter Macron (23–25%) liegt. Die Républicains (Post-Gaullisten) scheinen erneut aus dem Rennen zu sein (wenn auch die Nomination ihres Kandidaten, die auf einem Kongress Anfang Dezember erwartet wird, ihre Kampagne wiederbeleben könnte), ebenso wie die Linke, die es 2017 fast in die zweite Runde geschafft hatte. Jean-Luc Mélenchons damaliger Stimmenanteil von 20% liegt heute nur noch bei etwa 8 bis 10% und damit weit entfernt von einem Vorsprung, der es ihm erlauben würde, in die Stichwahl zu kommen. Die Sozialisten mit der seit 2014 amtierenden Bürgermeisterin von Paris Anne Hidalgo stehen nicht besser da. Die Grünen, die 2017 noch den sozialistischen Kandidaten Benoît Hamon unterstützt hatten, ohne dessen katastrophales Ergebnis von gerade mal 6% beeinflussen zu können, haben diesmal den Europa­abgeordneten Yannick Jadot nominiert. PS und Grüne können nur mit je 5–8% der Stimmen rechnen.

Das Rennen um den Elysée-Sitz scheint bereits entschieden zu sein: Im Wissen um die schlechten Ergebnisse der Macron-Präsidentschaft hat die herrschende Klasse Frankreichs eine «störende» Kandidatur gefördert, die zumindest einen Teil der Protest­stimmen auffangen könnte, die sonst Le Pen zufliessen würden, mit dem Ziel, sie aus dem Wahlkampf zu verdrängen. Sollte die Operation nicht gelingen, wird erneut die «republikanische Front» zum Einsatz kommen, der es (zumindest bisher) immer gelungen ist, den Aufstieg der extremen Rechten einzudämmen und so dem «Präsidenten der Reichen» eine zweite Amtszeit zu sichern.

Mélenchons langsamer Niedergang: Wird die Partei ihren Führer überleben?

«La France insoumise» (LFI), die von Jean-Luc Mélenchon 2016 aus der Asche des «Front de Gauche» (FdG) gegründete Partei (in der sich verschiedene Organisationen der französischen radikalen Linken zusammengeschlossen haben), befindet sich seit langem in einer latenten Krise. Das hervorragende Ergebnis der Präsident­schafts­wahlen 2017 wirkte sich auch positiv auf die begleitenden Parlaments­wahlen aus: France insoumise erhielt im ersten Wahlgang 11% der Stimmen und stellte 17 Abgeordnete, 7 mehr als 2012 (als der Front de Gauche 7% der Stimmen erhalten hatte). Bereits 2018 gibt es jedoch einige interne Reibereien, da einige nationale Führungskräfte die Partei aufgrund des Fehlens einer echten internen Demokratie und der strategischen Linie der nationalen Führung verlassen haben. La France Insoumise ist in der Tat keine normale Partei und wird als Volks­bewegung betrachtet, in der der Anführer Mélenchon eine grosse Ent­scheidungs­freiheit hat, ohne dass es Organe der Konfrontation und der Debatte gibt, in denen sich die verschiedenen Strömungen innerhalb der Organisation gegenüberstehen können. Die von den Medien als «souveränistisch» und «populistisch» bezeichneten Kräfte wurden so an den Rand gedrängt und aus der Partei ausgeschlossen, z. B. Figuren wie Georges Kuzmanovic, der – unter Berufung auf ein republikanisches und patriotisches Engagement – etwa die russische Militär­inter­vention in Syrien unterstützt und dem Vorbild des britischen Brexit zugeblinzelt hatte (hier mehr darüber).

