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Kritik der darwinistischen Gesellschaftstheorie:

Engels: Brief an P.I. Lawrow

vom 12./17. November 1875

Ich akzeptiere von der Darwinschen Lehre die Entwicklungstheorie, nehme aber Darwins Beweismethode (struggle for life, natural selection) nur als ersten, provisorischen, unvollkommenen Ausdruck einer neuentdeckten Tatsache an. Bis auf Darwin betonten grade die Leute, die jetzt überall nur “Kampf” ums Dasein sehn (Vogt, Büchner, Molescott u. a.) grade das “Zusammenwirken” der organischen Natur, wie das Pflanzenreich dem Tierreich Sauerstoff und Nahrung liefert und umgekehrt das Tierreich den Pflanzen Kohlensäure und Dünger, wie dies namentlich von Liebig hervorgehoben war. Beide Auffassungen haben ihre gewisse Berechtigung innerhalb gewisser Grenzen, aber die eine ist so einseitig und borniert wie die andre. Die Wechselwirkung der Naturkörper – toter wie lebender – schliesst sowohl Harmonie wie Kollision, Kampf wie Zusammenwirken ein. Wenn daher ein angeblicher Naturforscher sich erlaubte, den ganzen mannigfaltigen Reichtum der geschichtlichen Entwicklung unter der einseitigen und magern Phrase “Kampf ums Dasein“ zu subsumieren, einer Phrase, die selbst auf dem Gebiet der Natur nur cum grano salis akzeptiert werden kann, so verurteilt sich dies Verfahren schon selbst.

Die ganze darwinistische Lehre vom Kampf ums Dasein ist einfache die Übertragung der Hobbeschen Lehre vom bellum omnia contra omnes und der bürgerlich-ökonomischen von der der Konkurrenz, nebst der Malthusschen Bevölkerungstheorie, aus der Gesellschaft in die belebte Natur. Nachdem man dies Kunststück fertiggebracht (dessen unbedingte Berechtigung ich, wie sub 1. angedeutet, bestreite, besonders was die Malthussche Bevölkerungstheorie angeht), so rücküberträgt man dieselben Theorie aus der organischen Natur wieder in die Geschichte und behauptet nun, man habe ihre Gültigkeit als ewige Gesetze der menschlichen Gesellschaft nachgewiesen. Die Kindlichkeit dieser Prozedur springt in die Augen, man bracht kein Wort darüber zu verlieren. Wollte ich aber näher darauf eingeht, so würde ich es in der Weise tun, dass ich sie in erster Linie als schlechte “Ökonomen” und erst in zweiter Linie als schlechte Naturforscher und Philosophen darstelle.

Der wesentliche Unterschied der menschlichen von der tierischen Gesellschaft ist der, dass die Tier höchstens “sammeln”, während die Menschen “produzieren”. Dieser einzige, aber kapitale Unterschied allein macht es unmöglich, Gesetze der tierischen Gesellschaften ohne weiteres auf menschliche zu übertragen. … Die Produktion der Menschen erreicht also auf einer gewissen Stufe eine solche Höhe, dass nicht nur notwendige Bedürfnisse, sondern auch Luxusgenüsse, wenn auch zunächst nur für eine Minderheit, produziert werden. Der Kampf ums Dasein – wenn wir diese Kategorie für einen Augenblick gelten lassen wollen, – verwandelt sich also in einen Kampf um Genüsse, um nicht mehr blosse “Existenzmittel”, sondern um “Entwicklungs”-mittel, “gesellschaftlich produzierte” Entwicklungsmittel, und für diese Stufe sind die Kategorien aus dem Tierreich nicht mehr anwendbar.

Zitiert nach: MEW, Bd. 34, S. 169-171.


Ergänzung:

Marx: Brief an Engels (Auszug)

vom 18. Juni 1862

(…) Mit dem Darwin, den ich wieder angesehn, amüsiert mich, dass er sagt, er wende die „Malthussche” Theorie auch auf Pflanzen und Tiere an, als ob bei Herrn Malthus der Witz nicht darin bestände, dass sie nicht auf Pflanzen und Tiere, sondern nur auf Menschen – mit der geometrischen Progression – angewandt wird im Gegensatz zu Pflanzen und Tieren. Es ist merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englische Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluss neuer Märkte, „Erfindungen” und Malthusschem „Kampf ums Dasein” wiedererkennt. Es ist Hobbes’ bellum omnium contra omnes’, und es erinnert an Hegel in der „Phänomenologie”, wo die bürgerliche Gesellschaft als „geistiges Tierreich”, während bei Darwin das Tierreich als bürgerliche Gesellschaft figuriert. (…)

Zitiert nach: MEW 30, 249.


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