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Spekulationen mit dem AHV-Ausgleichsfonds

AHV-Verluste beim Zusammenbruch der Bank Kaupthing

Die Internetseite WikiLeaks hat im März eine geheime Liste von Geschädigten des Bankrotts der isländischen Bank Kaupthing veröffentlicht. In der langen Liste der 28’167 Gläubiger, die an die Zinsversprechen der Finanzjongleure glaubten, finden sich auch prominente Schweizer Adressen. Damit ist nicht etwa die FDP Aargau gemeint, die unter der Listennummer 21089 mit einem Ausfall von 10 Millionen Isländischen Kronen davon gekommen ist. Auch nicht der Gemeindeverband Schiessanlage Suhr (Nr. 20694), und nicht der interessante Eintrag unter dem Namen “Verwaltung des Katholischen Konfessionsteils des Kantons” (Nr. 22212), wobei man der Liste nicht entnehmen kann, welcher Kanton von diesem Unheil heimgesucht wurde. Sie alle figurieren in der leichteren Gewichtsklasse.

Viel grössere Spekulationsverluste musste dagegen der Ausgleichsfonds der AHV, der unter französischem und englischem Namen in der Liste auftaucht, beim Zusammenbruch der Kaupthing einstecken:


Nr. Name Betrag in isländischen Kronen (ISK)
26304 Fonds De Compensation AVS 2.320.246.151
26304 Fonds De Compensation AVS 0.046.289.200
27424 AVS – Swiss Federal Social Security 0.097.087.467
27720 AVS – Swiss Federal Social Security 0.626.960.727

Der Verlust in Franken hängt davon ab, in welchem Jahr und zu welchem Wechselkurs diese Anlagen getätigt wurden. Vor in der Zeit von 2000 bis 2007 pendelte der Wert von 100 Kronen um die 0.75 Franken. Die in der Liste von WikiLeaks für diesen einen Bankrott vermerkten Verluste machen demnach grob 100 Millionen Schweizer Franken aus.

Schrittweise Neoliberalisierung der Anlagepolitik

Ursprünglich war die AHV gesetzlich verpflichtet, ihre Gelder in mündelsicheren Papieren anzulegen. Im Rahmen der 10. AHV-Revision (1997) wurden die Anlagemöglichkeiten des AHV-Ausgleichsfonds auf Schweizer Aktien, auf Obligationen in Fremdwährungen (wie die isländischen Bonds) und auf indirekte Immobilienanlagen ausgedehnt. Soviel Neoliberalismus ging aber dem Finanzkapital noch nicht weit genug. Mit einer Änderung von Artikel 108 des AHV-Gesetzes, die am 1. Februar 2001 in Kraft trat, entfiel auch das bisherige Verbot der Anlagen in ausländische Aktien. Diese Änderung wurde ausdrücklich mit der Aussicht auf höhere Profite begründet. Die bundesrätliche Ausführungsverordnung erlaubt einen Aktienanteil von 40%. Der Ausgleichsfonds geschäftet auch damit, dass er ausländische Aktien an Finanzgruppen ausleiht, welche die mit dem Aktienbesitz verbundenen Stimmrechte ausüben wollen. Schon 2001 erlitt der AHV-Ausgleichsfonds eine negative Performance (-2,6%) und verlor auch im folgenden Jahr nochmals 3.8% auf den so bewirtschafteten Anlagen.

Fünf Milliarden Verlust 2008

Für 2008 weist der Ausgleichsfonds der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) einen Verlust in von fast fünf Milliarden (4’850 Millionen) aus der Anlagenbewirtschaftung des AHV-Fonds aus. Dies entspricht einer Performance von minus 18.2%. Für die Aktiensparte lag die “Rendite” bei –46.7%. Die Immobilienfunds (58% im Ausland) erwirtschafteten –38.2%, die Rohstoff-Zertifikate –33.1%. Die Obligationen in Schweizer Franken bei Schweizer Schuldnern erbrachten hingegen eine Rendite von 8.1%.