Kurz darauf unterstützte France insoumise trotz anfänglichem Zögern öffentlich die Bewegung der «Gilets jaunes», die im Winter 2018/19 gegen die von der Regierung unter dem Vorwand der ökologischen Wende beschlossenen Preiserhöhungen (insbesondere beim Benzin) auf die Strasse gingen. Bei den Europawahlen im Mai 2019 wurde die Krise der Partei jedoch erneut deutlich: Die von der EU-Befürworterin Manon Aubry angeführte Liste erhielt nur 6% der Stimmen, während die LFI-Führung von 11% ausgegangen war. Die Anfechtung von Mélenchons Linie entfachte sich darauf wieder, mit Kritik von Clémentine Autain auf der einen Seite (die darauf abzielt, eine als «populistisch» definierte Strategie aufzugeben und sich intellektuellen Kreisen an­zu­nähern) und Alexis Corbière auf der anderen Seite (der stattdessen darauf drängt, eine Linie zu stärken, die gerade eine «populistische» Identität beansprucht und den Bezug zur Linken aufgibt). Obwohl man von einem Rückschlag des «obersten Führers» der France insoumise sprach, schien die Krise doch überwunden und die Partei wieder geschlossen hinter seiner für November 2020 angekündigten Kandidatur für das Elysée zu stehen.

Jean-Luc Mélenchon steht seit der Gründung von France insoumise im Jahr 2016 an der Spitze dieser Partei.

Mélenchon, der unter dem Slogan «Union populaire» wie schon 2017 versucht hat, eine Vielzahl von Organisationen hinter sich zu vereinen, tritt erneut mit einer aktualisierten Version seines Programms von vor fünf Jahren an, das den Titel L’Avenir en commun trägt. Wie zu sehen ist, stiess dieser Appell jedoch auf taube Ohren, und die pro-europäische Zweideutigkeit, die France insoumise in den letzten Jahren an den Tag gelegt hat, hat sie vom Rest der linken Klasse isoliert. Die Partei, die es 2017 mit einem mutigen Programm des Bruchs mit neoliberalen Dogmen und den europäischen Verträgen, von denen sie auferlegt werden, geschafft hatte, zu einem Sammel­becken zu werden, scheint nun für einen weiteren Niedergang bestimmt zu sein. Man fragt sich, was Mélenchon nach der Wahl tun wird und ob France insoumise ohne diese Führungsfigur überleben kann: Wie zu beobachten ist, sind die verschiedenen Köpfe, aus denen sich LFI zusammen­setzt, bereits zum internen Kampf bereit, vor allem wenn es um die Führung der Organisation gehen sollte.

Der PCF kehrt mit einer «Flagge-zeigen»-Kandidatur zurück

Die ersten, die sich von dem von Mélenchon vorgeschlagenen «Rassemblement» abwandten, waren die Kommunisten des historischen Parti communiste français, die nach 15 Jahren wieder mit einem eigenen Kandidaten zu den Präsident­schafts­wahlen antreten (die letzte Kandidatur für das Elysée war die von Marie-George Buffet im Jahr 2007, als die Partei 2% der Stimmen erhielt, ein historischer Tiefstand, der die Partei veranlasst hatte, in den folgenden Wahlgängen breitere Bündnisse zu suchen). Die KPF hat beschlossen, ihren Generalsekretär Fabien Roussel als Kandidaten für die Präsident­schaft der Republik aufzustellen.

Seit seiner Wahl an die Spitze der Partei im Jahr 2018 scheint Roussel zu versuchen, die schwere interne Krise zu bewältigen, welche die KPF seit den 1990er Jahren durchläuft. Die euro­kommunistische und liqui­da­torische Führung, die von Robert Hue, Marie-George Buffet und schliesslich Pierre Laurent verkörpert wurde, geriet auf dem 38. Parteitag im Jahr 2018 in die Minderheit. Die von der damaligen Führung vorgeschlagenen Thesen wurden von den Delegierten mehrheitlich abgelehnt. Stattdessen wurde das von den beiden Abgeordneten André Chassaigne, Sprecher der kommunistischen Fraktion in der National­versammlung, und Fabien Roussel, der später zum Generalsekretär gewählt wurde, vorgelegte Alternativ­dokument bevorzugt (Hier mehr darüber). Obwohl es keinen wirklichen Bruch mit der früheren Linie gab (wie es z. B. von der Gruppe «Vive le Parti communiste français» vorgeschlagen und von 8% der Delegierten unterstützt wurde) und sich die Erosion der Wählerbasis unter der neuen Führung fortsetzte, stellten einige Beobachter einen wesentlichen Unterschied zu der von Pierre Laurent im letzten Jahrzehnt vertretenen Ausrichtung fest.

