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Achtung vor Verwechslungsgefahren – Den Faschisten die Schleichwege abschneiden

1. Der Faschismus setzt alles daran, seine wahre Identität als Handlanger bestimmter gesellschaftlicher Kreise zu verschleiern. Er selbst nennt sich zur Tarnung “national”, “sozialistisch” und “Arbeiterpartei”, und mischt die Mehlsorten an der Pfote je nach der angeklopften Türe. Faschismus darf nicht mit Nationalismus vermengt werden, als ginge es da um graduelle Unterschiede, als seien die beiden der Sache nach keiner Unterscheidung wert. Das ist grundfalsch, denn was hätte auch nur der Nationalismus einer Klasse zwingend mit dem Nationalismus der anderen Klassen zu schaffen? Wie könnte auch der glühendste Internationalismus einen kubanischen Arbeiter daran hindern, Nationalist zu sein im Moment, wo die Mächtigen in USA die Rückkehr der Faschisten nach Havanna planen und Guantánamo vorsorglich zum Folterkeller umbauen? Vermutet irgendjemand den Spanierstolz hinter Francos Verbrechen, die freie spanische Erde durch deutsche, italienische und afrikanische Legionen in ein Blutmeer verwandeln zu lassen? Haben die USA den Faschisten Pinochet etwa an die Macht gebracht, damit er die nationalen Reichtümer Chiles gegen das internationale Kapital verteidige? Das sind wohl lächerliche Fragen unter Antifaschisten. Wir müssen selbstverständlich auch national gesinnte Kräfte auf unsere Seite ziehen.

2. Alle sollen wissen, dass der Faschismus der Todfeind jeder nationalen Kultur aller Völker ist. Eine wichtige Aufgabe liegt darin, jemandem aufzuzeigen, was er gemäss dem Platz, den er in der Gesellschaft einnimmt, vom Faschismus zu erwarten hat. So ähnlich wie Brechts “Furcht und Elend des Dritten Reiches” dies für die breitesten Bevölkerungsteile zeigt, ohne die faschistischen Mitläufer auszusparen. Im Kampf gegen die Barbarei ist jeder aufrichtige Verbündete willkommen, auch fromme Leute und Esoteriker, welche sich ein Leben ohne die Unfehlbarkeit ihrer Gurus nicht vorstellen könnten. Und warum denn nicht auch antifaschistische Polizisten und fortschrittliche Offiziere? In diesen Tagen trauern wir um zwei hervorragende Antifaschisten: Alvaro Cunhal und General Vasco Gonçalves. Verweigern wir diesen Helden Portugals nicht die Totenehre, wenn wir vergessen, dass es Szenarien gibt, wo der Kampf gegen den Faschismus nur durch die militärische Linke entscheidbar ist.

3. Der Faschismus wird oft mit dem zeitlosen “Bösen in uns” durcheinander gebracht. Wer das so betrachtet, lenkt sein Augenmerk gerade von der Hauptsache ab, nämlich vom klassenmässigen Gehalt des Faschismus. Überall wo der Faschismus die Herrschaft antrat, bestand seine allererste Massnahme nicht im wilden Um-sich-schlagen, sondern gezielt in der Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung bin hin zur physischen Vernichtung ihrer kämpferischsten Elemente. Das ist kein überraschender Zufall: Hitlers Machtergreifung war eine abgekartete Sache. Die Wahlniederlage der Nazis im November 1932 und ihr erdrutschartiger Wählereinbruch in Thüringen im Dezember gaben den Ausschlag für den Entscheid der feinen Herrschaften, Hitler schleunigst an die Macht zu bringen.

4. Beim Kapp-Putsch 1920 rührte sich keine der militärischen Gewalten zur Verteidigung der Weimarer Verfassung. “Reichswehr schiesst nicht auf Reichswehr”, hiess es. Der Putsch von rechts konnte erst durch einen Generalstreik beendet werden. Gramsci wies damals auf die militärischen Aufgaben hin, die sich daraus ergeben, dass die Bourgeoisie ohne weiteres bereit war, Verfassung und Parlament beiseite zu schieben, sobald diese als Instrumente der Klassenherrschaft versagen.

5. Seit den 20er Jahren warnte die kluge Clara Zetkin ihre Genossen davor, den Faschismus als einen Haufen wildgewordener Kleinbürger zu betrachten; sie riet ihnen, den Kampf gegen Hitler unbeirrbar als Kampf gegen das Finanzkapital zu führen. Das Finanzkapital braucht den Faschismus, um die Unzufriedenheit der Kleinbürger und der Entwurzelten gegen die organisierte Arbeiterbewegung und gegen die Demokratie zu richten. Es ist völlig richtig, dass der Faschismus an Irrationalität und Rückständigkeit appelliert, aber mit dieser Feststellung trifft man nicht die historischen Gesetzmässigkeiten, die sein Wesen ausmachen, sondern bloss eines seiner Mittel. Er braucht es zur Betörung der Massen. Die faschistische Barbarei legt es darauf an, sich als völkisches Produkt aus der Biologie zu erklären. Aller Kannibalismus diente aber hauptsächlich der kaltblütigen Kriegsvorbereitung.

