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Die neue Weltordnung wird multipolar sein. Bei aller Zuversicht: Die Kriegsgefahr steigt aufgrund des von den USA initiierten Wettrüstens. Eine starke Friedensbewegung gegen Hochrüstung und Krieg, unabhängig von weltanschaulicher und religiöser Orientierung, tut Not.

Geopolitik 24 Jahre später: Grund zu Optimismus

Heute gibt es wieder mehr Grund «zur Zuversicht und zum Optimismus, dass es in absehbarer Zukunft gelingen wird, eine post-imperialistische, post-kapitalistische neue Weltordnung zu schaffen». Das ist das Fazit, das STEFAN HOFER an der 1.-Mai-Vorfeier der PdA Basel in seinem Vortrag über die geopolitische Lage ziehen konnte. Das hatte bei gleicher Gelegenheit 24 Jahre früher – kurz nach dem Nato-Überfall auf Jugoslawien – völlig anders ausgesehen.

An der 1.-Mai-Vorfeier vor 24 Jahren im Jahr 1999 habe ich die Ansprache gehalten unter der Überschrift «Die Welt 10 Jahre nach dem Ende des real existierenden Sozialismus».

In Bezug auf die Weltlage nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe ich in diesem Vortrag wörtlich gesagt:

«Wir haben völlige neue globale Machtverhältnisse. Es gibt keine reale Gegenmacht mehr gegen die geballte Macht des Systems der kapitalistisch-imperialistischen Staaten (USA, OECD, EU, Nato). Die USA beherrschen mit ihren Verbündeten (Nato) die Welt. Sie haben den Staaten und Völkern unmissverständlich deutlich gemacht, wo es jetzt lang geht und was passiert, wenn ein Land eine Politik macht, die den Macht- und Wirtschaftsinteressen der westlichen Welt und insbesondere der Vereinigten Staaten zuwider läuft. Mit dem Golfkrieg haben die USA ein Zeichen gesetzt für den Beginn einer neuen Ära nach der Niederlage im Vietnam-Krieg. Die USA wollten diesen Golfkrieg führen, um den Völkern der Welt deutlich zu machen, was es für Folgen haben kann, wenn man nicht bereit ist, sich den Macht- und Wirtschaftsinteressen der USA zu unterwerfen.

Ein weiteres Kapitel in der historischen Epoche, die durch den Untergang des real existierenden Sozialismus eingeleitet worden ist, ist der Krieg, der von der Nato gegen Jugoslawien geführt wurde. In diesem Krieg ging es nicht um die Rechte und die Autonomie und den Schutz der albanischen Minderheit in Jugoslawien, sondern darum, das letzte Regime in Europa zu Fall zu bringen, das sich noch nicht vollständig dem Machtsystem des Westens untergeordnet hat und noch nicht vorbehaltlos die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung akzeptiert und übernommen hat.»

Zu Russland, wo damals Boris Jelzin Präsident war und die Politik bestimmte, habe ich gesagt:

«Die Sowjetunion existiert nicht mehr. Russland ist praktisch abgemeldet als Machtfaktor auf der Bühne der Weltpolitik. Die Demütigung Russlands wurde vorgeführt im Jugoslawien-Krieg. Während die Nato völkerrechtswidrig Jugoslawien bombardierte, wurden russische Öltanker daran gehindert, jugoslawische Häfen anzulaufen und Öl an Jugoslawien zu liefern – nicht einmal Öl, von der Lieferung moderner Waffen ganz zu schweigen.

Es gibt keine Konkurrenz der Systeme mehr, die auch den Westen dazu gezwungen hat, auf die Interessen der Entwicklungsländer etwas mehr Rücksicht zu nehmen, um dem Einfluss der Sowjetunion in diesen Ländern entgegenzuwirken.»

Zur Rolle der Volksrepublik China in der Weltpolitik habe ich damals ausgeführt (ich zitiere wieder wörtlich):

