Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall meldet für drei Quartale des Jahres 2025 einen Rekordauftragsbestand von 64 Mrd. Euro. Die Waffenproduktion wird aktuell auf 13 weitere Standorte erweitert. Foto: iStock
Die grosse Illusion: Wie die Aufrüstung Deutschlands seine Deindustrialisierung beschleunigt
Aufgrund der suizidalen Sanktionspolitik der Europäischen Union drohen in Von der Leyens Reich ganze Industriebereiche wegzubrechen, in erster Linie natürlich in Deutschland, das bis anhin noch über eine industrielle Basis verfügt hatte. Unterdessen sieht es mehr als düster aus. Das Land taumelt in Beschäftigungsnot und Verelendung. Die deutsche politische Elite hält jedoch unbeirrt an ihrer kriegerischen Revanchepolitik gegenüber Russland fest; Milliarden werden im Korruptionssumpf der ukrainischen Nazis versenkt. Die «paradiesischen Zeiten» seien vorbei, erklärt der Regierungschef. Die sozialdemokratischen Mitregierer hoffen nun darauf, dass gross angerichtete Aufrüstung wenigstens für jenes Wachstum sorgt, das die krankende Exportwirtschaft nicht mehr bringt. Aufschwung dank Panzer- statt Autobau? Funktioniert das? INGAR SOLTY von der Rosa-Luxemburg-Stiftung sagt: Nein. Er begründet nachstehend in sechs Schritten, warum der Militärkeynesianismus die laufende Deindustrialisierung nicht bremst. Im Gegenteil, die Hochrüstung ist ein Brandbeschleuniger der Deindustrialisierung und des industriellen Arbeitsplatzabbaus mit allen ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen.
Das deutsche Exportmodell steckt in einer Existenzkrise. Eine blockierte Transformation und Elektrorevolution, zwei Jahre konsekutives Negativwachstum, die Schliessung und Verlagerung von Industrieunternehmen und damit der massenhafte Abbau von Industriearbeitsplätzen sprechen Bände. Dasselbe gilt für die Zunahme schutzzöllnerischer Vorgehensweisen im Westen, die andeuten: Eigentlich wollten deutsche Automobil- und andere Konzerne den chinesischen Markt erobern, heute nehmen sie den deutschen Staat in die Pflicht, zu schützen, was sie schon haben. Die EU steckt im Zangengriff aus hyperwettbewerbsfähiger chinesischer Wirtschaft und Trumps Triumph im Zollstreit mit der EU. Was gegen die Volksrepublik misslang, war an Machtpotenzial für die Europäische Union noch gut genug.
In dieser Situation verspricht die deutsche Regierung, dass die grösste Aufrüstungswelle seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu wirtschaftlichem Wachstum führen werde. Auf der Tagung «Wirtschaftsfaktor Rüstung», die das Handelsblatt im Sommer veranstaltete, versprach die deutsche Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, dass die Aufrüstung «auch eine wirtschaftliche und eine technologische Chance für Deutschland» sei. Einer der zentralen Stichwortgeber der Aufrüstung in den deutschen Medien, Carlo Masala von der Armee-eigenen Universität in München, versprach in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Aufrüstung werde zum «Jobmotor». Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, erwartet im Ergebnis der Rüstungsausgaben immerhin ein Wachstum von 1,5 Prozent für den gesamten Euroraum.
Auch im IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung, einer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nahestehenden Stiftung, verspricht man sich von der Aufrüstung positive Wachstumseffekte. Die deutsche Industriegewerkschaft Metall wiederum sieht sich mit einer Situation konfrontiert, in der an die Stelle von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie und bei ihren Zulieferern nun solche bei den Rüstungskonzernen treten: Ganze Volkswagen-Werke sollen, wie in Osnabrück, in Rheinmetall-Werke umgewidmet werden, in Görlitz werden künftig statt Strassenbahnen Panzerfahrzeuge gebaut, auch in weiteren deutschen Städten droht eine solche Umwandlung von ziviler in Militärproduktion. Manchem erscheint die Aufrüstung darum als Gegengift zur Deindustrialisierung.