6. Bürgerliche Antifaschisten wie Adorno zeigen eine gewisse Vorliebe für solche Erklärungsmodelle, die auf Defiziten in der Psyche des Faschisten gründen. Die Untersuchung des Faschismus anhand des Verhaltens seiner Träger (Aktivisten, Wähler usw.) kann zahlenmässige Zusammenhänge aufdecken. Welche biographischen Einflüsse bestimmen die Wahrscheinlichkeit, dass sich faschistische Auffassungen und Verhaltensmuster bilden? Das ist ohne Zweifel eine gute, aber noch einseitige Frage. Sie ist nicht identisch mit der Frage nach den tieferen Ursachen des Faschismus. Diese kann man nur erschliessen, wenn man die historisch wirksamen Klassenkräfte und die Kräfteverhältnisse berücksichtigt. Die erste Frage an das faschistische und jedes andere Herrschaftssystem ist die Frage nach seinem Klasseninhalt: Wer wen? Welche Klassen beherrschen welche anderen und zu welchem Zweck? In wessen Interesse wird die Herrschaft gebraucht? Auch wenn nicht von der Herrschaft, sondern von der Partei die Rede ist: “welche Klasse sponsert die?”, und nicht nur: “woher rekrutieren die ihre Massenbasis?”. Gewiss spielt der zwanghafte Charakter unter der Führerclique eine Rolle im Ganzen, aber das Auf und Ab des Faschismus wird nicht durch überschüssiges oder mangelndes Angebot and Geisteskranken geregelt.

7. Der unverwüstliche bulgarische Kommunist Dimitroff, der als Angeklagter im Reichstagsbrand-Prozess den “Zeugen” Göring zur Weissglut trieb, leistete grundlegende Beiträge zur Theorie des Faschismus und zur Praxis seiner Bekämpfung. Er zog die Lehren aus den jahrelangen blutigen Abwehrkämpfen gegen die Faschisten zusammen. Nach seiner Definition ist der Faschismus (an der Macht) “… die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.” Dimitroffs klassenbezogene Formel wurde selbst zur geschichtlichen Kraft: sie half bei der Überwindung des Irrtums, wonach der Faschismus die letzte, nicht mehr rückgängig zu machende Etappe der Kapitalherrschaft darstelle und die Interessen des gesamten Bürgertums vertrete. Dieser verhängnisvolle Irrtum isolierte den Widerstand der Arbeiter künstlich von Antifaschisten anderer Klassen und stand dem Aufbau der Anti-Hitler-Koalition auch auf internationaler Ebene im Wege. Dimitroff wies nach, dass die Rückkehr zu bürgerlich-parlamentarischen Verhältnissen möglich war, und dass die militärische und ideologische Vernichtung des Faschismus eine Vorbedingung für weitere Fortschritte der Arbeiterklasse bildete. Die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs haben das noch und noch bestätigt.

8. Dimitroffs Definition ist bis heute das geistige Rüstzeug des Antifaschisten geblieben. Auf ihrer Grundlage wird auch verständlich, wie zum Teufel es möglich ist, dass die NATO-Mitglieder mit parlamentarischem Regime sich so inniglich mit faschistischen Machthabern vertragen. Der vermeintliche Widerspruch löst sich auf, sobald man die Sache von den Klasseninteressen betrachtet. Der Imperialismus hat Chile eine faschistische Kur verschrieben und liess es dann zum neoliberalen “Happy End” mit Parlament kommen. War der befristete Terror genügend brutal, um die Bevölkerung nachhaltig einzuschüchtern und vor Experimenten an der Urne zu warnen? Keine psychologisierende Theorie kann diese Beobachtung befriedigend erklären. Auch nicht mit der Angst. Man kommt nicht um die globalstrategische Konstellation der Klassenkräfte herum, um die Politik der “faschistischen Kur” zu verstehen.

9. Die Vordenker des Kalten Kriegs haben sich nicht gescheut, einen künstlichen Kampfbegriff zu schaffen, der darauf abzielt, die kommunistische Arbeiterbewegung mit den Faschisten in einen Topf zu werfen: Der Zungen- und Hirnbrecher heisst “Totalitarismus”. Bracher und andere Anhänger dieser Richtung vertraten die These von der Notwendigkeit, die Demokratie mit undemokratischen Mitteln abzuschirmen. Mit der Behauptung, so hätte man Hitler verhindern können, lieferten sie die Rechtfertigung für Adenauers KPD-Verbot und bereiteten den “Notstandgesetzen” den Weg. Die Unhaltbarkeit der Totalitarismus-Theorie wurde von Denkern wie Karl Barth schon Jahrzehnte zuvor nachgewiesen. Der angesehene Theologe warf sein Prestige als mutiger Hitlergegner in die Waagschale, um Christen und Kommunisten im Kampf gegen den NATO-Imperialismus zu vereinigen. Kampf gegen den Faschismus setzt voraus, dass wir ihn an seiner klassenmässigen Stellung festmachen. Ohne diesen festen Grund unter den Füssen, kann unsere antifaschistische Bewegungsarbeit leicht umgemünzt werden und auch den Antikommunisten aller Schattierungen in die Hände spielen. Das ist in der Geschichte zur Genüge vorgekommen.

10. Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft. Man muss ihnen sowie den Gönnern und Hintermännern alle Schleichwege abschneiden, damit sie nicht durchkommen. Seien wir auf die Möglichkeit gefasst, dass der Feind sein Comeback in der Sparte Nichtfaschismus versuchen kann. An seinem Muttermal werden wir ihn erwischen: Er ist und bleibt der politische Ausdruck der reaktionärsten Interessen des Grosskapitals. Auf zur Offensive gegen die Macht der Monopole und für demokratische Forderungen und Freiheiten, deren Realisierung die Grundlage der Klassenherrschaft untergräbt. Das Grundpfand für die Festigung der Demokratie liegt in der Aktionseinheit der Arbeiterklasse.

 

Der obige Text ging als Leserbrief an die Redaktion des «Vorwärts» zur Antifa-Beilage (no pasarán – «Vorwärts» vom 10. Juni 2005). In der Printausgabe erschien der folgende Teil des Leserbriefes:

HONIG MIT STACHEL – ein offenes Wort unter AntifaschistInnen 


(abgedruckt im «Vorwärts», Juni 2005)

Der Honig: Offenbar schöpfen Sachkompetenz und Fülle an konkreten Informationen auch aus Nahkampferfahrungen mit rechter Gewalt. Es liegt für alle ein unschätzbarer Gewinn darin, dass Leute der Tat unmittelbar zu Wort kommen. Die Verbindung des VORWÄRTS mit den lebendigen Kämpfen des Volkes drückt uns mit der antifaschistischen Beilage eine wertvolle Waffe in die Hand. Die Beleuchtung der Szenengewohnheiten ist in jeder Hinsicht aufschlussreich und liefert präziseste Enthüllungen über die Neonazis: geheime Code-Sprache, Etikettenschwindel, Fälschungen und trügerische Machenschaften. Kurzum der Inbegriff dessen, was der Faschist dem Juden andichtet. Die Zunge geht halt dorthin, wo der Zahn weh tut. Wie Ihr dokumentiert, wollen sich die Neonazis nun den 1. Mai unter den Nagel reissen. Ihr sagt sehr zu Recht, dass die Maifeier nicht zur Verpackung verkommen darf. Als Leninist (oder ist es der Oberländer in mir?) habe ich höchstens Mühe, Eure Geringschätzung für die volkstümliche Seite zu verstehen. Das Erwachen der Natur und der Frühling des Proletariats, das Aufwachen der Verdammten dieser Erde, tun einander beim lustvollen Maientanz nichts zuleide. Im Oberland und anderswo stellten die geheimen bäuerlichen Treffen in der Walpurgisnacht zum 1. Mai eine organisatorische Verbindungsform des antifeudalen Widerstands dar. Das Abfackeln von Höhenfeuern und Maibäumen (genannt Freiheitsbäume) hielt sich bis ins 19. Jahrhundert; die historischen Tannen heissen «Aufruhrbäume».

Zum Stachel: Meiner Meinung nach ist der theoretische Teil der Beilage misslungen. Warum das Rad neu erfinden wollen, wenn diese Arbeit schon vorgeleistet wurde? Spottbillig waren die Lehren aus Irrtümern ja nun nicht erhältlich. (Das beweist Ihr selbst mit dem 1.-Mai-Beitrag, der den Blutmai 1929 hervorhebt:) Neben den Bluthunden herrschten in der SPD auch der Schlotter und die Illusion, ein Kurs der Tolerierung einer halbfaschistischen Politik plus aktive Beteiligung an der Unterdrückung der Linken könnte die Bourgeoisie gegen den Faschismus impfen. Auf praktisch derselben Fehleinschätzung beruht die «Totalitarismus»-Theorie, namentlich bei Bracher. Euer Wahlspruch «no pasarán» verlangt hingegen, dass man den Feinden auch die Umgehungen und Schleichwege abschneidet, weil sie gelernt haben, antifaschistischen Wällen auszuweichen. Pluralismus der theoretischen Auseinandersetzung muss sein. Aber Eure Auswahlsendung aus bürgerlichen Theorien geht doch nicht an, ohne eine ernsthafte Kritik. Erst recht nicht, wenn die marxistische Theorie unterschlagen wird. Hat Euch niemand vom VORWÄRTS auf diese Schwachstelle aufmerksam gemacht? Das hätte die redaktionelle Autonomie nicht ausgeschlossen.

Marcel Hostettler, Bern

 

Siehe auch: Themendossier Faschismus