Jahresbericht gibt keinen Bescheid

Noch im Jahresbericht 2007 brüsten sich die Berichterstatter mit Details aus ihrer Beutestrategie, und verweisen namentlich Profitmöglichkeiten, die aus der Erhöhung der Rohstoffpreise resultieren sollte:

“Mit den Futures auf Rohstoffe werden alle klassischen Rohstoffmärkte indirekt abgedeckt: Erdöl, Erdgas, Industrie- und Edelmetalle, Landwirtschaftsprodukte wie Kaffee, Sojabohnen, Vieh. Angelegt wird nicht direkt in diese Rohstoffe, sondern über standardisierte börsengehandelte Futures im Terminmarkt. Die Preise im Terminmarkt widerspiegeln die mittelfristigen Erwartungen der Produzenten oder Verkäufer von Rohwaren und der Verbraucher oder Käufer.” (S. 19)

Im darauffolgenden Jahresbericht 2008 hüllten sich die Autoren hingegen in tiefes Schweigen über Details zum Mechanismus der Geschäfte, die den Milliardenverlust hervorbrachten. Man weiss nicht, in welchen Anlagen sie sich so massiv verzockt haben. Die Herausgeber des Jahresberichtes 2008 danken es ihren höchsteigenen Massnahmen, dass “die spektakulären Zusammenbrüche einiger Finanzinstitute wie beispielsweise Lehman Brothers den AHV-Fonds nur marginal [trafen]” (S. 12) Zugegeben werden im Berichtsstil der Schönfärberei und Ablenkung von der eigenen Verantwortung nur indirekte Auswirkungen: “Lehman Brothers und der isländischen Banken sowie die teilweise hohe Illiquidität wirkten sich negativ auf die Kursentwicklung der Obligationen.” (S. 15)

Auch Nationalrätin Margret Kiener-Nellen, welche den Bundesrat zur Frage interpellierte, wo in Sachen Kaupthing die Kontrolle (der Bankenaufsicht) geblieben sei, erfuhr in der Antwort der Regierung keinen Ton davon, dass in dieser Angelegenheit auch der AHV-Ausgleichsfonds schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Man ist dazu auf Wikileaks angewiesen, eine Organisation, die Lecks in den Administrationen von Regierungen und anderen Organisationen ausfindig macht und Dokumente publiziert, welche nicht für die Augen und Ohren der Öffentlichkeit bestimmt waren.

Andere Anlagepolitik gefordert

Es ist offensichtlich, dass das Finanzkapital gewaltige Summen aus den sozialen Vorsorge- und Reservefonds abzweigt. Schon allein dadurch, dass die Hochfinanz die besseren Papiere in der Hand behält und alles, was der Verschrottung geweiht ist, im richtigen Moment abstösst und den Pensionskassen und anderen gesellschaftlichen Fonds anhängt. Auch wenn die Finanzierung der AHV (zum Unterschied von der 2. Säule) auf dem Umlageverfahren beruht, so dass sich das notwendige Vermögen einschliesslich Reserven im Vergleich zu den Riesensummen der Pensionskassen in sehr bescheidenem Umfang hält, kann es uns nicht gleichgültig sein, wie und wo die AHV-Gelder angelegt werden.

Den Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul (Nr. 23356) und den Karmeliterinnen vom göttlichen Herzen (Congregación de Esclavas Del Divino Corazón, Nrn. 22822 und 23878) kann man es wohl nachsehen, wenn sie in ihrer Frömmigkeit auf wundersame Vermehrungen mit Renditen von 5 oder mehr Prozent in Island gehofft haben mögen.

Aber für den laizistischen Staat der Schweiz ist zu fordern, dass die Bewirtschaftung der AHV-Ausgleichsfonds Gelder wieder auf eine solide, irdische Basis gestellt wird.

Und die Arbeiterklasse ist berechtigt zu fordern, dass diese Gelder zum Nutzen (etwa in den sozialen Wohnungsbau) gelenkt, und nicht zum Schaden der Menschen eingesetzt werden, wie dies bei der spekulativen Anlagepolitik des AHV-Fonds heute geschieht, wo mit den sogenannten Commodities nicht nur in die Energie- und Ressourcenverknappung, sondern auch in den Hunger investiert wird, zum Beispiel in Vieh und in künftige Ernteerträge der Landwirtschaft.

(30.04.2010/mh)


Siehe auch:


Externe Links:

WikiLeaks.org
Liste der Kaupthing-Gläubiger (15.3.2010)
Update der Liste (17.3.2010)


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