Roussel erinnert an die Identität der 1970er Jahre.

So veröffentlichte die Wochenzeitung «Marianne» im Dezember letzten Jahres einen Artikel mit dem vielsagenden Titel Die Rückkehr des PC der Marchais-Ära?, in Anlehnung an den langjährigen Generalsekretär Georges Marchais, der von 1972 bis 1994 an der Spitze der KPF stand. Die Wieder­aufnahme der Themen Souveränität, Sicherheit und Säkularismus durch den neuen Sekretär hätte die Partei näher an ihre Linie der 1970er und 1980er Jahre herangeführt und sie statt­dessen von der unvorsichtigen Naivität der übrigen Linken distanziert, die diese Themen zugunsten der hämmernden Propaganda der nationalistischen Rechten herunterspielte. Auch bei heiklen Themen wie der Einwanderung nahm Roussel kein Blatt vor den Mund: Im September 2019 hatte er erklärt, er wolle «diese von den liberalen Verträgen Brüssels organisierte Einwanderung stoppen, die die Lohnabhängigen in Konkurrenz zueinander setzt». Auf einer Konferenz über Jean Jaurès in Toulouse erläuterte der neu ernannte Sekretär das politische Projekt, das hinter seiner Führung steht: «Wir wollen die französische Trikolore wieder neben der roten Fahne der Arbeiterbewegung wehen sehen, wir wollen ein Gesellschafts­projekt verteidigen, das den Menschen und den Planeten in den Mittelpunkt stellt, aber auch die Demokratie und die Souveränität des französischen Volkes in den Mittelpunkt seiner Kämpfe stellt!

Roussel vertritt in der Nationalversammlung den industriellen Norden, der unter den Folgen der Globalisierung leidet, und führt daher einen ganz anderen Diskurs als Parteiführer aus Paris (wie Pierre Laurent). Seine Prioritäten sind daher klar: «Es ist sehr dringend, aus diesem Wirtschafts­modell, aus der Logik des Profits, der Kurzfristigkeit auszusteigen und die Verlagerung unserer Industrie zu stoppen». Auch beim Thema Energie ist die Position des KPF-Kandidaten eindeutig: Im Namen der Ökologie und der Dekarbonisierung der Wirtschaft bekräftigt er die Bedeutung des Atomsektors für die Versorgung des Landes und wendet sich gegen die von der Regierung geplante Schliessung zahlreicher Kraftwerke. Roussels Kampagne (bezeichnenderweise mit dem Titel «Le défi des jours heureux», in Anlehnung an das 1944 unterzeichnete gemeinsame Programm der französischen Résistance) unterscheidet sich nicht nur inhaltlich, sondern auch im Stil: Auf die Frage, wie er zur Jagd stehe (eine Praxis, die von Ökologen angefochten wird), verteidigte der PCF-Sekretär die Jäger mit den Worten, er habe «genug von diesen herab­lassenden Intellektuellen, die nie aufhören, uns Lektionen über unsere Lebens­weise und unser Handeln zu erteilen» (Hier mehr darüber).

Der Generalsekretär Fabien Roussel wird der Kandidat der KPF für das Amt des Präsidenten der Republik sein.

