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Griechischer Vizepremier: Portugal wird das nächste Opfer der Finanzmärkte

In einem Interview mit dem portugiesischen Wirtschaftsblatt «Jornal de Negócios» (5. April) griff der griechische Vizepremierminister Theodoros Pangalos die griechenfeindliche Propaganda in Deutschland an. Den deutschen Hardlinern wirft er ein «moralisches und rassistisches Herangehen» an die Frage vor. Pangalos verwies darauf, dass Griechenland seit Jahrtausenden ohne die Europäische Union existiert hat und ohne sie leben kann.

Die konkrete Frage der Journalistin, ob der Ausstieg Griechenlands aus dem Euro einen gangbaren Weg darstelle, mochte er allerdings nicht bejahen. Nicht Griechenland, sondern die die Gentlemen der EU hätten von diesem Weg gesprochen. «Ich möchte der portugiesischen Öffentlichkeit raten, in dieser Angelegenheit nicht neutral zu sein. Wenn die EU keinen Ausweg aus dieser Eskalation [der Zinskosten] findet, wird Portugal wahrscheinlich das nächste Opfer sein.» Gefragt, ob sich die Krise in der EU verbreiten werde, sagte der griechische Vizepremier: «Ja, gewiss. Was uns geschehen ist, weil wir jetzt gerade in der Klemme sind, könnte auch mit Spanien und Portugal passieren.»

Mit einem Defizit in der Höhe von 9,4 Prozent des Brutto-Inlandprodukts hat auch Portugal im Jahre 2009 die Staatsverschuldung erhöht. In Griechenland erreichte das Staatsdefizit letztes Jahr 12,7 Prozent des BIP. Griechenlands Schulden belaufen sich damit auf über 300 Milliarden Euro, das ist 115% der jährlichen Wirtschaftsleistung. Über 50 Milliarden Euro davon werden noch in diesem Jahr zur Rückzahlung fällig. Griechenland kam unter Beschuss eines koordiniertes Feuers der EU-Grossmächte, vorab Deutschlands, aber auch des Internationalen Währungsfonds. Mit einem solchen Flankenschutz von juristischen, politischen, diplomatischen, medialen Angriffen und Druckmitteln gedeckt, hatte das Grosskapital ein leichtes Spiel für all seine spekulativen Manöver gegen Griechenland, das nun von mithilfe der griechischen PASOK-Regierung von den Finanzjongleuren wie eine Zitrone ausgepresst werden. Nicht für seine eigenen Bedürfnisse, sondern um diese Haie zu befriedigen, muss das Land jetzt neue Schulden eingehen, und diese werden ihm nur zu drückenden Bedingung angeboten. Erstens werden Griechenland doppelte und dreifache Zinsen und Risikozuschläge aufgebürdet als jene von vergleichbaren Ländern wie etwa Italien, dessen Gesamtverschuldung relativ zum BIP (115%) gleich hoch ist wie die griechische. Zweitens verlangt das imperialistische Grosskapital einen politischen Zins: die Defizite müssen der Arbeiterklasse auferlegt werden, die Ausbeutungsrate ist zu steigern.

Vor Monaten hatte Pangalos Aufmerksamkeit erregt, als er die EU-Grossmacht Deutschland daran erinnerte, dass Griechenlands Wirtschaft durch die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg ausgeplündert und ruiniert wurde. Laut dem griechischen Vize wurde das von Deutschland geraubte Gold und Devisen der griechischen Zentralbank bis heute nicht zurückerstattet. Berlin streitet dies ab.