Wachstumsmotor Hochrüstung?
Was ist nun von diesen Versprechungen zu halten? Ist Rüstungskeynesianismus ein Ausweg aus der Krise der Wirtschaft? Kann an die Stelle des existenzkriselnden Exportmodells nun Hochrüstung als makroökonomisches Allheilmittel treten? Sichert die Aufrüstung kurzfristig Arbeitsplätze, ganz nach dem Keynesschen Motto: «In the long run we are all dead», womöglich in einem grossen Krieg, aber kurzfristig lassen wir es nochmal krachen? Tatsächlich ist, selbst wenn man ihrer instrumentellen Logik folgt, die Gleichung Aufrüstung gleich Deindustrialisierungsantidot, rein ökonomisch betrachtet, kurzsichtig – und zwar aus sechs Gründen:
Erstens: Insofern die USA den hochgradig monopolisierten Weltmarkt für Rüstungsgüter dominieren – die fünf grössten Rüstungskonzerne der Welt sind alles US-amerikanische –, bedeuten die Hochrüstungsmassnahmen letzten Endes, dass die europäische Arbeiterklasse mit ihren Steuergeldern die Profite von Raytheon, Lockheed Martin, Northrop Grumman, Boeing und Co. und die Dividendenausschüttungen an deren Aktionäre finanzieren. Sie bedeuten, dass die europäischen Staaten, ja alle US-Verbündeten ein militärkeynesianisches Rüstungsprogramm finanzieren, aber nicht für sich selbst, sondern in weiten Teilen für die USA. Wirtschaftspolitisch betrachtet könnte man genauso gut Milliardensummen ohne Gegenleistung an Donald Trump überweisen.
Zweitens: Staatliche Ausgaben – militärische wie zivile – führen immer und überall zu direktem und indirektem Wachstum: Investitionen in Rüstung kurbeln die Stahlproduktion an, Investitionen in Gesundheit die Pharmazeutik usw. Das Besondere an Rüstungsausgaben ist jedoch: Sie sind tote Konsumtion. Rüstung funktioniert im Kern wie schlichter Massenkonsum, etwa durch das Versenden von Schecks an die Bevölkerung, die einfach konsumtiv ausgegeben werden. Denn einmal produziert, liegen die Waffen herum; es sei denn, sie kommen in einem Krieg zum Einsatz und es entsteht, wie im militärisch-industriellen Komplex der USA, Dauerbedarf. In jedem Fall erweitern Investitionen in Waffen nicht das kapitalistische Wachstum auf höherer Stufenleiter.
Investitionen in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz oder eine andere Industriepolitik versprechen eine deutlich grössere konjunkturelle Wirkung, da ihnen ein höherer Multiplikatoreffekt innewohnt, der sich in Form von Arbeitsplätzen, neuen Wachstumsbranchen und Ähnlichem niederschlägt. Jüngere vergleichende politökonomische Forschung zeigt: Investitionen in Umwelt, Bildung und Gesundheit erzeugen in Deutschland, Italien, Spanien und Grossbritannien höhere Wachstumsimpulse. Auch in den USA liegt der Multiplikatoreffekt bei Bildung und Gesundheit über dem der Rüstung – lediglich Umweltinvestitionen schneiden dort schlechter ab.
In Deutschland ist das Wachstum durch staatliche Ausgaben für Bildung und Gesundheit fast dreimal so hoch wie bei Rüstung und bei Umweltinvestitionen immer noch fast doppelt so hoch. In Italien entstehen pro eine Million Euro Ausgaben des öffentlichen Sektors drei Arbeitsplätze durch Rüstung, im Bildungssektor dagegen elf.