Roussel hat auch eine internationale Neuausrichtung der Partei vorangetrieben: Trotz einiger wichtiger Unklarheiten, auf die wir später noch zurückkommen werden, hat der neue Sekretär Positionen vertreten, die in einer Partei, die im Namen eines vereinten Europas einen Grossteil ihrer Geschichte liquidiert hatte, keineswegs selbst­verständlich sind. So verurteilte er beispielsweise die von der Europäischen Kommission gegen Polen verhängte Geldbusse wegen «Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Justiz» aufs Schärfste, bezeichnete sie als «unzulässig» und appellierte an die Achtung der nationalen Parlamente, dem eigentlichen Sitz der Volks­souveränität (Hier mehr darüber). Im Zuge der «U-Boot-Krise» zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten forderte Roussel auch den Austritt seines Landes aus dem Nato-Kommando (dem Nicolas Sarkozy 2009 beigetreten war) und den Ausstieg aus dem Atlantischen Bündnis insgesamt (Hier mehr darüber). Nicht zuletzt hat der neue KPF-Sekretär die Beziehungen zur Kom­munis­tischen Partei Chinas wiederhergestellt, an die er eine Glück­wunsch­botschaft zum hundert­jährigen Bestehen der Partei sandte und dabei an die «lange und reiche gemeinsame Geschichte» der beiden Parteien sowie an die wichtige Rolle der «grossen Führer» der KPCh bei der Modernisierung des Landes erinnerte (hier mehr darüber).

Bei der Kandidatur der KPF handelt es sich also um eine «Präsenz­kandidatur», von der sie weiss, dass sie im Wettbewerb um den Elysée-Sitz derzeit keine Chance hat (die Umfragen sagen Roussel nur 2% der Stimmen voraus). Die Parteiführung will dennoch an ihr festhalten, um ihr Programm wieder in die öffentliche Debatte einzubringen. Fabien Roussel stellte klar: «Wir müssen eine wichtige Rolle spielen, um die Herzen und Köpfe derjenigen zurückzugewinnen, die nicht mehr an uns glauben, die sich verraten fühlen, die sich von einer Linken im Stich gelassen fühlen, die sie nicht mehr träumen lässt». Denjenigen, die ihm vorwerfen, das fort­schritt­liche Lager um jede Chance auf einen Sieg zu bringen, antwortete der kommunistische Sekretär: «Das Problem der Linken ist nicht ihre Spaltung, sondern ihre Schwäche. Es ist klar, dass die Linke, wenn sie sich nicht am grossen Spiel der Ideen beteiligt, wenn sie sich nicht an die Arbeiter­klasse, die Arbeitswelt, die Jugend wendet, weiterhin schwach bleiben wird» (hier mehr darüber).

Ziel Frexit: Der PRCF setzt die Alternative Rouge-Tricolour ein

Diese politische Erneuerung der KPF reicht jedoch noch nicht aus, um den Pôle de Renaissance Communiste en France (PRCF) zu überzeugen, der 2004 nach einer Abspaltung von der KPF gegründet wurde. Die Partei wurde als un­reformier­bar und endgültig kom­pro­mittiert eingeschätzt, da sie sich in eine liqui­da­torische und revisio­nistische Richtung bewegte. Der entscheidende Punkt, der den «Pol für die kommunistische Erneuerung Frankreichs» immer noch von der KPF trennt, ist die europäische Frage (hier mehr darüber): Roussels Kandidatur weicht in der Tat der grundlegenden Frage des Austritts aus dem Euro und der Europäischen Union aus und verharrt in den Illusionen über eine Reform der europäischen Verträge, über die Möglichkeit des Aufbaus eines «sozialen Europas» des Fortschritts und der Solidarität. In seinem kürzlich erschienenen Buch «Ma France» schreibt Roussel klar und deutlich: «Es geht nicht darum, dass wir das Gespenst eines EU-Austritts im Jahr 2022 heraufbeschwören. Ein Frexit würde Frankreich keine Alternative bieten. Wenn wir mit einer Pandemie konfrontiert sind, liegt es in unserem Interesse, zusammenzuarbeiten, anstatt unsere Grenzen für wirtschaftliche, menschliche oder wissen­schaftliche Beziehungen zu schliessen». Aus diesem Grund ist es für den PRCF undenkbar, sich einer solchen Spitzen­kandidatur anzuschliessen, die keine Chance hat, die französischen Volks­schichten zu begeistern.

