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In der EU geht es drunter und drüber

Die neoliberalen Schrittmacher

Vor zwanzig Jahren begannen sich die neoliberalen Politiken in vielen Ländern Europas durchzusetzen. Die britische Regierung Thatcher ging in der Offensive gegen die Arbeiterrechte voran und verschrieb schon in den 1980er Jahren die neoliberalen Rezepte, mit denen die Konzerne zuvor bereits unter der faschistischen Diktatur in Chile traumhafte Profite erzielt hatten. Ohne zur offenen Diktatur zu schreiten, auf dem Parlamentsweg (verbunden mit intensivierten Aktivitäten zur Korrumpierung der Gewerkschaftsbürokratie) gelang den konservativen in Abwechslung mit Labour-Regierungen praktisch die Ausschaltung der Gewerkschaften, die früher einen grossen Einfluss in Wirtschaft und Politik im allgemeinen, und einen geradezu bestimmenden Einfluss auf die Labour Party ausübten.

Zu den Schrittmachern, welche die Neoliberalen in Europa beflügelten, gehörten auch die USA und Japan. Dem Kapital ist jede kulturelle Eigenheit recht, wenn sie nur den Profiten dient. So inspirierten sich die Neoliberalen an zwei sehr gegensätzlichen Erscheinungen: Zum einen an der lebenslangen und feudal anmutenden Betriebstreue der Japaner. Zum anderen ebenso an der Amerikanisierung des Arbeitsmarkts, die gerade jede Bindung des Kapitalisten an die Dauer eines Arbeitsvertrags aufhebt (hire and fire). Die Schweiz ist in einigen Dingen (Ausländer- und Asylrecht, Steuern) zum Vorbild der neoliberalen Umkrempelung geworden, und bei der Debatte über die Hartz-Reformen in Deutschland argumentierten die Sozialabbauer immer wieder mit den angeblich positiven Erfahrungen, welche die Schweiz mit ihrem Arbeitlosenregime gemacht habe.

Heute wird die Agenda von den EU-Institutionen in Absprache mit den wichtigsten Regierungen definiert und die einzelnen Stimmen im europäischen Orchester werden weitgehend zentral von supranationaler Warte aus dirigiert. Das Repertoire entspricht einem Wunschkonzert des Grosskapitals.

Voranschreiten der neoliberalen Offensive

Trotz erheblichen Stockungen und Rückschlägen infolge des Widerstands der Werktätigen geht die neoliberale Offensive nicht nur unvermindert weiter, sondern schreitet mit den Krisenbewältigungsmitteln nach dem Bush/Paulson-Plan zu einem Angriff von nie da gewesener Quantität und Qualität gegen die Arbeiterrechte.

Die Krise selbst hat bereits Billiardenlöcher in die Altersvorsorgesysteme der Länder gerissen, deren Reserven sich an der Börse in Luft auflösen. Allein in der Schweiz dürften nach Schätzungen des Bundesamtes für Sozialversicherung im letzten Jahr 70 bis 90 Milliarden Franken an Vorsorgegeldern durch den Börsencrash verloren gegangen sein. Im OECD-Raum sind in den ersten 10 Monaten des Jahres 2008 50 Billionen Dollar aus den Pensionskassen verschwunden. Rund um die Uhr werden Minute für Minute durchschnittlich 12 Millionen Dollar aus den Pensionskassen vernichtet.1

Aufschwung der Massenkämpfe

Ende 2008 lag die offizielle Arbeitslosenquote in der Eurozone bei 8%. Die amtliche EU-Statistik erfasste 17,9 Millionen Arbeitslose. Die Lage wird für immer mehr Europäer immer unerträglicher. Gleichzeitig mit der Intensivierung der neoliberalen Offensive wächst auch der Widerstand der Werktätigen.

