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Alte Antikriegslieder

Seit dem Mittelalter sind uns viele Sammlungen von Sagen, Sprichwörtern und Liedern überliefert, in denen sich der antifeudale Widerstand der Bauern und des aufstrebenden Bürgertums widerspiegelt. Elemente dieser Tendenz gehen in verschiedene Stossrichtungen:

  • Darunter Anklagen gegen die Soldaten- und Bauernschinderei wie das «Es stand ein Schloss in Österreich», «Oh König von Preussen, du grosser Potentat» oder der «Oberländer Marsch von 1814» und Lieder, welche die Helden früherer Aufstände besingen, wie der «Lindenschmied» oder die Lieder auf schweizerische Bauernführer wie Niklaus Leuenberger.
  • In zahllosen Spottliedern verhöhnten die Bauern die gnädigen Herren und deren wichtiges Getue. Parallel dazu machten Gesichten die Runde, in denen Bauern ihre kirchlichen oder weltlichen Herrschaften überlistet. Das Lied vom «Wilddieb», der dem fürstlichen Jagdaufseher keine Antwort gibt, weil er «seine sichere Hand kennt», weist in dieselbe Richtung. Erst später wurde dem Lied eine abstumpfende Strophe aufgesetzt, wonach sich der Wilddieb der Gendarmerie gestellt habe. Selten zeugen die Bauernlieder von spontaner Anhänglichkeit zur Obrigkeit.
  • Zu allen Zeiten haben sich überdies Lieder erhalten, welche die strenge christliche Moral ignorieren oder gar als Quelle von Übel darstellen. Von den Hochalpen («Hoschen-Eisi, laa mi yne!») bis ins Niederungen («Dat du min Leevsten büst») findet man deutsche Lieder über die Selbstverständlichkeit von vorehelichen Sexualerfahrungen. Der Volksliedforscher Gottlieb Jakob Kuhn wollte im Kanton Bern ein Zentrum dieser freien Moralauffassung (Kiltgang) erblicken. Zutiefst unchristlich sind aber auch uralte und weit verbeitete Lieder wie «Ich spring an diesem Ringe». Ebenso gespickt mit Frivolitäten ist auch der populäre «Pfanneflicker».
  • Vgl. auch das sehr alte Lied «Es waren zwei Königskinder», wo die falsche Nonne dem schwimmenden Jüngling das Licht auslöscht. Wie dieses handelt auch der «Pfalzgraf am Rhein» vom hocharistokratischen Milieu. Doch dieses wird angeklagt: Die dritte Tochter des Grafen und Enkelin des Königs erscheint vor ihrer Schwester Tür, wo sie als Dienstmagd aufgenommen wird. Nach einem halben Jahr stirbt sie vor Schwäche. Zu spät erkennt die Herrin in ihr die eigene Schwester und eine von gleichem Stand. Um die Solidarität mit dem Unterdrückten darzustellen, griffen sich die Volksdichter nicht selten zur Verwechslung oder Maskierung von Personen. Das Motiv des verwechselten (Esau/Jakob, Rahel/Lea, Amphytrion/Jupiter) oder nicht erkannten oder Gegenübers selbst ist uralt (z.B. Oedipus, Hildebrandslied, Nibelungenlied) und dient verschiedenen Zwecken.
  • Zahllos sind die Lieder zur Warnung junger Bauern- und Fischermädchen vor den Zudringlichkeiten der adligen Herren und ihrer Waffenknechte (etwa das Brombeerenlied: «Es wott es Anneli früe ufstah»).
  • Oft sind die historischen Zusammenhänge von Volksliedern bei den Sängern in Vergessenheit geraten. Das bekannte Lied «Es chunt es Meiteli hurtig här» spricht von Kühen, die aus dem Hastlital gegen Unterwalden geführt wurden. Das Verschwinden von Kühen kann auf Einfälle der Unterwaldner ins das Gebiet des Klosters Interlaken oder des Freiherrn von Ringgenberg zurückgehen. Der Viehraub über die Berge war kein Einzelfall. Im Spätmittelalter unterstützten die Unterwaldner die antifeudale Widerstandsbewegung im Berner Oberland. Möglicherweise spielt das Lied auf ein gemeinsames Vorgehen der Oberländer mit den Unterwaldern an, um Teile der Herden vor dem strafgerichtlichen oder steuerlichen Zugriff Berns in Sicherheit zu bringen.
  • Viele Lieder besingen die Ausweglosigkeit der ausgebeuteten Volksmassen. Ein besonderes Kapitel bilden die Moritaten über Kindsmörderinnen, die manchmal moralisierend über die Mütter herfallen («Die Rabenmutter von Hamburg»), manchmal darauf hinweisen, dass die Herrschaften die Dienstmädchen als sexuelles Freiwild betrachteten und nach Schwängerung feuerten, so die Lieder «Maria sass weinend im Garten» und auch «Sie war ein Mädchen von 18 Jahren (verführt von einer Jünglingshand).»
  • Besonders grosse Verbreitung erlangten Lieder, welche konkrete Verlustanzeigen melden, um das Leiden der unterdrückten Klassen ausdrücken, deren Lebenspläne durch die Mächtigen durchkreuzt werden.

