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Kurt Wyss: Workfare

“Workfare”: Rezension im Vorwärts vom 25.11.07

“Ausbeutung bis ins Innerste”

tpd. In vielen Ländern wird seit 20 Jahren eine Sozialpolitik unter Stichworten wie “Work not Welfare”, “Arbeit statt Sozialhilfe”, “1-Euro-Job” oder Ähnlichem durchgesetzt. Der Soziologe Kurt Wyss unternimmt in seinem Buch “Workfare” den Versuch, diese Politik in umfassender Weise zu erklären.

Der Begriff “Workfare” stammt aus dem Amerika­nischen und setzt sich aus den Worten “Work” und “Welfare” (Wohlfahrt) zusammen. Er bezeichnet eine “Sozialpolitik”, die vor zwanzig Jahren in den USA, später in Grossbritannien, Deutschland und auch in der Schweiz eingeleitet wurde. Workfare steht für eine Poli­tik der Herrschenden, die sich zum Ziel setzt, Menschen ohne Arbeit wieder in den Arbeitsprozess einzuglie­dern. Was gut klingt hat Schattenseiten. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Schattenseiten ist Gegen­stand des Buches. Es zeigt auf, dass Workfare zwar als Ziel die Integration sozial Ausgegrenzter proklamiert, dass aber tatsächlich durch diese Politik der soziale Ausschluss von Erwerbslosen besiegelt wird. Noch schlimmer: Mit Workfare entsteht eine neue Unter­klasse.

Arme unter Druck
Ausgangspunkt von Workfare sind nicht etwa die Krisen des Kapitalismus. Erwerbslosigkeit wird von den Herrschenden nicht als Folge der Profitwirtschaft interpretiert. Workfare geht vielmehr davon aus, dass die Betroffenen selbst an ihrem Schicksal schuld seien. DemzufoIge setzt diese Politik absurderweise jene unter Druck, die ohnehin schon unter Armut und sozialer Ausgrenzung leiden. In Deutschland wurden die 1-Euro-Jobs geschaffen – in der Schweiz ist von “Teillöhnen” die Rede. Gearbeitet werden soll zum Niedriglohn. Und wer sich dieser Logik der Herrschen­den widersetzt, dem drohen Sanktionen wie die Strei­chung oder Kürzung der vom Staat gewährten Gelder. Und wer scheitert, ist selbst schuld, so die zynische Denkweise der Herrschenden.
Wyss zeigt auf, dass Workfare nicht nur die von Armut betroffenen Erwerbslosen unter Druck setzt und sie stigmatisiert, sondern auch die im Arbeitsprozess Integrierten. Ihnen wird mittels Workfare eine negative Projektionsfläche geboten, was geschehen kann, wenn sie innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft “schei­tern” sollten. Workfare ist also Druck- oder Drohkulisse in einem. Sie deklassiert die Betroffenen und erzeugt zudem einen ernst zu nehmenden Disziplinierungs­druck für die (noch) in Arbeit stehenden Menschen. Somit wirkt Workfare auf breite Teile der Gesellschaft.

Drei Denkrichtungen
Der Autor zeigt auf, wie es zu dem Wechsel von Welfare zu Workfare kam und er beschreibt, analysiert und kritisiert die politischen Ideologien, die dahinter ­stehen. Wyss unterscheidet drej Ansätze und verweist auf die Tatsache. dass diese Denkrichtungen zwar Unterschiedliches fordern, sich aber gegenseitig nicht ausschliessen: der neokonservative (USA), der neolibe­rale (USA) und der Ansatz von New Labour (GB). Anhand einschlägiger Referenztexte der Workfare-Lite­ratur beleuchtet Wyss detailliert Zusammenhänge und Hintergründe der herrschenden “Vordenker”. Einig sind sich die drei Richtungen, dass auf Erwerbslose Druck ausgeübt werden müsse. Der neokonservative VorschIag analysiert zunächst eine “Armutsfalle”, in der sich Erwerbslose angeblich befänden. Sie gehe ein­her mi dem “Zerfall der Moral” und unterminiere die individuelle “Leistungsbereitschaft”. Die Reformen der 60er-Jahre in den USA, die zur Öffnung der Gesellschaft führten, seien ursächlich für diese Entwicklung. Folge: Erwerbslose befänden sich in Abhängigkeit der Sozial­systeme. Um sie aus dieser Abhängigkeit herauszu­führen, empfiehlt man brachiale Methoden: Sozialleistungen sollen schrittweise gekürzt oder – man will es kaum glauben – ganz eingestellt werden. Der Druck zum Autoritären wird verstärkt. Neoliberale hingegen erblicken in freiwillig gezahlten Sozialleistungen eine “Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit”. Sie unter­stellen Erwerbslosen “mangelnde Eigenständigkeit”, weil sie nicht arbeiten. Neoliberale plädieren für die Einführung einer Pflicht als Gegenleistung für die gewährten Gelder, in erster Linie eine Arbeitspflicht. Sozialleistungen sollen umfunktioniert werden, verge­ben sollte man sie in Form eines “zu erarbeitenden Ver­dienstes”. Dieser Ansatz zielt in letzter Konsequenz auf einen Arbeitszwang der ohnehin sozial Ausgegrenzten ab. Gerechtfertigt wird er mit dem absurden Hinweis darauf, dass ein “gewisser persönlicher Zwang” tat­sächlich nötig sei für die Freiheit der Betroffenen.

Der Druck zu ausbeuterischen ArbeitsverhäItnis­sen steigt. New Labour und die sich “erneuernde” Sozi­aldemokratie unterstellt Erwerbslosen mangelnde An­passung an die Globalisierung. Frei vergebene Soziall­eistungen schwächen den “Anpassungswillen” und das “Anpassungsvermögen” der in Armut Gehaltenen. New Labour fordert deshalb die Bewerbungspflicht und die Pflicht zur staatlich gestützten Beschäftigung. Die Glo­balisierung erfordere die “Bewältigung von Risiken”. Die bisherige Sozialpolitik müsse umgebaut werden, zu einer “positiven Wohlfahrt”, die von den Menschen “aktives Risikoverhalten” abverlangt, erzwingt …

Das Buch ist ohne “akademische Scheuklappen” geschrieben und will in erster Linie aufklären. Es wen­det sich an Interessierte und zeigt den Willen der Herr­schenden auf. Das empfehlenswerte Buch liest sich leicht und flüssig, eingefügte Tabellen veranschauli­chen das Gesagte. Fussnoten verweisen auf die ver­wendete Literatur, Fallbeispiele veranschaulichen die untersuchte Sozialpolitik.