«Was für eine Rolle spielt die Volksrepublik China in der neuen Weltordnung nach dem Untergang der Sowjetunion? Dazu müssen wir leider feststellen, dass China keine internationalistische anti-imperialistische Politik macht. Von China geht keine wesentliche Unterstützung der Kräfte aus, die sich der Weltherrschaft der USA widersetzen. China leistet auch keinen konsequenten Einsatz für eine neue Weltwirtschaftsordnung. Die Volksrepublik China hat die Weltordnung unter der Dominanz der USA und ihrer Verbündeten akzeptiert und versucht, sich in dieser Weltordnung einen möglichst guten Platz zu erkämpfen. Dank seiner Grösse und der daraus hervorgehenden Macht hat China eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den USA. Vor allem die wirtschaftlichen Interessen der Staaten des Westens in China und im Handel mit China beeinflussen massgebend die Haltung der USA. Gegen China wird kein Druck ausgeübt wie z. B. gegenüber Kuba, obwohl die Menschenrechtslage nach den Massstäben der westlichen Welt dort nicht besser ist als z. B. in Kuba. Der Westen verfolgt gegenüber China eine Art Umarmungsstrategie, verbunden mit der Hoffnung auf zunehmende Verselbständigung des chinesischen Kapitals gegenüber dem Einfluss von Staat und Partei und zunehmender Geltendmachung und Durchsetzung der Interessen des Kapitals mit der Folge einer Untergrabung der Macht der Kommunistischen Partei und einer Schwächung der Institutionen des sozialistischen Staates.

Wenn die VR China den ihr zukommenden Platz in der Weltwirtschaft fordert und zu erkämpfen versucht, ist das aus unserer Sicht als positiv einzuschätzen, weil tendenziell gegen die Privilegien des Westens, gegen die Vorherrschaft des Westens gerichtet.

Es gibt heute in der Welt leider nur noch zwei sozialistische Staaten, mit denen wir uns solidarisieren können und müssen: Kuba und Vietnam. Diese beiden Länder haben es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer europäischen Verbündeten sehr schwer. Ob Kuba sich langfristig gegen den brutalen Würgegriff der USA behaupten kann, ist fraglich.

Die internationale Lage ist leider ziemlich trostlos.»

Geschlossen habe ich dann mein Referat mit folgenden Worten:

«Weil unter den Bedingungen des imperialistischen Weltkapitalismus die grossen Probleme der Menschheit nicht gepackt werden können und weil wir nicht fatalistisch zuschauen wollen und können, wie die Menschheit in der Barbarei versinkt, wollen und müssen wir den Kampf gegen den Imperialismus, gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg mit den uns gegebenen Möglichkeiten weiterführen, auch unter sehr schwierigen Bedingungen, und obwohl vorläufig kaum ein Silberstreifen am Horizont zu erkennen ist.

In Zukunft werden sich hoffentlich neue Kräfte formieren und organisieren und neue Bündnisse ergeben, die unserem Kampf wieder Hoffnung und Perspektive geben.»

Und wie sieht es heute 24 Jahre später in der Welt aus? Wie haben sich die geopolitischen Kräfteverhältnisse seither entwickelt?

Die vor 24 Jahren ausgesprochene Hoffnung, dass sich neue Kräfte formieren und organisieren werden und dass sich neue Allianzen ergeben werden, die unserem Kampf wieder Perspektive und Zuversicht geben, hat sich erfüllt.

In der VR China hat mit _Xi Jinping_, der seit 2012 an der Spitze der chinesischen KP und des chinesischen Staates steht, eine geostrategische Neuausrichtung der Politik im internationalistischen, anti-imperialistischen Sinne stattgefunden, was im Westen und insbesondere in den USA mit Missfallen und Sorge registriert worden ist, weil die neue Politik der VR China darauf gerichtet ist, die globale Hegemonie der USA und des Westens zu brechen und eine neue multipolare Weltordnung zu etablieren.

Dementsprechend haben die USA ihre Haltung gegenüber der VR China grundlegend geändert. Ihre Politik ist darauf orientiert, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und das Erstarken der Wirtschaft der Volksrepublik China zu sabotieren. Sie versuchen Allianzen zu organisieren, um den rasch wachsenden Einfluss der Volksrepublik China in der Welt einzudämmen.

Diese neue feindselige Haltung der USA, des Westens der VR China gegenüber findet auch ihren Niederschlag in der Berichterstattung der westlichen Mainstream-Medien über die Volksrepublik China. Die westlichen Medien, die, zurzeit als China eine militant gegen die Sowjetunion gerichtete Aussenpolitik machte, mit wohlwollendem Interesse über China berichteten, obwohl es damals um die persönliche Freiheit und um den Wohlstand der Bürger der Volksrepublik China schlechter bestellt war als heute, berichten heute über die Volksrepublik China als aggressiver, undemokratischer, freiheitsfeindlicher, die Menschenrechte missachtender Staat.