Hauptquelle (port., Audio des Interviews in engl. Sprache): Jornal de Negócios (5 de avril 2010)


Soweit die Fakten. Ein Kommentar:

Vorab ist festzuhalten, dass Staatsdefizite im Bereich des griechischen objektiv keine Weltuntergangsstimmung rechtfertigen. Defizite werden in ihrer Bedeutung herunter oder hochgespielt, wie es gerade in die Pläne des Grosskapitals passt. Als das deutsche Kapital die DDR zerschlug, hiess es, diese sei unrettbar verschuldet und bedürfte zur Heilung des Verschlucktwerdens. Schliesslich brachte die DDR eine Gesamtschuld von 86,3 Milliarden DM in die staatliche Einheit ein. Die gesamte Schuld der öffentlichen Haushalte der Bundesrepublik belief sich zu diesem Stichtag auf 924 Milliarden DM.1 Viele bürgerliche Vorzeige-Regierungen der Geschichte haben weit höhere Ausgabenüberschüsse vorgelegt, als Griechenland 2009, aber die EU-Maastricht-Richtlinien lassen nur 3% Defizit zu. Begründet wird diese Höchstgrenze mit der Sorge um die Stabilität des Euros. Gesetzestechnisch handelt es sich um ein Mittel, durch eine übergeordnete EU-Klausel mit einem einzigen Schlag sämtliche nationalen Verfassungen und Gesetze zu brechen, welche staatliche Löhne, öffentliche Dienste oder Sozialversicherungsleistungen und weitere Arbeiterrechte und Volksrechte garantieren. Alle materiellen Errungenschaften der Arbeiterklasse sollen für den Staat nur noch gelten, soweit ihre Summe nicht zur Defizitüberschreitung führt. Gleichzeitig verpflichtet die EU ihre Mitglieder zu extremen und ständig höheren Rüstungsausgaben, die zum Beispiel über dem Doppelten der schweizerischen liegen.

Natürlich wissen die Blutegel Griechenlands, dass ihr Opfer im Ergebnis dieser Kur nicht gesunden kann, sondern in ständig tiefere Verschuldung und Abhängigkeit herabgedrückt wird. Die Wirtschaftstätigkeit des Landes wird gebremst, die Steuereinnahmen drohen trotz Steuererhöhungen zu schrumpfen, wachsen werden voraussichtlich die Schattenwirtschaft, die Kriminalität, die Korruption.

Am finanziellen Beutezug gegen Griechenland beteiligten sich sehr unterschiedliche Formationen der “Wirtschaft”; neben den abgekarteten Aktivitäten der Gläubiger und Kreditanbieter und der Rolle der vermittelnden Banken dürfen wir auch die Rolle von Rating-Agenturen, Wirtschaftspresse und anderen Meistern der self-fullfilling prophecy nicht unterschätzen. Sie sichern den grossen Fischzügen gegen einen finanziell Geschwächten (ob Betrieb, Währung oder Schuldnerstaat) den Erfolg, indem sie auch das kleinere Mitläuferkapital in Bewegung setzen, das auf der Spekulationswelle mitzureitet, um sich ein Stückchen vom Kuchen zu ergattern. Die Bewertung der Kreditwürdigkeit einzelner Länder durch die grossen Rating-Agenturen wird nach willkürlichen, politisch gefärbten Kriterien vorgenommen. Spanien, Italien und Belgien werden ausgesprochen wohlwollend eingestuft. Dagegen warnte die Agentur Moody’s vor einem “langsamen Tod” Portugals und Griechenlands und mahnt drastische Einschnitte an.2 So werden heute Kriegserklärungen an die Völker formuliert.

Und die Regierungen Portugals und Griechenlands – beide geführt von Rittern der Sozialistischen Internationale – erniedrigen sich zu Herolden des Imperialismus und überbringen die Kriegserklärung dem eigenen Volke. Wenn nun der griechische Vizepremier Pangalos Zeit zu Zeit verbal gegen die deutschen Herrschaftsansprüche auftritt, dann muss er sich fragen lassen, ob seine lautstarken Worte etwa gesprochen sind, um die volksfeindliche Rolle der PASOK-Regierung zu verschleiern. Die griechischen Minister sind es gewohnt, dem Imperialismus alle Dienste zu tun und gleichzeitig vor dem Volk den Tanz der Entrüstung gegen den Imperialismus zu tanzen; am deutlichsten wurde dies beim Serbienkrieg, den 90% der Griechen ablehnten.

(06.04.2010/mh)
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1 Ralph Hartmann: Reiche DDR? Arme BRD! (sopos.org)

2 Ralf Streck: Kreist auch über Portugal der Pleitegeier? (heise.de, 18.01.2010)


Siehe auch:


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