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Zu den Lehrerprotesten in verschiedenen Ländern Europas

Vorgestern erlebte Griechenland den zweiten kraftvollen Generalstreik in diesem Herbst. Am heutigen 12. Dezember ist sciopero generale in Italien angesagt. Von ferneren Kontinenten und Berichten über Fabrikbesetzungen in USA wollen wir gar nicht sprechen. Schon in Europa ist die Agitation so gross, dass hier nur ein kleiner Ausschnitt beleuchtet werden kann.

Häufung von Lehrerstreiks und neue Stufen des Kampfes

In grossen Ländern wie Italien, Frankreich und Deutschland haben die Lehrer eindrucksvolle Massenproteste veranstaltet und Streiks durchgeführt. In Bulgarien 2007 und in Rumänien im Oktober 2008 haben die Lehrer wochenlang gestreikt. In Griechenland, Portugal haben die Lehrerkämpfe – oft in Abwechslung mit gleich gerichteten Schüleraktionen – eine nie zuvor registrierte Höhe erreicht, was Umfang, Beteiligung und Kampfentschlossenheit anbelangt. Lehrerstreiks standen in diesem Jahr auch in Polen, Grossbritannien, Tschechien, auf den Balearen, in Österreich und anderen Ländern in den Schlagzeilen.

In dieser Woche traten die Gymnasiallehrer im Kanton Waadt (erneut) in den Streik, um gegen Abstufungen im Zusammenhang mit dem neuen kantonalen Lohnsystem zu protestieren.

Gerade im Bildungsbereich scheint sich eine Einsicht rasch den Weg bahnen: nämlich die Einsicht, dass die ökonomischen Kämpfe um bessere Löhne, Pensionen, Sozialrechte und Anstellungsbedingungen und zur Verteidigung des Koalitionsrechts und des kollektiven Arbeitsrechts nicht von den weiteren politischen Kämpfen zu trennen sind. Die Streiks schlagen in politische Streiks um.

Neue Kampfformen kommen dazu, wie der Boykott von regierungsverordneten Schulreformen durch die Lehrerschaft, die sie ausführen und anwenden sollte. In einigen Ländern finden wir wachsende Teile von Beschäftigten im Armee-, Polizei-, Beamtenapparat in soziale Kämpfe verwickelt. In Portugal kämpfen die Offiziers-, Unteroffiziers und Soldatenverbände gemeinsam um demokratische Rechte, die von der SP-Regierung bedroht werden. Im vergangenen Jahr hatten die britischen Gefängniswärter einen wilden Streik mit fast geschlossener Beteiligung geführt. Diese Kämpfe inmitten der Staatsorgane zeigen, dass sich das Grosskapital schon so weit isoliert hat, dass sich wichtige Kräfte absetzen, darunter sogar in Kreisen, auf welche der Kapitalismus zur Abstützung seiner politischen und ideologischen Herrschaft nicht verzichten kann.

Nach aller geistigen Demütigung und Degradierung, welche die Lehrer von Seiten der Bourgeoisie erfahren, und aufgrund der fortschreitenden Proletarisierung der Lehrerschaft, sind diese Bewegungen in vielen Ländern nicht mehr nur Zubehör, sondern zu einem Bestandteil des Kampfes für Fortschritt und Demokratisierung in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur geworden. Und es erweist sich einmal mehr in der Geschichte, dass die Arbeiterklasse als die am konsequentesten demokratische Klasse den politischen Gegenpol zur Monopolbourgeoisie darstellt. Sie muss diesen Kampf anführen und es ist wohl nicht Zufall, dass die Länder mit starken kommunistischen Parteien zu denen gehören, wo der Aufschwung der Lehrerbewegung zu immer höheren Wellen und das Umschlagen des Charakters der Kämpfe vom Wirtschaftlichen in das Politische am deutlichsten ausfallen.

Europas Lehrer gegen EU-Schulreformen

Die eingetretene und noch drohende Verarmung der Lehrer geht Hand in Hand mit der Einführung von Bewertungssystemen, welche die Lehrer nach Gesinnung und gemäss ihrem Eifer bei der Durchsetzung von neoliberalen Vorgaben mit Punkten belohnen und bestrafen. Die so gewonnenen Resultate sollen dann zur Entscheidungsgrundlage für beliebige Massnahmen betreffend Fortsetzungen und Bedingungen der Anstellung, Umfang des Pensums, Lohnhöhe und Karriereaussichten herangezogen werden können. Die wissenschaftliche Erbärmlichkeit des Bürgertums findet nicht zuletzt im grassierenden Unwesen der Ratings und Rankings einen angemessenen Ausdruck.