Ähnlich ist der Diskurs in Bezug auf die Kandidatur von Mélenchon (der vom PRCF 2017, wenn auch kritisch, noch unterstützt wurde). In einem offenen Brief an den Vorsitzenden von France insoumise hat der PRCF auf die grosse Rückständigkeit in der entscheidenden europäischen Frage hingewiesen: Während sich die Europa­abgeordnete Manon Aubry über den Brexit empört und erklärt hat, dass «Robert Schuman Europa auf Solidarität aufgebaut hat», während der Europaabgeordnete Eric Coquerel sagt, er wolle «Europa wieder aufbauen, aber nicht verlassen», wird Mélenchon des schuldhaften Schweigens bezichtigt. Der PRCF verweist auf den erheblichen Wahlrückstand von France insoumise und auf die tiefgreifenden Veränderungen, die sich seit 2017 im Land vollzogen haben (von der weiteren Verschlechterung der Lebens­bedingungen der Arbeitnehmer bis hin zu der bedeutenden Zäsur durch die Gilets-jaunes-Bewegung), die ein politisches Projekt, das sich nicht radikal mit den für die Volksbewegung in Frankreich entscheidenden Fragen auseinandersetzt, zur Ohnmacht führen würde.

Fadi Kassem ist nominierter Sprecher der vom PRCF ins Leben gerufenen Alternative Rouge Tricolore.

Daher hat der PRCF beschlossen, bei den Präsident­schafts­wahlen mit einer eigenen Kandidatur, der des nationalen Sekretärs Fadi Kassem, und einem eigenen Programm unter dem Banner der Alternative Rouge-Tricolore anzutreten: «Die Alternative, die wir bringen, verbindet die Marseillaise und die Internationale, die Trikolore und die rote Fahne, denn nur dieses Bündnis garantiert das Ende der Unterwerfung unter die Europäische Union des Kapitals, den globalisierten Kapitalismus und seine bewaffneten Flügel (wie die Nato)». Mit dem Ziel der vollständigen Wieder­erlangung der nationalen Souveränität und der Souveränität des Volkes fordert der PRCF daher den Austritt aus dem Euro, der EU und der Nato (mit einem so genannten «progressiven Frexit») sowie ein ehrgeiziges Pro­gramm von Ver­staat­lichungen, die Verteidigung der öffent­lichen Dienste und die Wieder­her­stellung eines starken und umfassenden Wohlfahrts­staates.

Eine Kampagne zum Wiederaufbau von Organisationen des Klassenkampfes?

Auch wenn sie gespalten ist, kann man nicht behaupten, dass es der französischen Linken an Ideen und Argumenten mangelt: Die Nuancen, Prioritäten und Strategien sind sicherlich unterschiedlich, aber was interessant ist, ist der Kampf­geist, mit dem die verschiedenen französischen kommunistischen Organisationen auf den Wahltermin zusteuern. Ohne das Risiko eines enttäuschenden Ergebnisses zu fürchten, wagen sie sich auf das Terrain zurück, ihre Ansichten bekannt zu machen und ihre Militants zu mobilisieren, um wieder mit ihrer sozialen Basis in Kontakt zu kommen. Auch wenn, wie gesagt, in diesem Wahlgang bereits alles (oder fast alles) entschieden zu sein scheint und die Linke nicht auf ein grossartiges Ergebnis hoffen kann, so ist es doch beruhigend festzustellen, dass die französischen kom­munis­tischen Organisationen – trotz den Spaltungen – motiviert sind, diese Gelegenheit zu nutzen, um vor Ort und in der Gesellschaft Fuss zu fassen: Unserer Meinung nach kann nur auf einem solchen Weg, auch wenn er lang und kompliziert ist, eine kämpferische Bewegung wiedererstehen, die in der Lage ist, sich den Heraus­forderungen der Zukunft zu stellen und wieder eine führende Rolle auf der nationalen politischen Bühne anzustreben.
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1 Zeno Casella, geboren 1996, ist Gemeinderats­mitglied für die Kommunistische Partei in Capriasca. Von 2015 bis 2020 war er Koordinator der Unabhängigen Studenten- und Lehrlings­vereinigung (SISA).
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Der Artikel ist am 11. November 2021 auf sinistra.ch erstmals erschienen. Übersetzt mit Hilfe von www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version).