Lieder gegen Reislauf und Krieg

Während Generationen wurden Lieder gegen Reislauf und Krieg gesungen, wie die folgenden. Es gibt aus ganz Europa Beispiele dieser Tradition. In der alten irischen Ballade The Lover’s Curs verflucht die Geliebte tagein und tagaus denen, die ihren Lover in den Krieg nach den Niederlanden geschickt haben.

Einige Lieder entfalteten eine hohe Wirksamkeit als Antikriegslieder, obwohl es sich eigentlich um Liebeslieder handelt. Dazu gehört das Alte Guggisbergerlied (S’isch äben e Mönsch uf Ärde). Als eines der wenigen schweizerischen Volkslieder wird es in Moll gesungen (es liegt in zwei unterschiedlichen Fassungen vor, wobei die ältere melodisch orientiert ist, und die neuere Version wie eine harmonische Bearbeitung davon erscheint. Ein Mädchen klagt seinen Kummer über den Geliebten, aber wir erfahren nicht, welches konkrete Hindernis der Liebeserfüllung entgegen steht. So oder so zeigt sich die antikriegerische Wirkung des Liedes aus dem 17./18. Jahrhundert daran, dass es die Behörden im alten Bern dazu veranlasste, den Soldaten sein Absingen zu verbieten, weil es regelmässig Heimweh erzeuge.

Der Drang nach Hause kann natürlich auch durch Lieder angesprochen werden, in denen Krieg und die Abwesenheit des Geliebten oder die Ungewissheit über sein Schicksal das Liebespaar für immer trennen. Ein Beispiel dafür sehen wir im Lied von der schönen Gärtnersfrau, obwohl es an sich ein harmloses Gartenlauben-Lied ist, das auf ein Gedicht von Lebrecht Dreves (Die Heimkehr, 1836) zurück geht.

Müde kehrt ein Wandersmann zurück

Müde kehrt ein Wandersmann zurück
Nach der Heimat seiner Liebe Glück.
/: Doch bevor er tritt in Liebchens Haus,
Kauft er für sie den schönsten Blumenstrauss. :/

Und die Gärtnerin so hold und bleich,
Zeiget ihm ihr ganzes Blumenreich.
/: Doch bei jeder Rose, die sie bricht,
Rollt eine Träne ihr vom Angesicht. :/

Warum weinst du, holde Gärtnersfrau?
Weinst du um die Veilchen dunkelblau?
/: Oder um die Rose, die du brichst?
Ach nein, ach nein, um diese wein’ ich nicht. :/

Um den Liebsten wein’ ich nur allein,
Der gezogen ist wohl übern Rhein.
/: Dem ich ew’ge Treu geschworen hab’,
Die ich als Gärtnersfrau gebrochen hab’. :/
Liebe hast du nicht für ihn gehegt,

Darum hast die Blumen du gepflegt.
/: Ach, so gib mir, holde Gärtnersfrau,
Einen Strauss von Veilchen dunkelblau. :/
Und mit dem Blumenstrauss wohl in der Hand,
Will ich wandern durch das ganze Land,
/: Bis der Tod mein müdes Auge bricht.
Leb wohl, Geliebte, und vergiss mich nicht! :/

Im Aargou si zwei Liebi

Im Aargäu sind zwöi Liebi,
Es Maiteli und es Büebli,
Die händ enandere gern, gern, gern,
Die händ enandere gern.

Und der Jungknab zog zu Kriege.
Wenn chunt er wiederum hei?

Uebers Jahr im andere Summer,
Wenn d’Stüdeli träge Laub.

Und’s Johr und das wär ume,
Und der Jungchnab ist wiederum hei.

Und er zog dur’s Gässeli ufe,
Wo’s schön Anneli im Fenster läg.

‘Gott grüess di, du Hübschi, du fini,
Von Herze gefallest mir wohl.»’

‘Wie kann denn ich dir gefalle?
Ha scho längst en andere Ma’.

‘En hübschen und en riche,
Und der mi erhalte cha’.

Und er zog dur’s Gässeli abe,
Und er truret und weinet so sehr.