In Frankreich, in Italien, in Grossbritannien, in Deutschland, in der ganzen EU und darüber hinaus werden grosse Streikkämpfe geführt und haben vielerorts schon eine Breite erreicht, die seit Jahrzehnten nicht mehr registriert wurde. Das gilt sowohl für sektorielle Arbeitskämpfe wie für politische Generalstreiks. Die Anzahl und Entschlossenheit der Kämpfenden nimmt zu. Zugleich ist in vielen Beispielen deutlich geworden, dass die kämpfenden Arbeiter nicht isoliert sind, dass sie breite Unterstützung finden, in der Regel die sogar die Sympathie der Bevölkerungsmehrheit geniessen und auf die Neutralität weiterer Kreise rechnen können.

Der griechische Generalstreik im Dezember (der zweite innerhalb von wenigen Wochen) und der jüngste französische Generalstreik sind deutliche Zeichen eines internationalen Aufschwungs der Arbeiterbewegung. Weniger bekannt ist der nahezu geschlossen befolgte portugiesische Lehrerstreik vom 19. Januar. Weit über 100’000 Lehrer traten am 19. Januar ebenfalls zum zweiten mal innert kurzer Zeit in den Streik und erteilten der Regierung eine gehörige Lektion. Noch höher als ihr Streikgrad von über 90% war allerdings die Beteiligung der bürgerlichen so gut wie der linken Medien am Verschweigen dieses Streiks.2

In Bulgarien, Litauen, Lettland, Griechenland, Frankreich und vielen Ländern der EU häufen sich die Proteste der Bevölkerung. Immer zahlreicher werden die Streiks und Strassenproteste, die sich nicht mehr nur gegen einzelne Übergriffe, sondern gegen die gesamte Regierungspolitik richten. In Island haben diese Proteste schon zum ersten Regierungssturz geführt. Die isländische Regierung kann sich in diesem Nichtmitglied der EU nicht so bequem wie andere hinter Brüssel und supranationalen “Sachzwängen” verschanzen und wird vom Volk direkt zur Verantwortung gezogen. Aber auch in vielen EU-Ländern nehmen die Protestbewegungen an Umfang und Intensität zu und setzen den Kampf gegen die Regierung auf die Tagesordnung. Dass dem isländischen Volk der Sturz der Regierung mit leichter Hand gelungen ist, hat es auch seiner Nichtmitgliedschaft in der EU zu verdanken. Andere Völker haben ihren ebenso unpopulären Regierungen wegen derselben Politik schon weit grössere Kämpfe geliefert, ohne zum gleichen Erfolg zu kommen. So konnte sich die Regierung in Irland bis heute halten, obwohl sie sich weigert, die Entscheidung des irischen Volkes gegen den EU-Vertrag zu akzeptieren und dem Volkswillen in Brüssel Nachachtung zu verschaffen. Trotz wochenlanger gewaltiger Massenkämpfe in Griechenland hat sich auch die dortige Regierung bis heute halten können.

Weitere Zuspitzung der Klassenkämpfe zu erwarten

Die Sturmzeichen aus der Industrie, die Schrumpfung der Produktion und Explosion der Arbeitslosenzahlen und der Kurzarbeit sprechen dafür, dass sich die Proteste der Bevölkerung nach nochmaliger, beschleunigter Herabdrückung der für Viele schon heute existenzbedrohenden Lage sehr bald in allen Ländern vermehren und verschärfen werden. Der Kampf um die Verteilung der Krisenlasten ist mit den sagenhaft teuren Rettungpaketen der Regierungen an die Finanzbourgeoisie erst gerade eröffnet worden. Es kann nicht ausbleiben, dass er das gesamte Sozialgefüge erschüttern wird.

EU heisst Sozialabbau und Abbau der Demokratie

In keinem der genannten Länder wurden die Versprechen an die Bevölkerung eingelöst. Die hehren Ziele der wirtschaftlichen Kohäsion zwischen den Regionen Europas wurden nicht verwirklicht. Die Abhängigkeit der Peripherie von den Kapitalzentren wurde vergrössert. Was an Angleichung tatsächlich und im Massenumfang stattgefunden hat, war eine Nivellierung der Löhne und Ausbeutungsregeln in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern auf den tieferen Stand der wirtschaftlich schwächeren Länder.

