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Am 29. April hat die PdA im Stadtrat Bern ein Postulat eingebracht, das die Errichtung eines Museums der politischen Emigration in der Schweiz, mit Sitz in Bern vorschlägt. Es soll nach Wladimir Iljitsch Lenin benannt werden, der während des Ersten Weltkrieges eine zeitlang in Bern zubrachte. Das Postulat Zbinden verlangt ein “nicht museales” Begegnungs- und Forschungszentrum, das unter anderem die wichtige Bedeutung der Schweiz als strategisches Rückzugsgebiet für oppositionelle Organisationen und ebenso den fortschrittlichen Impuls der politischen Emigranten auf die Entwicklung der Schweiz dokumentieren soll. Wir veröffentlichen den parlamentarischen Vorstoss im Wortlaut:


Stadtrat Bern, Postulat Rolf Zbinden (PdA):

Bern verdient endlich ein «Lenin-Haus – Museum der politischen Emigration»


1.) Diesen Monat jährt sich der 140. Geburtstag (22.4.1870) einer der weltbekanntesten Persönlichkeiten, die jemals in Bern gehaust hat. Er kam im September 1914 nach Bern und wohnte hier am Seidenweg. Er war kein Berner und kein Schweizer. Er war “integriert”, sprach fliessend deutsch und beteiligte sich am öffentlichen Leben. Er trat als Redner auf, schrieb für die “Berner Tagwacht” und war aktives Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz. Er kritisierte vieles und begründete seinen Umzug nach Zürich damit, dass er sich in Bern in einem “kleinbürgerlichen Käfig” eingesperrt fühlte. Doch er wusste manches hier zu schätzen, verbrachte viele Stunden in Berner Bibliotheken und nahm den hohen Stand ihres Service public zum Vorbild für seine russische Heimat. Lobend berichtete er den Russen, dass Bücher, die er einmal von Beatenberg aus bei einer Berner Bibliothek bestellt hatte, ihm ohne Umstände an diesem Bergort zugestellt wurden, und zwar postwendend und kostenlos. Lenin. Warum sollte Bern nicht daran erinnern dürfen? Es wäre gleichzeitig eine Erinnerung an ruhmvollere Zeiten der schweizerischen Asylpraxis. Wäre nicht gerade jetzt der gegebene Zeitpunkt dafür, nämlich rund 100 Jahre nach Lenins Aufenthalt in der Schweiz und rechtzeitig vor der Hundertjahrfeier der Oktoberrevolution, durch welche Lenins Namen in die Geschichte einging? Es stände Bern gut an, sich Lenins mit einer Gedenktafel und einer Ausstellung zu erinnern, und es würde dieser Stadt nicht schaden, den Blick in die Geschichte mit prospektiven und proaktiven Programmen, Forschungsprojekten und Anlässen zum Themenkreis politische Emigration und internationale Solidarität zu verbinden

2.) Lenin ist nicht der einzige politische Emigrant, den Bern aufgenommen hat. Im Ersten Weltkrieg hielten sich viele Russen hier auf und viele Deutsche, die als “vaterlandslose Gesellen” beschimpft und als “Reichsfeinde” vertrieben worden waren: In der langen Liste von Emigrantinnen und Emigranten in unserer Stadt finden wir viele illustre Namen von Vertretern der unterschiedlichsten Weltanschauungen, vom dialektischen Materialisten Lenin über Ernst Bloch, Walter Benjamin und Hermann Hesse bis zum jüdischen Mystiker Scholem. Nicht selten kam es vor, dass Oppositionsparteien, die in ihren Ländern scharf unterdrückt wurden, in der Schweiz ihre Zeitungen drucken oder hier ihre Konferenzen abhalten konnten. Namentlich die deutschen Sozialdemokraten fanden in der Zeit des Sozialistengesetzes ab 1878 hierzulande willkommene Rückzugsmöglichkeit. Dies war auch während dem Ersten Weltkrieg ganz ähnlich. In Bern (und unter Lenins Einfluss) fanden 1915 zwei internationale Kongresse statt: Im März tagte unter dem Vorsitz von Clara Zetkin die «Internationale Sozialistische Frauenkonferenz». Mit dieser Initiative nutzten die proletarischen Frauen den Vorteil, dass sie nicht den für Wehrpflichtige geltenden Ausreisebeschränkungen unterstanden. Im April folgte die «Internationale Sozialistische Jugendkonferenz» unter der Leitung von Willi Münzenberg, dem Sekretär der sozialdemokratischen Jugendorganisation der Schweiz. Diese Berner Konferenzen dienten auch der Vorbereitung der internationalen Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal. In der Zeit der faschistischen Herrschaft in Deutschland und Italien wurde die Schweiz, obwohl sie ihr Ausländerrecht erheblich verschärfte, wiederum für viele zur Zufluchtsstätte.