(Man kann die letzte Börsenkrise oder den Verlauf der Aktienkurse einer Grossbank als Probe für die Aussagekraft von Resultaten solcher Bewertungsverfahren heranziehen. Der Zusammenbruch von Aktienkursen betraf einige Bankhäuser, die bis vor kurzem noch ausgezeichnete Ratings von den massgeblichen Institutionen erhielten. In alle Ranking fliessen die Vorurteile ein, die zu den gleichen Fehlschlüssen führen wie sie die neoliberale Weisheit auf allen Feldern hervorbringt. Zu den notorischen Schwächen (oder im Vergleich zum Marxismus-Leninismus: Unterlegenheiten) der bürgerlichen Wissenschaft gehört ihre Ausrichtung auf die Oberfläche des Verhaltens und die damit verbundene einseitige Auswahl und einseitige Bearbeitung des Datenmaterials, in der Zerstückelung des Materials in Verhalten, das als Antwort auf bestimmte Reize interpretiert wird (Behaviorismus). Der typische Fall sind die wissenschaftlichen Studien, welche die schädlichen Auswirkungen bestimmter Regierungsmassnahmen in ihr Gegenteil zu verkehren versuchen. Grob gesagt gehen sie so vor: Von hundert regierungsfeindlichen Massnahmen wird eine isoliert und herausgegriffen, um dann festzustellen, dass die eingetretenen Schäden nicht “signifikant” mit der einzelnen Massnahme im Zusammenhang stehen würden. Mit dieser Methode kann man auch leicht beweisen, dass einer nicht signifikant des Hungertods gestorben ist, solange nicht das Stück Brot auf der Welt identifiziert ist, dessen Nichtverzehr ihn umbrachte.

Die Beschränktheit der Aussagekraft von Resultaten solcher Art Forschung hat die allgemeinere Ursache in ihrer Verhaftung und Verwurzelung im kapitalistischen Verwertungsstandpunkt. Dieser hat Jahrhunderte lang als Beschleuniger der Wissenschaften gedient und tut es in einigen eng begrenzten Bereichen immer noch. Aber in immer grösseren Bereichen, auch die Schule ist eine davon, erblickt man heute hauptsächlich oder überwiegend eine Fessel in der Logik des Eigentums – welche Brecht im ‘Leben des Galilei’ in die Kurzformel fasste: “Scudi wert ist, was Scudi bringt”.

Die faulen Früchte von Bologna

In den meisten kapitalistischen und vom Kapitalismus wiedereroberten Ländern Europas ist ein Niedergang des Bildungssystems festzustellen, der sich im Zuge der Liberalisierung, Privatisierung und Abschaffung von öffentlichen Diensten beschleunigt hat, je mehr die Schule den Konzernen als Jagdgrund aufgemacht wurde. In Umsetzung der EU-weiten sogenannten Bologna-Reformen wurden die Strukturen, Schulpläne und Vorgaben werden so umgekrempelt, dass das internationale Kapital in jedes Land eindringen kann. Alles was hinderlich sein könnte, wird ausgeräumt. Die englische Sprache und der US-fixierte Kulturimport nehmen zu, bis hin zur Nachäffung der akademischen Grade und Ausbildungsgänge.

Zu den demokratischen Zügen des schweizerischen Bildungssystems gehört, dass das Volk das letzte Wort über die Schulgesetze hat, dass es die Schulbehörden wählt und gegen Missstände Beschwerde führen kann. Diese Rechte des Volkes abzuschaffen, ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Umwandlung der Schule in ein Jagdrevier des Grosskapitals.

Durch die Bologna-Reform und weitere Massnahmen der EU und der Landesregierungen wird die Bildung privatisiert, entdemokratisiert, verteuert und elitisiert. Gefördert werden Selektionsmechanismen zur Fernhaltung der Proletarierkinder von höheren Bildungsgängen. Konkurrenz, Leistungsdruck. Die pädagogische Seite, das Streben nach umfassender Persönlichkeitsentwicklung, gehen völlig unter und weichen der ökonomistischen Leistungsmessung in Form von Rankings der Schulen, Kurse, Lehrer und Schüler anhand von Kriterien, die den Anforderungen der Konzerne und des Patronats entsprechen. Allein die dadurch hervorgerufenen Probleme haben in vielen Ländern zu gewaltigen Massenproteste gegen die EU-Bildungspolitik geführt.

Die transnationalen Konzerne und die Grossmächte, die sich die EU als Werkzeug ihrer Klassenherrschaft und Herrschaft über die schwächeren Länder aufgebaut haben, sind keine Demokraten. Die demokratischen Elemente im Schulsystem einiger Länder sind ihnen nicht nur ein Hindernis auf dem Weg zur Durchkapitalisierung der Bildung. Die Versuche der Kapitalkräfte zur Schwächung der öffentlichen Schulen bezwecken auch, diese Schulen in ihrer Rolle als ideologischer und politischer Stützpunkt der Demokratie und Widerstandspotential gegen den Neoliberalismus auszuschalten.

(12.12.08/mh)

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