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Militärische Macht und kulturelle Hegemonie werden nicht ausreichen, um das atlantische System zu retten!

Die militärische Macht des atlantischen Imperialismus, gepaart mit einer kulturellen Hegemonie, ist noch immer beträchtlich. Massimiliano Ay, politischer Sekretär der PK Schweiz, zeigte sich in einem Interview mit der türkischen Tageszeitung «Aydinlik» überzeugt, dass die Krise, die der Imperialismus durchmacht, wegen ihrer Grösse unumkehrbar ist. Der Imperialismus werde deshalb versuchen, Kriege auszuweiten und in den westlichen Ländern den autoritären Wandel zu befördern. Die Linke müsse ihre gegenwärtige Schwäche überwinden.

Aydinlik: Die Hauptthemen des Jahres 2023 waren der Krieg zwischen Palästina und Israel und der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Wie bewerten Sie diese Ereignisse?

Massimiliano Ay: Der Krieg, der in der Ukraine geführt wird, ist ein Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland. Ich kann davon ausgehen, dass bald auch Präsident Selenskij von denjenigen verlassen wird, die ihn bisher gelobt haben. Ausserdem hat er trotz westlicher Waffen bereits sowohl die Krim als auch den Donbass verloren. Aber die USA haben jetzt jedes Interesse daran, neue Konflikte auszulösen, um den Triumph der multipolaren Welt einzudämmen. Neue Kriege sind daher leider realistisch: Gerade deshalb kommt unserer Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand heute eine strategische Bedeutung zu, wenn es darum geht, interne Widersprüche innerhalb Israels zu schüren, die im Wesentlichen darauf abzielen, die eurasische Integration zu verhindern.

Aydinlik: Wie hat Europa dieses Jahr verbracht? Wie haben sich die Sanktionen auf die Länder des Kontinents ausgewirkt?

Massimiliano Ay: Die Sanktionen haben die europäische Wirtschaft ruiniert, und die Niederlage der Ukraine wird verheerende Auswirkungen auf die politische Haltung der Europäischen Union haben. Im Jahr 2023 nahm die Armut zu, die Kaufkraft der Arbeitnehmer sank, aber auch Sparmassnahmen und Kürzungen bei den öffentlichen Dienstleistungen und Sozialversicherungen, auch aufgrund von Steuererleichterungen für die Reichen.

Aydinlik: die wichtigsten europäischen Länder sind politisch mit den Vereinigten Staaten ausgerichtet. Was hat das alles nach Europa gebracht?

Massimiliano Ay: Die europäischen Regierungen verteidigen nicht die Souveränität ihrer jeweiligen Nationen, sondern gehorchen Washington. Und das gilt nicht nur für liberale, sozialdemokratische und ökologische Regierungen, sondern auch für vermeintlich nationalistische Regierungen, die oft nur Wahl-Fassaden sind, um die Bürger zu täuschen. In der Schweiz wurde kürzlich ein neuer Staatssekretär für Sicherheitspolitik gewählt: Der Schweizer Botschafter in der Türkei wurde gewählt, aber nachdem er die Nato kritisiert und mit der Hamas gesprochen hatte, wurde er zugunsten eines Brigadiers der Armee, fallengelassen, eines Atlantisten, der die Reste der Neutralität zerstören wird. Kurz gesagt, in Bern scheinen die atlantischen und zionistischen Einflussnahmen ziemlich stark zu sein.

Aydinlik: In Europa gibt es auch Anti-US- und Anti-Nato-Bewegungen. Werden diese Bewegungen wachsen?

Massimiliano Ay: Sicherlich wird ein Teil des Volkes und der Arbeiter rebellieren, weil Europa sich stark deindustrisiert und immer mehr den USA nachfolgen wird. Aber auch Demokratie und Demonstrationsfreiheit schwächen sich ab. Um Arbeiterstreiks und Antikriegsprotesten entgegenzuwirken, werden die Regierungen autoritärer. In der Schweiz wurden antizionistische Professoren vom Unterricht suspendiert, und es wird diskutiert, ein Gesetz gegen «extremistische» Symbole durchzusetzen, zu denen auch kommunistische und muslimische gehören könnten. In Frankreich haben die Polizisten sogar ihre eigene Regierung erpresst, um sie zu ermächtigen, die Demonstrationen der Bevölkerung mit mehr Gewalt zu unterdrücken: Das Risiko, dass Teile bewaffneter Körperschaften und rechtsextremer Organisationen mit proletarisierten Sektoren in Konflikt geraten, führt zu einer Faschisierung der westlichen liberalen Gesellschaften, die wir mit Sorge beobachten, auch weil die Kämpfe oft unorganisiert, von den Medien manipuliert und von Provokateuren ausgelöst werden, die alles tun, um unsere Partei zu isolieren. Sicherlich ist die Legitimitätskrise jedoch stark, es wird nicht an Protesten mangeln. Unserseits wollen wir die Kampagne «keine EU – keine Nato»fortsetzen.

Aydinlik: Was sind ihre Prognosen für 2024? Welche Art von Welt und Europa sehen Sie für die Zukunft?

Massimiliano Ay: Der atlantische Imperialismus hat immer noch eine grosse Feuerkraft und eine vorherrschende kulturelle Hegemonie, aber die Krise, die er durchmacht, ist so gross, dass Sie unumkehrbar ist: Europa, das von der Unterstützung für die Ukraine erschöpft ist, die Widersprüche innerhalb des zionistischen Regimes, der Anti-Establishment-Druck in den USA einerseits; die Ausweitung der BRICS und die Festigung der Neuen Seidenstrasse unter chinesischer Führung anderseits machen die zukünftige Entwicklung deutlich. Die Imperialisten sind sich dessen bewusst, und deshalb ist eine Ausweitung des Krieges und auch autoritärer Wendungen in unseren Ländern erwarten, um Andersdenkende zu kontrollieren. Es ist bedauerlich, derzeit eine gewisse Unzulänglichkeit der europäischen Linken feststellen zu müssen, die, wie die Chinesen sagen, «sehr turbulent»ist. Wir als Kommunistische Partei der Schweiz müssen uns besser organisieren und strukturieren, in der Hoffnung auf eine bessere internationale Koordination.
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Der Text ist am 12. Januar 2024 auf sinistra.ch erschienen, deren Redaktion ihn auch aus dem Türkischen übersetzt hat.