3.) Es ist bekannt, dass viele der politischen Einrichtungen, derer wir uns in Bern und in der Schweiz rühmen, im Gepäck von verfolgten Emigrantinnen und Emigranten in die Schweiz gelangt sind. Von grossem Einfluss für die freisinnigen Verfassungen des 19. Jahrhunderts waren die “Nassauer” um den Staatsrechtler Ludwig Snell, der 1834 nach Bern berufen wurde. Viele Deutsche beteiligten sich sich auch an den ideologischen Kämpfen oder ergriffen die Gewehre, wenn die freisinnige Schweiz bedroht war. Der positive Impuls der politischen Immigration für die Entwicklung der Schweiz wird übrigens auch von Herrn Bundesrat Ueli Maurer in seiner bekannten Rede “Indianer und Kavallerie” vom 22.06.2009 hervorgehoben. Dieser positive Einfluss ist aber noch nicht in genügendem Masse bekannt. Eine Aufklärung hierüber bedarf zusätzlicher Mittel und Anstrengungen. Diese Dokumentationskosten der Wahrheit darf man nicht scheuen. Um das Dauerfeuer gewisser kostspieliger Kampagnen zur Diffamierung von Immigranten zu neutralisieren, bräuchte es noch wesentlich mehr Mittel.

Aus diesen Gründen sollte es sich die Stadt zur Aufgabe machen, ein “Lenin-Haus – Museum der politischen Emigration” zu errichten. Ein solches Museum der politischen Emigration in der Schweiz wird sich aber nur dann ehrlich auf den Namen des bekannten Emigranten berufen können, wenn es als nicht-museale Institution der Zukunftsgestaltung konzipiert wird.

Der Gemeinderat wird deshalb beauftragt, folgende Massnahmen zu prüfen:

  • Unter dem Namen “Lenin-Haus – Museum der politischen Emigration” plant die Stadt Bern die Errichtung und den Betrieb eines Forschungsinstituts, Kompetenzzentrums und Museums der politischen Emigration in der Schweiz.
  • Diese Planung erfolgt in eigener oder gemeinschaftlicher Trägerschaft mit anderen nicht gewinnorientierten Trägern.
  • Das Museum der politischen Emigration dient der Auseinandersetzung mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Asyllebens in der Schweiz.
  • Es dokumentiert die Geschichte der politischen Emigration in die Schweiz, einschliesslich der materielle Lage und der politischen Arbeitsbedingungen der Immigrantinnen und Immigranten.
  • Es beleuchtet den wichtigen Beitrag der Schweiz als Zufluchtsort für politisch verfolgte Personen und als strategisches Rückzugsgebiet für ihre unterdrückten Organisationen.
  • Es beleuchtet den bedeutenden fortschrittlichen Impuls, den die Schweiz ihrerseits den politischen Immigrantinnen und Immigranten verdankt.

Rolf Zbinden, PdA Bern, 29.4.2010


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