Wie die EU mit der Demokratie verfährt, hat das Jahr 2008 erneut deutlich gemacht. Mit allen Mitteln soll den Völkern die ungeliebte EU-Verfassung namens “Vertrag von Lissabon” aufgezwungen werden. Und schon der erste Monat des neuen Jahres zeigt allen, die noch Zweifel haben sollten, was die EU unter Demokratie versteht: die Vernichtung der demokratisch gewählten Regierung des wehrhaften palästinensischen Volkes, das mehr denn je zu seiner Hamas-Regierung steht und ihr nur den einzigen Vorwurf macht, dass sie nicht mit noch mehr Entschiedenheit gegen die barbarischen Feinde kämpft.

EU verschärft ungleiche Entwicklung der Regionen Europas

Die Entwicklung der EU, und erst recht die Finanz- und Wirtschaftskrise, und die auseinanderstrebenden Interessen der EU-Mitglieder in der Krisenpolitik, stellen natürlich auch den Ausgleich zwischen den mehr oder weniger entwickelten Regionen innerhalb der EU in Frage. Schon vor dem Ausbruch der Finanzkrise war von einer harmonischen Entwicklung der Regionen wenig zu sehen. Die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit der schwächeren Länder von den Grossmächten hat sich vergrössert, und ihre souveräne Selbstbestimmung über den eigenen Entwicklungsweg ist beschnitten worden.

Vor Jahrzehnten versprachen die Regierungen von Staaten wie Spanien, Portugal und Griechenland ihren Völkern als Folge des EU-Beitritts eine Angleichung ihres Lebensstandards an denjenigen von Deutschland und Frankreich. Tatsache ist, dass sich die wirtschaftlichen Probleme dieser drei Länder seit dem EU-Beitritt nicht gelöst, sondern verschärft haben.
  • Portugal ist wieder zum Armenhaus Europas geworden. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit der Einkommensverteilung mit einer Zahl von 0 (völlige Gleichverteilung) bis zu 1 (völlige Konzentration) misst, verharrt in Portugal bei einem Wert von 0,4. Verschiedene wirtschaftliche und soziale Indikatoren rücken immer mehr in die Nähe der Werte, wie man sie von Entwicklungsländern kennt, und wie sie Portugal selbst unter dem Faschismus registrierte.
  • Spanien meldet mit offiziellen 14,4% die höchste Arbeitslosenquote aller EU-Mitglieder. Seine Jugendarbeitslosigkeit wird mit sage und schreibe 29,5% ausgewiesen.
  • In Griechenland ist die Verzweiflung besonders auch unter den Jugendlichen so gross, dass sie in diesem Winter zu den gewaltigsten Massenbewegungen seit dem Sturz der faschistischen Junta 1974 geführt hat.
  • Einige Produktionsbereiche, die mit Mitteln aus dem EU-Kohäsionsfonds in diesen Ländern angesiedelt worden waren, sind inzwischen schon wieder in Gebiete mit noch tieferen Löhnen verschwunden. Andere Bereiche der Wirtschaft fallen der deutschen Konkurrenz zum Opfer, die inzwischen ebenfalls mit extrem tiefen Lohnkosten kalkuliert und deren Rolle als Waren- und Kapitalexporteur ihrem Gewicht in der EU-Politik entspricht.

(01.02.2009/mh)

Fussnoten:

1 siehe zur OECD: Pensionskassen: 5.000.000.000.000 Dollar Verluste

2 Zum portugiesischen Lehrerstreik vom 19.01.2009 siehe: Erneut streiken 90 Prozent der Lehrer in Portugal

 

Siehe auch: