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Der EU-Gerichtshof schleift das kollektive Arbeitsrecht zu Boden

Seit Dezember 2007 hat der EU-Gerichtshof eine Reihe von Urteilen verkündet, die allesamt darauf hinauslaufen, das kollektive Arbeitsrecht zu unterhöhlen, bestimmte Kampfformen und Kampfziele der Gewerkschaften zu verbieten und Gesetze ausser Kraft zu setzen, welche ein Mitgliedsstaat zur Aufwertung des kollektiven Arbeitsrechts, zum Schutz gegen Lohndumping und zur Kontrolle der Einhaltung von Mindestvorschriften eingeführt hat.

Es steht ausser Frage, dass diese Entwicklungen in der Rechtsprechung der EU auch für die Schweiz unmittelbar von Belang sind. Was die EU-Freizügigkeiten zu bedeuten haben, und wie weit sie in das Landesrecht der einzelnen Staaten hineingreifen, dass wird von der EU selbst festgelegt, wie es dem Grosskapital am besten dient.

Das Patronat bejubelt die richterlichen Schläge gegen das kollektive Arbeitsrecht. Das Bundeshaus hat auch bereits Revisionsarbeiten an der Gesetzgebung über das Beschaffungswesen angekündigt, um die rückschrittliche EU-Gesetzgebung und Justiz auch in der Schweiz umzusetzen.

Die Werktätigen Europas haben in der EU schon längst das Werkzeug ihres geschworenen Feindes erkannt, des mit deutsch-französischen Grossmachtinteressen verbündeten Grosskapitals. Viele Parteien und Gewerkschaften hinken diesem Bewusstsein hinten nach und brauchen noch mehr Schläge von der Art der nachfolgenden Gerichtsurteile, bis auch ihnen dämmern wird, dass die EU ein imperialistischer Herrenbund gegen die werkätigen Völker ist. (mh/7.7.2008)

Das Urteil Laval oder Vaxholm

Am 18. Dezember 2007 fällte der EU-Gerichtshof in der Rechtssache C-341/05 (Laval) ein Urteil, mit welchen das schwedische Gesamtarbeitsvertrags-Modell seine Gültigkeit verliert. Das “Vaxholm”-Urteil schwächt die Position der Lohnempfänger und öffnet den schwedischen Arbeitsmarkt dem Sozialdumping. Die inzwischen konkursite lettische Baufirma Laval führte im Jahre 2004 Renovierungsarbeiten an einer Schule in Vaxholm bei Stockholm aus, wobei sie unterbezahlten Arbeitskräfte lettischer Herkunft einsetzte und sich weigerte, ein Tarifabkommen mit der schwedischen Bauarbeitergewerkschaft abzuschliessen. Darauf belegte die Gewerkschaft die Baustelle mit einer Blockade, was nach schwedischem Recht zulässig ist. In Schweden werden die minimalen Lohnansätze, die auch für entsandte Arbeitnehmer anwendbar sind, durch Tarifverträge festgelegt. Im Urteil des EuGH wird das schwedische Tarifmodell für nicht kompatibel mit dem EU-Recht erklärt und praktisch ausser Kraft gesetzt. Der Gerichtsentscheid hält vier Prinzipien fest:

  1. Die EU, und nicht mehr Schweden selbst, bestimmt über den schwedischen Arbeitsmarkt und darüber, ob die Arbeitnehmer streiken oder einen Arbeitsplatz blockieren dürfen.
  2. Schwedische Gewerkschaften dürfen keine Kampfmassnahmen ergreifen, die den freien Markt stören. (Die Verteidigung des Prinzip des gleichen Lohnes für gleiche Arbeit wird als “Störung” des freien Markts angesehen.)
  3. Firmen in anderen EU-Ländern mit einem niedrigeren Lohnniveau haben das Recht, Angestellte nach Schweden zu schicken und sie dort zum tieferen Lohnniveau ihres Heimatlandes arbeiten zu lassen. (Nur staatlich verordnete Minimallöhne müssen allenfalls eingehalten werden).
  4. Der EU-Binnenmarkt mit seinen (im Interesse des Grosskapitals ausgestalteten) wirtschaftlichen Freizügigkeiten geht vor den Interessen der Lohnabhängigen.

