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Das Foto des amerikanisch-sowjetischen «Handschlags an der Elbe» in Torgau, das am folgenden Tag als nachgestellte Aufnahme entstand, verbreitete sich in rasender Eile weltweit.

Veränderte Zeiten – neue Feindschaften

Am 25. April 1945 trafen erste Verbände der siegreichen Roten Armee und der US-Armee bei Torgau an der Elbe aufeinander. Die folgende Rede von Liane Kilinc, Vorsitzende der Hilfs­organisation Friedens­brücke, demonstriert anschaulich die politischen Veränderungen in der Welt seit dem Ende des Zweiten Welt­kriegs. Aus der einstigen Koalition gegen Hitler ist nach dem ersten Kalten Krieg nun ein zweiter geworden. Aber dieses Mal kann es nicht an den Kommunisten liegen, wie der erste den Menschen im Westen begründet worden war. Die sind in Russ­land nicht mehr an der Macht.

«Hitler kaputt! Hurra!» Das waren die Worte, mit denen sich den Berichten nach, die US-amerikanische Patrouille den Soldaten der Roten Armee zu erkennen gab. Beide Truppenteile hatten eine harte Strecke hinter sich. Die erste US-Armee war von der Landung in der Normandie über die Ardennenoffensive bis zu jenem Tag an der Elbe immer mittendrin in den heftigsten Kämpfen an der Westfront, und die 5. Gardearmee, die diesen Namen als Auszeichnung nach Stalingrad erhalten hatte, hatte sich über den Dnjepr durch Schlesien bis zur Elbe vorgekämpft. Beide hatten mehr als genug von den Schrecken gesehen, die ihr gemeinsamer Gegner hinterliess. An diesem sonnigen 25. April schuf diese Begegnung einen Augenblick zwischen Krieg und Frieden. Die Nazis hatten noch nicht kapituliert, aber ihr Ende war nicht mehr aufzuhalten, und die Freude auf den Gesichtern der Fotografien von diesem Tag zeigt schon das Wissen um den nahenden Sieg.

Liane Kilinc bei ihrer Rede am Elbe-Tag im sächsischen Torgau

Auf einem der Bilder von jenem Tag sitzen amerikanische und sowjetische Offiziere bunt gemischt an langen Tischen unter blühenden Obstbäumen und feiern. Zwischen den Obstbäumen hängt ein eilig gefertigtes Transparent: «Our greetings to the brave troops of the First American Army», unsere Grüsse an die tapferen Truppen der Ersten Amerikanischen Armee. Dass ‚american‘ mit einem K geschrieben wurde, dürfte an diesem Tag niemandem etwas ausgemacht haben.

Vielleicht hatten einige der US-Amerikaner Roosevelts Rede gelesen oder gehört, die er nach seiner Rückkehr aus Jalta vor dem US-Kongress gehalten hatte. «Niemals zuvor waren die Hauptalliierten einiger – nicht nur in ihren Kriegszielen, sondern in ihren Friedenszielen,» hatte er gesagt, und dann ausgeführt, was die von den Alliierten geforderte bedingungslose Kapitulation für ihn bedeutete: «Das Ende des Nazismus und der Nazipartei – und all ihrer barbarischen Gesetze und Institutionen. Das Ende jedes militaristischen Einflusses im öffentlichen, privaten und kulturellen Leben Deutschlands. Eine schnelle und gerechte – und strenge – Bestrafung der Nazi-Kriegsverbrecher. Die vollständige Entwaffnung Deutschlands; die Zerstörung seines Militarismus und seiner militärischen Ausrüstung; die Zerstreuung all seiner bewaffneten Kräfte; die dauerhafte Zerschlagung des deutschen Generalstabs, der so oft den Weltfrieden zertrümmert hat.»

Vielleicht hatten sie auch gelesen, was er in dieser letzten grossen Rede vor seinem Tod über die Zeit nach dem Krieg sagte: «Der Aufbau des Weltfriedens kann nicht das Werk eines Mannes, oder einer Partei oder einer Nation sein. Es kann kein amerikanischer, kein britischer, kein russischer, kein französischer oder chinesischer Frieden sein. Es kann kein Frieden der grossen Nationen – oder der kleinen Nationen sein. Es muss ein Frieden sein, der auf den gemeinsamen Bemühung der ganzen Welt beruht.»

