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Europäische Mythologie

Von Jorge Cadima (PCP)


Die beiden letzten Jahre haben die Mythen reihenweise zu Boden gestürzt. Es wurde klar, dass der Kapitalismus, wie anno 1929, in Übereinstimmung mit seinen Gesetzen funktionierend, eine gigantische Weltkrise hervorrief. Und dass alles gültig ist, um das Grosskapital zu retten, den für die enormen Ausmasse der Krise verantwortlichen Verwalter. Während die Arbeiter mit Arbeitslosigkeit und die Nationalstaaten (zur Bestätigung, wessen Interessen sie dienen) mit Schäden, Schulden, toxischen Papieren und Risiken zurückbleiben. Retten ohne dafür Gegenforderungen zu stellen, ohne die «Spielregeln» zu ändern, ohne die Macht und die Profite des Grosskapitals einzuschränken. Jetzt behaupten sie, dass die finanzielle Lage der Staaten nicht mehr haltbar ist. Aber dies ist das direkte Ergebnis der Lösegelder an das grosse Finanzkapital. Und so nicht nicht nur in Griechenland und Portugal, sondern in zahlreichen Ländern, angefangen mit den USA und England.

Heute zerstäuben viele der Mythen. Es liegt auf der Hand, dass wir uns nicht «am Ausgang der Krise» befinden. Wer daran glaubte, dass «Europa mit uns» und der Euro ein sicherer Hafen seien, in dessen Namen man die nationale Souveränität opfern müsse, findet dort die Realität der spekulativen Märkte. Für jene, die an das «Sozialmodell Europa» oder an die «Solidarität unsere europäischen Partner» glaubten, haben nun eine Europäische Kommission, die Lohnsenkungen, den Einschnitt in die Pensionen, die Entlassung von Tausenden von Angestellten der öffentlichen Hand, den Abbau der Sozialdienste durchsetzt. Nicht um den Ländern bei den Schwierigkeiten in der Bezahlung von Schulden zu «helfen», sondern um den Gläubigern zu helfen, das sind vor allem deutsche und französische Banken. Für jene, die behaupten, EU und Euro seien «unvermeidlich» und «irreversibel», gibt es eine Nachricht von El Paí­s (14.5.19): Laut Zapatero drohte Sarkozy (indem er auf den Tisch klopfte) dass Frankreich den Euro verlassen werde, wenn Deutschland kein grünes Licht für das jüngste Massnahmenpaket geben sollte. Oder die Erklärungen von Angela Merkel, dass einige Länder vom Euro ausgeschlossen werden können. Dies wirft einen anderen Mythos zu Boden, jenen der «geteilten Souveränität». Die «Souveränität» in der EU gehört den Grossmächten. Das sah man, als Deutschland und Frankreich an der Reihe waren, wegen Überschreitung der Defizit-Limite von 3% des Staatshaushalts gebüsst zu werden. Es wurde beschlossen, diese Regeln zu suspendieren. Dazu muss man sagen, dass einige PIIGS gleicher sind als die anderen…

Es ist heute klar, dass der Klassenkampf, entfernt davon, eine Sache der Vergangenheit zu sein, zum Schlachtruf der Europäischen Kommission und ihrer Aufseher in jedem Land geworden ist. Sie profitieren von der Krise, um als Klasse die Massnahmen zu beschleunigen, die sie schon zu ergreifen beschlossen hatten, um neue qualitative Sprünge zu machen auf dem Weg zur jedesmal tyrannischeren «Integration Europas» im Dienste des Grosskapitals und der Grossmächte. Der senile Kapitalismus unserer Tage, weit entfernt von einem «effizienten», «dynamischen» System, das «Reichtum schafft» und diesen «von oben nach unten verteilt», ist ein riesiger Staubsauger, der allen Reichtum des Planten einsaugt und, so wie eine Heuschrecken-Plage, alles auf seinem Weg zerstört: Industrien, Regionen, Länder, Kontinente. Kein Volk ist vor dieser Plage abgeschirmt – weder die Länder der Peripherie, noch die Länder im Zentrum des Systems.
Niemand lasse sich durch den Mythos einlullen, dass «wir alle Opfer erbringen müssen, um aus der Krise heraus zu kommen». Es wird keine Opfer des Grosskapitals geben. Noch wird es den Ausweg aus der Krise geben. Die jetzt getroffenen Massnahmen werden den Appetit des Monsters nicht sättigen. Es ist bereits klar, dass das von EU und IWF geschnürte Paket von 750 Milliarden Euro, das gutgeheissen wurde, um «die Märkte zu beruhigen» (die gestern noch «Spekulanten» waren), gar nichts lösen wird (Martin Wolf, Financial Times, 12.5.10). Wenn das Problem der Überschuss der Schulden ist, dann wird eine noch höhere Verschuldung, begleitet von einem wirtschaftlichen Abschwung, das Problem nur vergrössern.

Wer den Portugiesen die EU verkauft hat, der verkaufte die Illusion, dass wir zu einem kleinen Deutschland werden würden. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass wir zu einem kleinen Argentinien werden. Anstelle der nationalen Produktion, bleiben uns die Schulden. Anstatt der Souveränität, werden wir die Kontrolleure der EU haben, welche den Platz der Assembleia da República [des port. Parlaments] einnehmen. Es ist Zeit, die Mythen zurückzuweisen und der Realität zu begegnen. Die Völker haben nur einen Weg: widerstehen, kämpfen, sich erheben.

Original (port.): Jorge Cadima: Mitologia europeia – In: «Jornal Avante!» nº 1903 (20 de Maio de 2010) — Übersetzung: kommunisten.ch (mh/ah)


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