Je stärker also Investitionen in Umwelt, Bildung und Gesundheit zugunsten des Schuldendienstes für die Aufrüstung gekürzt werden, desto stärker verteilt die Rüstungsproduktion das Wachstum zuungunsten der Beschäftigten: Dem erhofften BIP-Wachstum von 1,5 Prozent stehen geplante Rüstungsausgaben von 3,5 Prozent des BIP gegenüber. Die EU rechnet für Deutschland im nächsten Jahr nun mit einem Wachstum von 1,1 Prozent, die Wirtschaftsweisen haben dies weiter nach unten korrigiert, auf 0,9 Prozent.
Drittens: Auch der Beschäftigungseffekt der Kriegswirtschaft ist zu vernachlässigen und kann die Arbeitsplatzverluste in der zivilen Industrie (u. a. in der Autoindustrie) nicht auffangen. Im Allgemeinen ist wenigstens ein Wachstum von 2,5 Prozent vonnöten, um vor dem Hintergrund von Produktivitätssteigerungen und bei gleichbleibend hoher Arbeitszeit das Beschäftigungsniveau zu halten. Während heute also auch in der deutschen Industriegewerkschaft Metall diskutiert wird, ganze VW-Werke in Rheinmetall-Werke umzubauen, um statt Autos Kriegsgerät zu produzieren, sind die Erwartungen an den Beschäftigungseffekt der Hochrüstung eher gering: Neue Studien gehen von 200 000 neuen Arbeitsplätzen aus, die in den nächsten Jahren in Deutschland entstehen könnten. Dagegen steht heute allein in der Autoindustrie, das heisst ohne Zuliefererbetriebe von der Metallerzeugung bis zur Software, der Abbau von 245 000 Stellen seit 2019 und allein 114 000 Stellen im vergangenen Jahr. Hinzu kommt der Stellenabbau der Zulieferer, der sich allein in der Metallerzeugung im vergangenen Jahr auf 12 000 Stellen summierte. Dabei sind sich alle Experten einig, dass die Krise der Autoindustrie gerade erst begonnen hat. Umgekehrt erscheinen die Hoffnungen auf starke Beschäftigungseffekte durch die Waffenproduktion eher optimistisch, da die Panzerfertigung künftig zunehmend automatisiert wird und Kriegsführung zusätzlich immer stärker auf Drohnen verlagert wird.
Viertens: Aufrüstung geht auch zulasten ziviler Produktion. Die Folge ist die Verknappung von zivilen Konsumgütern. Die Folge der Angebotsverknappung wiederum ist Teuerung, Inflation, also ein sinkender Lebensstandard für die Arbeiterklasse. Dieser hat aber zwangsläufig Folgewirkungen für die aggregierte Nachfrage. Davor warnte vor dem Ersten Weltkrieg schon der österreichische Politökonom und Sozialdemokrat Otto Bauer: «Bei aller Sparsamkeit» könne der Staat die Summen für die Aufrüstung niemals woanders «ersparen». Das «Defizit» werde also «natürlich immer grösser, wenn die Ausgaben für den Militarismus so schnell wachsen». Der Staat werde daher «die Steuern erhöhen müssen, um das Defizit zu decken». Die Folge hiervon: «Wenn der Arbeiter mehr Steuern zahlen muss, kann er weniger für Kleider, Wäsche, Schuhe, Bücher ausgeben.» Das würden dann aber wieder die Industriezweige, «die diese Waren erzeugen», zu spüren bekommen; sie «werden weniger Arbeiter beschäftigen können, weil sie weniger Absatz haben». Im Ergebnis: «Es werden mehr Arbeiter bei der Erzeugung von Mordwerkzeugen, dafür aber weniger Arbeiter bei der Erzeugung von Kleidern, Wäsche, Schuhen, Büchern beschäftigt werden!» Die Aufrüstung ist also ein Nullsummenspiel, der «Militärkeynesianismus» eine Scheinrechnung, auch rein ökonomisch betrachtet.
Fünftens: Die Einleitung einer Kriegswirtschaft behindert nun auch die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft auf die Dauer. Denn sie verschiebt gesellschaftliche Ressourcen, Ingenieurs-Know-how, Hochschulforschung usw. weg von gesellschaftlichen Zielen wie dem Klimaschutz, der Mobilitätswende und der sozialen Gerechtigkeit, die nicht nur gesellschaftlich sinnvoller wären, sondern eben auch mit höheren Multiplikatoreffekten. Daraus ergibt sich auch eine weitere, alles entscheidende Konsequenz.
Nämlich sechstens: Rüstungspolitik ist kein Antidot zu Deindustrialisierung, sie ist ein Treiber von Deindustrialisierung. Kurz: Zwischen Aufrüstung und dem Verlust der industriellen Basis eines Landes besteht ein sehr enger Zusammenhang. Dies zeigt die Geschichte. Der Aufstieg Chinas wurde erleichtert durch die Tatsache, dass die Volksrepublik nach dem Ausgleich mit den USA 1972/73 im Windschatten der Vereinigten Staaten sich rein auf die zivile Entwicklung konzentrieren konnte, während die Sowjetunion im «Second Cold War» von den USA zu einer massiven Aufrüstungslast zulasten ihrer zivilen Produktion gezwungen und letztlich totgerüstet wurde. Die im Weltkrieg besiegten und und anschliessend besetzten (West-)Deutschland und Japan wurden nach 1945 zu den am weitesten entwickelten Ökonomien des Kapitalismus und zum Hauptkonkurrenten für die USA nicht bloss deshalb, weil ihre Infrastruktur zerstört war, sondern weil ihre Rüstungsausgaben konstant niedrig blieben. Grossbritannien und Frankreich hatten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stetig hohe Militärausgaben mit einer Spezialisierung in der Waffenproduktion, und im gleichen Masse erlebten sie eine schnellere Deindustrialisierung. Die Bundesrepublik Deutschland, Italien und Spanien hingegen weisen historisch vergleichsweise niedrigere Militärausgaben mit einer Spezialisierung in ziviler Produktion auf, und im Ergebnis vollzog sich der Prozess der Deindustrialisierung langsamer oder, im Falle Deutschlands, fast gar nicht. Ein wesentlicher Grund: In Deutschland, Italien und Spanien war historisch der zivile Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (R&D) sehr viel geringer als in Grossbritannien und Frankreich.
Mit anderen Worten: Aufrüstung stürzt die Europäische Union in verschärftere, nicht geringere Deindustrialisierung, verlangsamt sie nicht, sondern beschleunigt sie. Sie ist sogar in ausschliesslich ökonomischer Hinsicht ein schlechter Deal: Höhere Militärausgaben bedeuten weniger Wohlstand und weniger Arbeitsplätze.
Ein militärisch-industrieller Komplex und seine Folgen
Die gesellschaftlichen Kosten und politischen Konsequenzen der Aufrüstung sind also gigantisch. Ein Ende des Niedergangs ist nicht in Sicht. Die deutsche Politik stellt die Bevölkerung längst darauf ein: Deutschland werde «buchstäblich ärmer», sagte schon zu Beginn des Ukrainekriegs und der Sanktionspolitik der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auch der heutige Regierungschef Friedrich Merz, damals noch Oppositionsführer, stimmte die Bevölkerung auf niedrigere Erwartungen ein. Die besten Jahre lägen hinter uns, sagte er damals und meinte damit natürlich nicht sich und seine Klasse. Nach der Wahl verknüpfte Merz die Ankündigung der Hochrüstung mit der Ankündigung von massiven Sozialkürzungen und Lebensarbeitszeitverlängerungen: Das «Paradies» sei vorbei.
Heute sagen Vertreter der Bundesregierung, dass die Rente «nicht mehr zum Leben reichen» werde, dass die Lohnabhängigen künftig bis 70 arbeiten müssten und dass, wer das Renteneintrittsalter dann tatsächlich noch erreicht und nicht vorher schon aus Erschöpfung in die Grube fährt, dann auch seine Medikamente nicht mehr bezahlt bekommen soll.
Die deutschen Sozialdemokraten hofften, mit der Aufhebung der Schuldenbremse für die Rüstung dem Widerspruch Raketen oder Rente, Kampfschiffe oder Kindergärten, Schützenpanzer oder Schulen zu entkommen. Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Industrieumbau, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz werden mit der Hochrüstung unter die Räder kommen. Der Grund ist simpel: Die Kosten der Aufrüstung lassen sich zwar in die Zukunft verlagern und zukünftigen Generationen aufbürden, sofern ein grosser Krieg verhindert wird und es diese dann noch gibt. Die Tilgung der Schulden aber, die mit der unbeschränkten Kreditaufnahme für die Aufrüstung entstehen, wird aus dem laufenden Haushalt geschehen müssen. Dierk Hirschel, Chefökonom der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und Sozialdemokrat, hat in dem neuen Buch «Gewerkschaften in der inneren Zeitenwende» vorgerechnet, dass der Schuldendienst schon 2027 die finanziellen Spielräume für Ausgaben in allen anderen Bereichen – Arbeit, Bildung, Gesundheit, Rente – im Grunde ganz und gar austrocknen wird. Die Aufrüstung gerät in einen extremen Gegensatz zur Verteilung und zur sozialen Gerechtigkeit – genau das, was die deutsche Sozialdemokratie vorgab, mit der gigantischen Schuldenaufnahme verhindern zu wollen.
Aber auch strukturell verändert die Hochrüstung das Gemeinwesen. Sie macht den Staat erpressbar. Dies wusste Otto Bauer ebenfalls längst, als er den Militarismus vor dem Ersten Weltkrieg kritisierte. Die Hochrüstung vergrössere, schrieb er seinerzeit, nämlich die «Abhängigkeit des Staates vom Grosskapital», woraus sich ergebe, dass der Staat dem Kapital dienstbar werde und dem Kapital für seine Kredite dankbar sein müsse. Die Regierung bedanke sich bei den Grosskonzernen durch Willfährigkeit: Sie ermögliche durch Arbeitszeitgesetze eine ununterbrochene Produktion, schmettere die Forderungen der Arbeiter nach dem Achtstundentag nieder und erfülle alle Kapitalbedingungen, wodurch die «Gesundheit der Arbeiter» geschädigt und die «Zahl der Betriebsunfälle» zunehme. Ergebnis: «Für die Unternehmer 50 Millionen Profit, für die Arbeiter zwölf- und 18-stündige Arbeitszeit» – das sei der «volkswirtschaftliche Nutzen» der Aufrüstung.
Wesentlich ist ausserdem: Durch die Aufrüstung entsteht eine strukturelle Festlegung der deutschen Gesellschaft, die sich später nur schwer politisch korrigieren lässt. Nach innen wird die Gesellschaft von der Aufrüstung abhängig – es werden Geister gerufen, die sie nicht mehr loswird. Am Ende droht, wie in den USA, die Entstehung eines militärisch-industriellen Komplexes. Kommunen würden um Gelder aus den neuen Rüstungsausgaben in Höhe von fünf Prozent des BIP – das entspricht jedem zweiten Euro im Bundeshaushalt – konkurrieren, und die Wiederwahl von Politikern könnte davon abhängen, ob sie Rüstungsproduktion im eigenen Gebiet ansiedeln oder Mittel für die «Kriegstüchtigkeit» der Infrastruktur sichern.
Ein einmal entstandener militärisch-industrieller Komplex muss ständig neue Gefahren erzeugen, Bedrohungsszenarien über Stiftungen, Denkfabriken und Medien verbreiten und Wege finden, die angeschafften Waffenarsenale zu nutzen oder zu zerstören. Das bedeutet – wie der US-Komplex zeigt – einen Zustand permanenter Kriegsführung.
Ingar Solty lebt in Berlin. Der Artikel ist zuerst in der Berliner Zeitung erschienen. Im Frühling erscheint vom Autor ein neues Buch, «Der postliberale Kapitalismus: Renationalisierung – Krise – Krieg».