Da begegnet ihm seine Frau Mueter,
Warum weinist und trurist so sehr?’

‘Warum soll i denn nit trure?
Jetz han i keis Schätzeli meh!’

‘Wärist du deheime blibe,
So hättist dis Schätzeli no!’

(Quelle: Röseligarte)

Es hätt e Bur es Töchterli (Dursli-Lied)

Es hätt e Bur es Töchterli
mit Name heisst es Babeli
Es hätt zweu Züpfli rot wie Gold
drum ist ihm auch der Dursli hold

Der Dursli geit dem Ätti an
O Ätti, wotsch mer ds Babeli la?
O nei, O nei, O Dursli mi
mis Babeli isch no viel zu chli

O Mueti, liebste Mueti mi
Cha ds Babeli nit ghürat si?
Mis Babeli isch no viel zu chlei
es schlaft dies Jahr no sanft allei

Der Dursli lauft in vollem Zorn
wohl in die Stadt ga Solothurn
er lauft die Gassen in un us
bis dass er chumt vors Hauptmas Hus

O Hauptma, liebe Hauptma mi
Bruchst du ke Chnecht i Flandreni?
O ja, o ja, o Dursli mi
I dinge di i Flandreni

Der Hauptma zieht de Seckel us
er git dem Durs drei Taler drus
Nu sä, nu sä, o dursli mi
Jitz bist du dinget i flandreni

Der Dursli geit jotz wieder hei
hei zu sim liebe Babeli chlei
O Aetti, o Muetti, o Babeli mi
Jitz hani dinget i flandreni

Das Babeli geit wohl hingers Hus
es grint sich fast die Öugli aus
Ach Dursli, lieber Dursli mi
So hest du dinget i flandreni

O Babeli tu doch nit e so
Ich will ds jahr wieder umhi cho
und will beim Ätti fragena
öb e mir ds Babeli deh well la

U chan i de nit selber cho
will dir es Briefli schriebe lo
darinne soll geschriebe stah
mis Babeli wott i nit verla

U wenn der Himmel papierge wär
u jede Stern e Schriber wär
u jeder Schriber hätt siebe, siebe Händ
si schribe doh all meiner Liebi kes End.

(anonym, 1781)

Le retour du marin

Die Geschichte ist praktisch dieselbe wie in der Gärtnersfrau.

1. /: Brave marin revient de guerre, tout doux :/
Tout mal chaussé, tout mal vêtu.
Brave marin, d’où reviens-tu? Tout doux.

2. /: Madame, je reviens de guerre, tout doux :/
Qu’on apporte ici du vin blanc
Que le marin boit en passant. Tout doux.

3. /: Brave marin se mit à boire. Tout doux :/
Se mit à boire et à chanter
L’hôtesse se mit à pleurer. Tout doux.

4. /: Qu’avez vous donc, dame l’hôtesse? Tout doux :/
Regrettez-vous votre vin blanc
Que le marin boit en passant? Tout doux.

5. /: Ce n’est pas mon vin que je regrette,Tout doux :/
Mais je pleure pour mon mari,
Monsieur, vous ressemblez à lui. Tout doux.

6. /: Mais dites-moi, dame l’hôtesse, tout doux :/
Vous aviez de lui trois enfants
Et j’en vois quatre à présent. Tout doux.

7. /: J’ai tant reçu de fausse lettre. Tout doux :/
Qu’il était mort et enterré
Que je me suis remariée. Tout doux.

8. /: Brave marin vida son verre, tout doux :/
Et sans rien dire, et en pleurant,
Il a rejoint son bâtiment. Tout doux.

Vieles aus dem bäuerlichen Liedgut ging unmittelbar in das Repertoire der Arbeiter über. Nach 1870 entstanden einige Lieder im Volksliedton oder nach dem Strickmuster von Soldatenliedern. Sie waren weiter verbreitet als das eigentliche Repertoire der Arbeiterchöre und wurden auch in Arbeiterkreisen oft angestimmt. Lieder wie diese folgenden bilden einen Übergang vom Soldatenlied zum Antikriegslied.

Sie mochten teilweise zur Verwendung als Soldatenlieder geschrieben worden sein und wurden von Soldaten gesungen, weil sie die Gefahren des Kriegerlebens ausmalen. Solche Schilderungen der Gefahr heben das Ansehen des angehenden Kriegshelden, der diese Gefahren mit Todesverachtung zu verlachen hat. Aber als der Erste Weltkrieg noch immer nicht aufhören wollte und die Soldaten über und über vom Sterben hatten, konnten diese Texte sogar ohne die geringste Önderung in aufwühlende Antikriegslieder umschlagen, wenn sie entsprechend vorgetragen werden, zum Beispiel wie in den eindrucksvollen Interpretationen von Claire Waldoff und Marlene Dietrich des populären Marschliedchens «Wenn die Soldaten …».

Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren

Wenn die Soldaten
durch die Stadt marschieren,
Öffnen die Mädchen
die Fenster und die Türen.

Ei warum? Ei darum! Ei warum? Ei darum!
Ei bloss wegen dem Schingderassa, Bumderassa, Schingdara!
Ei bloss wegen dem Schingderassa, Bumderassasa!

Zweifarben Tücher, Schnauzbart und Sterne
Herzen und küssen die Mädchen so gerne
Ei warum? Ei darum!…..

Eine Flasche Rotwein und ein Stückchen Braten
Schenken die Mädchen ihren Soldaten
Ei warum? Ei darum! …

Wenn im Felde blitzen Bomben und Granaten,
Weinen die Mädchen um ihre Soldaten.
Ei warum? Ei darum! …

Kommen die Soldaten wieder in die Heimat,
Sind ihre Mädchen alle schon verheirat–.
Ei warum? Ei darum! …

Wenn alles grünt und blüht auf dieser Erde

Wenn alles grünt und blüht auf dieser Erde
Wenn alles grünt und blüht auf dieser Welt.
/: Ja, ja dann sitz ich hier und träume wie verloren,
denk an die schöne längst vergangne Zeit. :/

Ich war ein Mädchen von kaum achtzehn Jahren,
ich kannte keinen Kummer, keinen Schmerz.
/: Ja, ja ich kannte nicht das Leben der Gefahren,
allein mein Liebster, der besass mein Herz. :/

Er zog hinaus ins wilde Kampfgetöse,
und liess mich hier so ganz allein zurück.
/: Ja, ja verflossen sind seitdem schon viele Jahre,
von meinem Liebsten aber hört ich nichts. :/

Da kam die Botschaft, die mein Herz betrübte,
da kam die Botschaft, die mein Herz zerriss.
/: Auf Frankreichs grüner Au, da fand man seine Leiche,
auf Frankreichs Fluren starb er den Heldentod. :/

So schlaf denn wohl in Frankreichs kühler Erde,
so schlaf denn wohl in Frankreichs grüner Au.
/: Und kehren die andern heim und du bist nicht bei ihnen,
ach Gott, ach Gott, die Stund zerreisst mein Herz. :/

Der Krieger von Sedan

In Deutschland, da musste von stillem Haus
ein Vater in den blutigen Krieg hinaus
Es stunden um ihn die liebenden Seinen
Sein treues Weib und die munteren Kleinen.

Die Mutter, sie sprach unter Tränen kein Wort
Es weinten die Kinder in einem fort
Sie fielen kniend zu Füssen ihm nieder:
Ach Vater, ach Vater, wann kommst du wieder?

Da sprach der Vater mit traurigem Wehn
Lebt wohl ihr Kinder, jetzt muss ich gehn
Er griff zum Gewehr mit bangem Zagen
und eilte hinaus zum blutigen Jagen

Der Vollmond so oft schon am Himmel stand.
Die Kinder sie eilten hinaus an den Strand.
Sie riefen: Nun muss der Vater bald kommen
Der Krieg hat längst ein Ende genommen.

Der Vater, er lag bei Sedan im Blut
Dort hat er verloren den kriegrischen Mut
Er schrie nach dem Weibe, er schrie nach den Kindern
Da kam der Tod, die Schmerzen zu lindern.

Viele Kampflieder der Arbeiterklasse waren neue Texte, die altbekannten Soldatenweisen unterlegt wurden. So etwa das Lied Auf, auf zum Kampf oder das Büxensteinlied (Im Januar um Mitternacht). Auch viele Neuschöpfungen hielten sich an den biederen Ton der Küchen- und Gartenlaubenlieder, die oft mit einer zweiten Stimme aus einfachen Terzen- und Sextenparallen unterlegt werden und meistens einfachen harmonischen Strickmustern folgen.

In den 1920er Jahren verwiesen Hanns Eisler und andere auf die Notwendigkeit, neues Tonmaterial zu verwenden, welches der komplizierter gewordenen Lage des Proletariats entspricht. Eines der Musterbeispiele des kunstvollen Kampflieds schuf Eisler selbst mit der Vertonung von Brechts Solidaritätslied («Vorwärts und nicht vergessen»). Die Komposition meidet die einfache Dur-Moll-Harmonik und löst sich am Schluss in einen schwebenden Akkord auf, der die Tonalität offen lässt. Mit jazzigen Synkopen durchbricht und verlässt auch der Rhythmus die bürgerliche Marschmusik des Uniformknopfs.