Inschriftentafel am Ort der historischen Begegnung

Ja, ähnlich mögen sie gedacht haben, diese Soldaten, die sich am 25. April 1945 begegneten, einem Augenblick, der den Höhepunkt dieser Waffenbrüderschaft darstellte und der sich an der Grenze zwischen Krieg und Frieden ereignete.

Aber in Wirklichkeit war das nur die Grenze zwischen zwei Kriegen, dem heissen und dem kalten. An eben diesem Tag hatte Roosevelts Nachfolger Truman, der schon bei Amtsantritt geäussert hatte, das Bündnis mit den Sowjets müsse man jetzt brechen oder nie, vom Manhattan Project erfahren, der Entwicklung der Atombombe.

Und während Amerikaner und Sowjets in Torgau auf den Frieden tranken, sann man in Washington bereits darüber nach, wie man die neue Waffe gegen den Verbündeten nutzen könne.

Und wir alle wissen, dass zumindest im abgespaltenen Westen unseres Landes weder die Gesetze der Nazis verschwanden noch die Kriegsverbrecher schnell, gerecht und streng bestraft wurden, und der deutsche Generalstab, der zerschlagen werden sollte, wurde bald schon wieder zum Aufbau der Westarmee, der Bundeswehr, herangezogen und wurde dann an der Spitze der NATO benötigt.

Die Feiernden von Torgau waren schon während der Feier verraten

Im März noch hatte Roosevelt (zur Verärgerung Churchills) den Dulles-Wolf-Plan abgelehnt, ein Angebot der Nazispitzen, den Krieg im Westen einzustellen, um ihn gemeinsam im Osten weiter zu führen. Während der Torgauer Feier sass ein Nazioffizier namens Reinhard Gehlen im Berchtesgadener Land auf einer Kiste sorgsam gefälschter Dokumente und wartete auf die Gelegenheit, sie den Amerikanern zu übergeben; die Behauptung, die Sowjetunion wolle den Krieg fortsetzen, sollte grossen Teilen der Nazielite den Hals retten, und das gelang auch. So ist es nicht möglich, die Bilder aus Torgau von 1945 ohne Wehmut zu betrachten und darüber nachzudenken, wie die Welt aussähe, wäre dieses Bündnis nicht verraten worden.

Jene, die damals den Verrat betrieben, bescherten der Welt die CIA und die NATO und all die vielen Kriege seither, die es nie zu einem Weltfrieden kommen liessen. Ihre Nachfolger, nicht nur im Amt, sondern auch in der Gesinnung haben die letzten Jahre damit verbracht, immer neues Kriegsmaterial gen Osten zu karren und mit einem Manöver nach dem anderen in Bewegung zu halten.

Sie führen schon das zweite Grossmanöver unter dem heuchlerischen Namen «Defender» ( Verteidiger) durch, bei dem sie tatsächlich die Logistik für Truppen­einsätze gegen Russland üben, unter Beteiligung des US Militärs. Der kleine Diktator der Ukraine steht bereit, abermals über den Donbass herzufallen.

Es muss niemanden wundern, wenn das in Russland Erinnerungen an den Sommer 1941 weckt. Wie schreib Hitler in der berüchtigten Weisung vom 21.Dezember 1940 «Vorbereitungen, die eine längere Anlaufzeit benötigen, sind – soweit noch nicht geschehen – schon jetzt in Angriff zu nehmen und bis zum 15. April 1941 abzuschliessen. Entscheidender Wert ist jedoch darauf zu legen, dass die Absicht eines Angriffs nicht erkennbar wird».

Zu den Vorbereitungen für einen Angriff gehören logistische Probeläufe, Stabsübungen, Manöver, Erkundigungen des Terrains, Simulationen möglicher Verläufe, die Einstimmung der Bevölkerung auf den anvisierten Gegner und Verlagerungen von Material und Menschen. Aber in modernen Kriegen, die nicht mehr erklärt werden, ist bis zur letzten Sekunde unklar, ob die zusammen­gezogenen Truppen nur spielen wollen oder tatsächlich ein Krieg vom Zaun gebrochen werden soll.

Wie kann es also nicht beunruhigen, wenn die NATO in den letzten Jahren die Vorbereitungsschritte konsequent abarbeitet, von der logistischen Planung über die Simulationen, die die RAND-Corporation lieferte, über Stabsübungen in Polen, über die Bereitstellung von Kriegsmaterial in der Nähe der russischen Grenze bis hin zu den inzwischen täglichen Flügen westlicher Spionageflieger um die Krim oder die Donbass-Front entlang?

Eine russische Regierung, die diese Schritte nicht ernst nähme, würde die Sicherheit ihrer Bevölkerung sträflich vernachlässigen.

Selbst als Übungen sind diese Handlungen ein aggressiver Akt, weil sie das Gegenüber zwingen, Kräfte in Bereitschaft zu versetzen und dafür Mittel zu verbrauchen, die doch beispielsweise beim Wohnungsbau oder der Gesundheitsversorgung bessere Verwendung finden könnte. Was selbstverständlich auch für den inzwischen reichlich aufgeblähten Rüstungsetat der Bundesregierung gilt, nur dass in einem solchen Moment es der Aggressor ist, die NATO, die eine Entscheidung trifft, während die andere Seite, Russland, eine Entscheidung aufgezwungen wird.

Seit der Krieg im Donbass begann, vor mittlerweile unfassbaren 7 Jahren, ist der Strom westlicher Waffen, westlicher Militärberater und westlichen Geldes nach Kiew nie versiegt, und das Begleitkonzert aus Aufrüstung und Manövern, das zur russischen Grenze hin gespielt wird, wird von Jahr zu Jahr lauter. Nur das Erschrecken darüber ist über die Jahre geschwunden.

Diese 7 Jahre Krieg haben tiefe Spuren gegraben. Unser Verein Friedensbrücke veranstaltet jedes Jahr einen Malwettbewerb für Kinder im Donbass, und die Bilder haben sich verändert. Anfangs gab es nur ein alles beherrschendes Thema: den Wunsch nach Frieden. Später malten sie feiernde Menschen und spielende Kinder, Blumengirlanden und Regenbogen, um diesem Wunsch Ausdruck zu verleihen.

Heute erinnern sich nur noch die Älteren unter Ihnen daran, was Frieden ist, wie er sich anfühlt, und die Bilder sind stumm geworden. Landschaften, Stillleben, vielleicht ein Selbstporträt, aber Spiel und Feier, Sonne und Freude sind selten. Die Lebensfreude, das Leuchten, die Gemeinschaft sind verschwunden, von Jahren unter Granaten ausgelöscht oder schlicht noch nie erfahren.

Wie nah Frieden und Lebensfreude verknüpft sind, das zeigten früher unsere Kinderlieder. Über allen strahlt die Sonne.

Während die Kinder im Donbass (und auch in Syrien, wohin wir ebenfalls humanitäre Hilfe leisten) diese Freude im Krieg fast vergessen haben, werde ich das unheimliche Gefühl nicht los, dass auch die Strangulation der Lebensfreude hier bei uns, wie sie durch die Corona Massnahmen erfolgt, ein Teil davon Kriegsvorbereitung ist. Wenn das Leben im Frieden immer mehr dem im Krieg angenähert wird – vom Gefühl des Ausgeliefert Seins – bis hin zu Ausgangssperren und Einschränkungen beim Einkaufen, die problemlos in eine Rationierung überführt werden können – wenn also die Schwelle zwischen diesen beiden doch grundsätzlich verschiedenen Zuständen immer weiter abgetragen wird, dann wird es auch leichter und vor allem für die Regierenden und die Profiteure gefahrloser, von einem in den anderen überzugehen. Wenn die Lebensfreude der Grund ist, warum die Menschen den Frieden schätzen, dann wird das Kriegsführen leichter, wenn die Lebensfreude schon genommen ist.

Wenn wir heute in die freudestrahlenden Gesichter der russischen und amerikanischen Soldaten schauen, die sich 1945 das erste Mal trafen, kommt wieder der Gedanke:

Sie waren zwar noch im Krieg, aber fast schon im Frieden.
Wir befinden uns noch im Frieden, aber vor einem drohenden Krieg.

Es sollte nicht Mutlosigkeit sein, die uns an diesem Punkt beherrscht, und auch nicht nur der angebrachte und nötige Zorn auf die Kriegstreiber in unserem Land, wir sollten an der Lebensfreude festhalten und jedes Quäntchen davon pflegen, denn daraus kommt unsere Kraft zu widerstehen!

Lasst uns noch aktiver werden im täglichen Kampf für den Frieden.
Jetzt erst recht und trotz alledem!

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_ Erstmals veröffentlicht am 24. April in «Politische Analyse», Rüdiger Rauls unter dem Titel «Veränderte Zeiten – neue Feindschaften» erschienen._

→ Bericht über die Veranstaltung in «Unsere Zeit», Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei