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Enrico Berlinguer (links) mit Eugenio Scalfari

In Erinnerung an Eugenio Scalfari, einen der Architekten des Todes der KPI

von Fosco Giannini1

Eugenio Scalfari, der Gründer von «la Repubblica», ist gestorben. Die italienische bürgerliche «Intellektualität», von «rechts» und «links» (doppelt angeführt), singt ihr Loblied. Und in der Tat war Scalfari ein grosser Erneuerer des italienischen Journalismus, sowohl in politischer als auch in unternehmerischer Hinsicht. Aber es gibt einen Punkt, an den wir uns als heutige Kommunisten erinnern möchten, der in diesen ersten Tagen nach dem Tod von Scalfari völlig verschwunden ist. Es handelt sich um die Rolle, die Scalfari und «la Repubblica» bei der politischen und theoretischen Entwicklung der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) und ihrer Auflösung gespielt haben.

Die erste Ausgabe von «la Repubblica» erschien am 14. Januar 1976. Die Zeitung ist im Besitz der ‹l’Espresso›-Gruppe und von Mondadori Editore. Scalfaris politischer Werdegang sieht folgendermassen aus: von 1942 bis 1943 in der Nationalen Faschistischen Partei, dann in der Liberalen Partei und später in der Radikalen Partei von Pannella und von 1962 bis 1972 im Partito socialista italiana (PSI). Ein politischer Weg mit einer eigenen inneren Kohärenz, der in erster Linie durch den Antikommunismus geprägt ist. Als also «la Repubblica» 1976 herauskam, erlebte die KPI bereits ihre eigene tiefgreifende Entwicklung, ihre genetische Mutation. Der Vorschlag der KPI für einen «historischen Kompromiss» mit der DC stammt aus dem Jahr 1973; Berlinguers Erklärung zur Nato («Ich fühle mich unter dem Schirm der Nato sicherer») stammt vom Juni 1976; Berlinguers Entscheidung, den Aufbau des Sozialismus nur auf dem bürgerlich-parlamentarischen Weg zu konzipieren, erfolgte am 3. November 1977 anlässlich des 60. Jahrestages der Oktoberrevolution in Moskau; Berlinguers Erklärung über die «Erschöpfung des Antriebs der Oktoberrevolution» erfolgte am 15. Dezember 1981.

In diesem Zusammenhang übertrug die italienische Bourgeoisie über Mondadori und Scalfari «la Repubblica» die Aufgabe, den Prozess der genetischen Mutation der KPI zu beschleunigen. Nach so vielen Jahren, Anfang der 2000er Jahre, war es Scalfari selbst, der es zugab – wenn auch nur am Rande – und es «enthüllte». Die neue Zeitung präsentierte sich als «linke» und «radikale» Zeitung, die soziale Fragen anprangerte und gegen die politische Korruption vorging, indem sie die liberal-sozialistischen Werte von Gerechtigkeit und Freiheit von Carlo Rosselli wiederbelebte. In dem politischen und theoretischen Magma, das das Bewusstsein der neuen KPI-Kader und Militanten der zweiten Hälfte der 1970er Jahre und dann, von Degeneration zu Degeneration, der «Occhetto»-Kader der 1980er Jahre zu prägen und zu verwirren begann, gewann die liberal-soziale «la Repubblica» immer mehr Raum. In den 1980er Jahren gab es in den Taschen und Köpfen der KPI-Führer und -Mitglieder zwei stabile Informations- und Analysequellen: «l’Unità» und «la Repubblica». Das eine wie das andere faktisch «Parteiorgane».

Am 28. Juli 1981 gab Scalfari Berlinguer ein sehr berühmt gewordenes Interview mit dem Titel «Die moralische Frage». Von diesem Interview ist nur die Anprangerung der «Besetzung des Staates durch die Parteien» durch Berlinguer in die Geschichte eingegangen. Ein Konzept, das nicht wirklich klassenbezogen ist, da es ganz offensichtlich und «natürlich» ist, dass die Parteien der Bourgeoisie historisch gesehen darauf abzielen, den Staat zu besetzen. Ein Ziel, das im Übrigen auch die Arbeiterklasse anstreben sollte. Aber darum geht es nicht, sondern darum, dass aus diesem Interview, das durch die Anprangerung der bürgerlichen Parteien, den bürgerlichen Staat zu besetzen, zu einer Ikone geworden ist, der letzte Teil, der Teil, der sich auf Berlinguers Vorschlag der «Austerität» bezieht, völlig entfernt wurde. Scalfari fragt den KPI-Sekretär: «Was ist mit den Arbeitskosten? Halten Sie das für ein Thema, das man vergessen sollte?» Berlinguers Antwort: «Auch die Arbeitskosten müssen angegangen und insgesamt eingedämmt werden, wobei vor allem an der Front der Produktivitätssteigerung gearbeitet werden muss».

Berlinguers Antwort lag ganz auf der Linie der gemässigten Strömung der KPI und des ihr nahestehenden Gewerkschaftsbundes CGIL von Luciano Lama in Bezug auf die «Konzertierung», die von den Arbeitnehmern zu erbringenden Opfer und die Beilegung von sozialen und Klassenkonflikten. Die Löhne sind, ebenfalls seit Berlinguers Interview, keine unabhängige Variable mehr. Sie können beschränkt und im Verhältnis zu den «nationalen Interessen» reduziert werden. Scalfaris «la Repubblica» arbeitet daher eifrig an der Aufgabe, die ihr die italienische Bourgeoisie (in erster Linie die liberal-soziale Bourgeoisie) gestellt hat: die KPI zu töten.

In den folgenden Jahren kommt es dann auf den Seiten von Scalfaris Zeitung zur Mythologisierung von Achille Occhetto, zur vollen Unterstützung der «Bolognina» [Bezeichnung für die Wende der KPI zu einer sozialdemokratischen Partei] und zur Umwandlung der KPI in den Partito Democratico della Sinistra. Von der Vorbereitungsphase der «Bolognina» über die «Bolognina» selbst bis zum Ende der KPI sind Occhetto und seine Männer täglich auf den Titelseiten von «la Repubblica» zu sehen. Sie gehen – vor allem durch die Aussagen von Occhetto, dem von Scalfari konstruierten Guru – von der Verurteilung der Oktoberrevolution bis hin zur Verurteilung der «jakobinischen Gewalt» und damit der Französischen Revolution. Auf dem gleichen, 20. und letzten KPI-Kongress am 31. Januar 1991 spielte «la Repubblica» die Rolle der öffentlichen «Stimme» und der politisch-ideologischen Unterstützung der Umwandlung der KPI in die PDS. Scalfari hatte die Aufgabe erfüllt, die ihm die italienische Bourgeoisie übertragen hatte und für die sie ihm ein finanzielles Vermögen zur Verfügung gestellt hatte, um in Strukturen, Propaganda und grosse Journalisten mit goldenen Gehältern zu investieren.

Wir haben nur an die historische Rolle von Scalfari bei der Ermordung der KPI erinnert und wie damit in unserem Land die Phase der «berlusconischen» und populistischen Konterrevolution eingeleitet wurde, die noch andauert. Entbindet die Rolle, die «la Repubblica» gespielt hat, die Verantwortlichen, die die genetische Mutation und dann die Auflösung der KPI veranlasst haben, von ihrer Verantwortung? Nein, sie bleiben, und ihre Verantwortung ist politisch und sozial sehr schwerwiegend, unverzeihlich und dramatisch, weil sich die konkreten Lebensbedingungen der italienischen Arbeiterklasse insgesamt seit dem Niedergang der KPI so stark verschlechtert haben. Wir möchten nur darauf hinweisen, dass, wenn heute der gesamte Bereich der italienischen bürgerlichen «Intellektualität» (von den Intellektuellen bis hin zu den Journalisten und der gesamten staatlichen und nichtstaatlichen politischen Klasse) Scalfari lobt, es einen Grund dafür gibt: Er wird zu Recht als der Mann angesehen, der der KPI gewaltsam zum Selbstmord verhalf.
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1 Fosco Giannini
Fosco Giannini (1952) war Senator der Italienischen Republik und Mitglied des Verteidigungsausschusses. Derzeit ist er Redaktor der kommunistischen Zeitschrift «Cumpanis».
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Dieser Text ist in der Schweiz erstmals am 19. Juli 2022 in sinistra.ch erschienen.