Die Volksrepublik China versteht sich als Staat, der das Ziel anstrebt, bis in einigen Jahrzehnten eine entwickelte sozialistische Gesellschaftsordnung zu schaffen. Bis zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik (im Jahr 2049) sollen die materiellen Grundlagen einer sozialistischen Gesellschaftsordnung geschaffen werden. China ist auf dem Weg zum Sozialismus.

Wenn in der gegenwärtigen Entwicklungsetappe durch eine planwirtschaftlich gelenkte Marktwirtschaft mit einem bedeutenden privatwirtschaftlich-kapitalistischen Sektor die bestmögliche Entwicklung der Produktivkräfte erreicht werden kann, ist das für China der richtige Weg zur Schaffung der materiellen Grundlagen einer sozialistischen Gesellschaft in historisch kurzer Zeit.

In den vergangenen Jahren hat denn auch die Volksrepublik China bereits grossartige Verbesserungen der Lebensverhältnisse der Bevölkerung erreicht. So wurden zwischen 1991 und 2020 800 Millionen Menschen aus der Armut geholt. Bis in wenigen Jahren wird in China die Armut besiegt sein. Wenn heute die Statistiken einen Rückgang der weltweiten Armut ausweisen, ist dies in erster Linie das Ergebnis der erfolgreichen Armutsbekämpfung in der Volksrepublik China.

Uli Sigg, der von 1995 bis 1998 als Schweizer Botschafter in der Volksrepublik China geamtet hat und als profunder China-Kenner anerkannt ist, hat in der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. September 2021 geschrieben: «Eine Mehrheit in China – wie umfänglich auch immer – hält die Führung durch die Kommunistische Partei mit Präsident Xi an der Spitze für die derzeit geeignetste Regierungsform. Sie sieht die Partei zur Führung in jeder Hinsicht legitimiert … 73% der Bevölkerung sagen, dass ihr Land demokratisch sei – in den USA sind das nur 49%.»

Von niemandem, der die Volksrepublik China kennt, werden diese Feststellungen ernsthaft bezweifelt. Die Politik der Volksrepublik China wird vom Volk getragen und ist somit demokratisch legitimiert.

Richtig ist, dass das chinesische Demokratie-Modell sich unterscheidet vom westlichen Demokratie-Modell, aber die Geschichte wird zeigen, dass verschiedene Demokratie-Modelle zu echter Volksherrschaft führen können.

Die Entwicklung der Wirtschaft der Volksrepublik China in den letzten Jahrzehnten ist einmalig in der Weltgeschichte. Ein Vergleich mit kapitalistischen Volkswirtschaften, die bezüglich des Wirtschaftswachstums Spitzenwerte erreicht haben (USA, Deutschland, Japan) beweist die Einmaligkeit dieser Entwicklung. Damit hat die Volksrepublik China das neoliberale Dogma, dass sich die Wirtschaft nur optimal entwickelt, wenn es keine staatlichen Industrie-Unternehmungen gibt und der Staat nicht regulierend und lenkend in die Entwicklung der Wirtschaft eingreift, eindrücklich widerlegt.

Auch in Russland haben seit dem Ende der Ära Jelzin als positiv einzuschätzende Entwicklungen stattgefunden.

Das nicht mehr sozialistische Russland ist unter Putin nicht mehr bereit, eine globale Hegemonie der USA zu akzeptieren und sich als Junior-Partner in das US-dominierte westliche Staatensystem einzuordnen bzw. sich den USA unterzuordnen mit der Folge, dass seither vom Westen versucht wird, Russland als autoritäre undemokratische Macht zu ächten, zu schwächen und zu destabilisieren. Aber die gegen Russland gerichtete Politik des US-dominierten Westens hat bisher nicht zum angestrebten Regime-Change geführt.

Der Ukraine-Krieg, der hoffentlich bald durch einen Waffenstillstand und eine durch Verhandlungen herbeizuführende Friedensregelung beendet wird, muss auch in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Der Westen hat sich nicht dafür eingesetzt, dass die Minsker Abkommen umgesetzt werden, obwohl Deutschland und Frankreich sich dazu verpflichtet haben, die Umsetzung dieser Abkommen zu unterstützen. Der Westen war nicht bereit, die legitimen Forderungen zur Gewährleistung der Sicherheit der Russischen Föderation auch nur zu diskutieren.

Der Westen wollte diesen Krieg, der vor allem auf Kosten der Ukraine geführt wird, in der Absicht, Russland zu schwächen und wenn möglich Putin zu stürzen.

Man kann in guten Treuen geteilter Meinung sein, ob der Angriff der russischen Armee auf die Ukraine im Februar letzten Jahres legitim und notwendig oder völkerrechtswidrig und zu verurteilen war, aber man kann darüber nicht urteilen, ohne die Vorgeschichte zu kennen und zu berücksichtigen.

Die VR China und Russland streben zusammen mit anderen Staaten eine neue multipolare Weltordnung an, in der nicht mehr eine Hegemonialmacht mit ihren Junior-Partnern bestimmen kann, was zulässig ist und was nicht geduldet werden kann, bzw. nicht mehr die Hegemonialmacht USA festlegen kann, was ihre «vital interests» sind und wie sie diese überall auf der Welt geltend machen und durchsetzen will. Diese neue Weltordnung wird den Völkern und Staaten ganz andere Möglichkeiten bieten, den Weg, den sie für ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung beschreiten wollen, frei und ohne Druck einer Hegemonialmacht zu wählen.

Die Shanghaier-Organisation für Zusammenarbeit und die BRICS-Gruppe sind internationale Organisationen, welche die Schaffung einer neuen multipolaren Weltordnung anstreben.

Die Kräfte, die sich einsetzen für eine neue multipolare Weltordnung werden von Jahr zu Jahr stärker. Diese neue Weltordnung ist im Entstehen begriffen. Zu den BRICS-Staaten (China, Russland, Indien, Südafrika, Brasilien) werden weitere Staaten dazukommen.

Die fortschreitende Verschiebung der internationalen Kräfteverhältnisse zu Ungunsten der USA und des Westens birgt die Gefahr, dass die USA versuchen könnten, den weiteren Aufstieg der Volksrepublik China und das weitere Erstarken der Kräfte, die sich für eine neue multipolare Weltordnung einsetzen, mit militärischen Mitteln d.h. mit Krieg zu stoppen und rückgängig zu machen, so lange sie nach ihrer Einschätzung militärisch noch überlegen sind. Einen solchen Krieg möchten die USA möglichst weit weg von ihrem Territorium und möglichst mit dem Einsatz von Armeen verbündeter Staaten führen. Ein solcher Krieg wäre ein unvorstellbares Inferno, das unbedingt verhindert werden muss.

Der gegenwärtig in der Ukraine tobende Krieg könnte im schlimmsten Fall der Beginn eines solchen Krieges sein, weshalb alles unternommen werden muss, um diesen Krieg zu beenden und eine nicht mehr beherrschbare Eskalation zu verhindern.

In letzter Zeit haben die USA gewaltige Aufrüstungsprogramme beschlossen, um eine militärische Überlegenheit zu sichern. Da sie auf dem Standpunkt stehen, die legitime globale Hegemonialmacht zu sein und es auch bleiben zu müssen, sind sie der Meinung, zur militärischen Absicherung ihrer Hegemonie ein Recht zu haben auf militärische Überlegenheit im globalen Massstab.

Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges haben die USA das Wettrüsten stets angeführt und sie zwingen nun China und Russland zu weiteren militärischen Rüstungsanstrengungen, da die USA nur dann von einem grossen Krieg gegen China und Russland abgehalten werden, wenn sie wissen, dass ein solcher Krieg auch die Verwüstung und weitgehende Vernichtung der USA zur Folge hätte. Reagan hat mit dem Wettrüsten die Sowjetunion wirtschaftlich schwächen, sprich totrüsten wollen, was schliesslich auch gelungen ist. Mit der Volksrepublik China wird das jedoch nicht gelingen, da China heute wirtschaftlich schon viel stärker ist, als die Sowjetunion je gewesen ist.

In Anbetracht dieser ernst zu nehmenden Kriegsgefahr ist es heute von grösster Wichtigkeit, unabhängig von der weltanschaulichen und religiösen Orientierung die Kräfte, die einen Krieg verhindern wollen, zu sammeln und zu mobilisieren für ein machtvolles Engagement für Abrüstung und gegen Krieg. Eine starke Friedensbewegung gegen Hochrüstung und Krieg tut Not.

Aber trotz der ernst zu nehmenden Kriegsgefahr: Wir haben heute wieder vielmehr Grund zur Zuversicht und zum Optimismus, dass es in absehbarer Zukunft gelingen wird, eine post-imperialistische, post-kapitalistische neue Weltordnung zu schaffen, die für alle Menschen auf diesem Erdball eine Aussicht auf ein Leben ohne Elend, Unterdrückung und Krieg eröffnen wird.

Stefan Hofer