Damit werden auch die Versprechen gebrochen, mit welchen seinerzeit das schwedische Volk zum Beitritt in die EU geködert worden war. Vor der schwedischen EU-Abstimmung 1994 hatte die Führung der Gewerkschaftsbewegung zusammen mit der damaligen Regierung behauptet, das schwedische Modell der Kollektivverträge bleibe bei einem EU-Beitritt erhalten. Schweden setzte damals schriftlich fest, dass dies eine absolute Voraussetzung für seine Mitgliedschaft sei. Das Vaxholm-Urteil macht nun diese Garantien wertlos. Ebenso wertlos wird Art. 137 Abs. 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), welcher den Einzelstaaten die Souveränität bei der Gesetzgebung über das Streikrecht garantiert.

Das Urteil Viking Line

Das finnische Unternehmen “Viking Line” ist Eigentümerin einer Fähre, die zwischen Finnland und Estland verkehrt. Um die Besatzung nach tieferem estnischem Lohnniveau beschäftigen zu können, hat das Unternehmen angekündigt, diese Fähre in Estland umzuflaggen. Die finnische Seeleute-Gewerkschaft (FSU) forderte die Viking Line auf, auch im Falle einer Umflaggung das finnische Recht weiter zu beachten, die finnische Besatzung nicht zu entlassen und einen Tarifvertrag abzuschliessen. Die FSU kündigte Streiks an. Daraufhin hat –Viking Line– eine Unterlassungsverfügung gegen die FSU und eine weitere beteiligte Gewerkschaft beantragt.

Mit Entscheid vom 11. Dezember 2007 (Rs. C-438/05) stellt der EU-Gerichtshof fest, dass “kollektive MaÖnahmen, die darauf abzielen, ein ausländisches Unternehmen zum Abschluss eines Tarifvertrags mit einer Gewerkschaft zu veranlassen, der geeignet ist, das Unternehmen davon abzubringen, von seiner Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen (…) diese Freiheit beschränken.”

Das Urteil Rüffert

Das Niedersächsische Landesvergabegesetz sieht u. a. vor, dass Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmen vergeben werden dürfen, die sich schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern mindestens das tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu zahlen. Der Auftragnehmer muss sich zudem verpflichten, diese Verpflichtung Nachunternehmern aufzuerlegen und ihre Beachtung zu überwachen. Aufgrund dieser Bestimmungen verpflichtete sich auch das Unternehmen “Objekt und Bauregie”, die beim Bau einer Justizvollzugsanstalt eingesetzten Arbeitnehmern gemäss dem Baugewerbe-Tarifvertrag zu entlöhnen. Ein polnischer Subunternehmher der “Objekt und Bauregie” zahlte jedoch seinen 53 Arbeitnehmern nur 46,57 % des vorgesehenen Mindestlohns.

In seinem Urteil vom 3. April 2008 (Rs. C-346/06) gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die fraglichen Bestimmungen des niedersächsischen Rechts mit der Richtlinie 96/71/EG vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsende-RL) und mit der Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 49 EGV unvereinbar sind.

Das Urteil in Sachen EU-Kommission gegen Luxemburg

Am 19. Juni 2008 hat der EU-Gerichtshof ein gleich lautendes Urteil gegen Luxemburg verkündet (Rs. C-319/06). Nach luxemburgischem Recht gelten zwingende Vorschriften des Arbeitsrechts für alle Arbeitnehmer, die im Hoheitsgebiet des GroÖherzogtums eine Arbeitsleistung erbringen, einschlieÖlich jener, die vorübergehend nach Luxemburg entsandt wurden. Anwendbar sind unter anderem die Bestimmungen über Mindestlöhne, Teuerungsausgleich, Arbeits- und Ruhezeiten, die Tarifverträge, das Diskriminierungsverbot. Diese Regelung hat der EU-Kommission nicht gepasst. Sie verklagte Luxemburg beim EU-Gerichtshof wegen Verletzung der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 49 EGV) und hat nun Recht bekommen. Luxemburg muss nun sein Arbeitsrecht verschlechtern, die Temporär- und Teilzeitarbeit deregulieren und seine Kontrollen bei den Entsendebetreiben massiv einschränken.

Um die Zustimmung Irlands nicht mit der vollen Wahrheit zu gefährden, hat es pikanterweise die Klägerseite unternommen – das war wie gesagt nicht etwa ein Entsendebetrieb, sondern die EU-Kommission selbst! – dafür zu sorgen, dass die Urteilsverkündung im Verfahren gegen Luxemburg um eine Woche verschoben und hinter das irische Abstimmungsdatum über den Lissabon-Vertrag verlegt wurde.

Siehe auch:

Externe Links

Die Urteile des EU-Gerichtshofs im Wortlaut: