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Bröckelt die SVP-Anhängerschaft ab?

Minus 7 Prozentpunkte in drei Monaten

Nach einer Repräsentativumfrage im Auftrag der «Sonntagszeitung» erleidet die Schweizerische Volkspartei (SVP) derzeit einen unerhört massiven Einbruch der Wählerunterstützung. Im Wahlherbst hatte die SVP mit 29 Prozent der Stimmen ein Rekordergebnis erzielt. Umfragen im März 2008 sahen die Partei sogar bei 30%. Nach der neuesten Isopublic-Umfrage würde sie heute nur noch auf 23% kommen. In einem einzigen Quartal ist der Partei damit ein Viertel des Anhangs abhanden gekommen. Auch der langjährige SVP-Chef und gescheiterte Justizminister Blocher persönlich verzeichnet einen deutlichen Popularitätsverlust. Weit weniger populär als Blocher ist sein politischer Ziehsohn Toni Brunner, der als SVP-Präsident amtet.
Diese Zahlen sprechen für ein deutliches Absacken des Wählervertrauens in die SVP. Sie widerspiegeln das Abbröckeln eines Teils der SVP, darunter einer Gruppe, die sich als “liberaler” Flügel definiert und bereits mit dem Zuspruch von 4 Prozent der Befragten rechnen kann – und dies noch bevor dieser Flügel sich in der neuen Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) fertig konstituiert und die kantonalen Anhängerschaften organisatorisch erfasst hat.
Die SVP hat es auch nicht geschafft, ihren pompös angekündigten Gang in die Opposition geordnet und glaubwürdig durchzuziehen. Ihre Oppositionsrolle beschränkt sich mehr oder weniger darauf, wehleidig zu jammern, dass sie sich nun in Opposition befindet, und um dem abzuhelfen, erhebt sie ein Geschrei, dass ehemalige SVP-Mitglieder, welche in die neue BDP abgegangen sind, alle öffentlichen Àmter für die SVP frei machen sollen. Offenbar reut es nun die Parteistrategen um die Sitzverluste, die sie sich mit der gescheiterten Ultimatumspolitik eingehandelt haben. In einem Interview mit der «SonntagsZeitung» wies Bundesrat Samuel Schmid Rücktrittsforderungen von sich. Er verhöhnte die Wehleidigkeit der SVP als Oppositionspartei, indem er erklärte, das Parlament habe bei der Zusammensetzung des Bundesrates im Wissen um die Drohung gehandelt, dass er und Eveline Widmer-Schlumpf aus der SVP-Fraktion ausgeschlossen würden.

Ein neuer Zwist: Personenfreizügigkeit

Die Daten der Umfrage fangen noch nicht einmal den allerletzten Stand der Dinge in der Absetzbewegung von der SVP ein. Die Ergebnisse widerspiegeln noch nicht die erst seit kurzer Zeit in Entwicklung gekommene Enttäuschung vieler SVP-Aktiven und Wähler über die jüngsten Manöver ihrer Parteiführer in Sachen EU-Freizügigkeitsabkommen. Während Jahren haben die SVP-Führer bekanntlich keine Gelegenheit ausgelassen, um gegen die EU, speziell gegen die Personenfreizügigkeit zu wettern. Nun schwenken die massgeblichen Parteigremien praktisch auf Bundesratskurs ein. Am 5. Juli haben die in Brig versammelten SVP-Delegierten dem entsprechenden Antrag der Leitung zugestimmt und mit 326 gegen 166 Stimmen (bei einer Enthaltung) beschlossen, auf die Unterstützung des Referendums gegen die EU-Personenfreizügigkeit zu verzichten. Dabei versuchen die Parteiführer, diesen Schwenker mit lautem Dreschen von leeren Phrasen zu übertönen. Sie wissen nur zu gut, dass sie dem einflussreichen Kapitalflügel ein “ja”, und der eigenen Anhängerschaft ein “nein” schulden. Sie winden sich vor einem klaren Ja oder Nein und tun dergleichen, als wäre ihr Ausweichmanöver nicht etwa aus der Verlegenheit geboren, sondern eine besonders raffinierte Taktik gegen die bundesrätliche Politik. “Wir müssen klug sein und dürfen uns nicht aufs Glatteis führen lassen”, rief Blocher den Delegierten zu. Seine gesamte Darbietung war so dürftig, dass er sich Zwischenrufe und Murren zuzog, wogegen der Applaus spärlich ausfiel.
Einige an der SVP-Basis haben verstanden, dass die SVP-Spitze ganz offensichtlich die für das genügend grosse Kapital äusserst segensreichen Wirkungen der EU auch den grossen einheimischen Kapitalisten nicht vorenthalten möchte. Die EU hat in den letzen Jahren ihre arbeiterfeindlichen Charakter immer offener gezeigt. Die EU-Arbeitsgesetzgebung, die EU-Sozialgesetze, die Immigrations- und Ayslpolitik der EU und ihrer Mitglieder gleichen immer mehr den Vorstellungen der SVP Schweiz. Gerade das macht sie den SVP-Verantwortlichen immer sympathischer.
Manch einer, der der SVP gerade näher getreten ist, weil er dachte, diese Partei würde konsequent für die Wahrung der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz und gegen den offenen oder versteckten EU-Beitritt kämpfen, der fühlt sich nun um seine Wählerstimme betrogen. Wer sich für ein Referendum gegen das Abkommen mit der EU betreffend Personenfreizügigkeit eingesetzt, und wer dabei auf das Wort der SVP vertraut hat, der fühlt sich selbstverständlich nach dieser Kehrtwende der Parteioberen im Stich gelassen.
Manch einer, der mit der SVP sympathisierte, weil er sie für bürgernah und demokratisch hielt, stellt nun fest, dass das demokratische Mittel der Volksabstimmung den Parteioberen ein Dorn im Auge ist, sobald es die Interessen der grossen Patrons gefährden könnte. Die Kapitalherren aller Länder betrachten eine Demokratie, die sich nicht selbst kontrollieren und steuern können, als Gefahr für ihre Interessen und als Standortnachteil. Bekanntlich greifen sie bei Volksabstimmungen auch zu unverhüllten Drohungen gegen politisch nicht gefügige Bevölkerungen, und drohen einer Gemeinde, einer Region oder einem Land wie Irland mit Investitionssperren. Die SVP-Führung kann nur schlecht verbergen, dass ihr Misstrauen gegen ein Referendum dieselben Wurzeln hat wie das Misstrauen der EU-Machthabenden vor dem NEIN der Völker.

Was weiter?

“Infolge ihrer Stärkung steht der SVP nun immerhin eine Gratwanderung bevor. … Damit die Profiteure des Lohndumpings weiterhin ihre Taschen füllen können, müsste sich so die SVP entgegen allen Schwüren zur EU-Freizügigkeit und Bolkestein bekennen. Damit würde sich die SVP die Maske vom Gesicht herunterreissen. Gleichzeitig würden sich in Teilen des Bürgertums Gelüste nach einer neuen Partei verstärken, welche rechterhand als Auffanglager für ernüchterte SVP-Anhänger bereit steht. Die SVP wäre damit zum Steigbügel degradiert. Man erinnert sich an die Deutschnationale Volkspartei und ihr zwielichtiges Verhalten. Diese Partei wetterte eine Zeitlang öffentlich gegen die Wirtschafts-, Sozial- und Aussenpolitik der Regierungen, obwohl diese volksfeindlichen Politiken von genau denselben feinen Kapitalherrschaften diktiert wurden. Sie wollten den Arbeiter ökonomisch und politisch zu Boden werfen und aus aller daraus resultierenden Unzufriedenheit mit dem Rassenhokuspokus noch ein zweites mal blutiges ihr Kapital herausschlagen. Man erinnert sich, dass diese Herrschaften aus dem Reichstag liefen, wenn das Klasseninteresse ihnen gebot, eine der «bekämpften» Regierungsvorlagen zu retten.” ( Mit einem lachenden und einem weinenden Auge )

Diese im Herbst 2007 nach dem Wahlsieg der Schweizerischen Volkspartei (SVP) von uns gezogene Analyse wird durch die seitherigen Ereignisse im groben Verlauf bestätigt, und die angekündigte schwierige Gratwanderung der SVP, die ihr Doppelspiel nicht mehr so bequem fortsetzten kann wie bisher, findet nun vor aller Augen statt. Die Parteispitze will nun plötzlich nichts mehr vom Referendum über das Abkommen mit der EU betreffend Personenfreizügigkeit wissen.
Es kann sein, dass die enttäuschten patriotischen Kräfte nicht ohne weiteres bereit sind, die Festlegung des SVP-Kurses den Diktaten des Grosskapitals zu überlassen. Es ist denkbar, dass sie zumindest vorläufig und einigermassen geschlossen innerhalb der SVP weitermachen und den Versuch unternehmen werden, diese Partei ihrer gegenwärtigen Führung zu entreissen und zu einer Kraft zu machen, welche die Selbständigkeit und Souveränität des Landes tatsächlich verteidigt und nicht den Kapitalinteressen opfert. Nach aller Voraussicht werden sie allerdings die Auseinandersetzung mit dem Kapitalflügel der SVP nicht gewinnen können. Mittelfristig ist daher nicht auszuschliessen, dass diese Kräfte sich von der SVP abwenden.
Es fehlt dem demokratischen (nicht imperialistischen, nicht monopolistischen) Bürgertum und dem Kleinbürgertum an Parteien, die ihre Klasseninteressen unverfälscht ausdrücken würden. Patriotische Elemente aus verschiedenen Klassen (auch Arbeiter) geraten immer wieder ins Fahrwasser des rechtsbürgerlichen Nationalismus. Sie werden im Irrtum gehalten (bzw. in den Irrtum geführt), dass es sich bei Ausländerhass, Rassismus, Verachtung fremder Kulturen, Religionsdiskriminierung usw. um Formen oder sogar um Steigerungsformen des Patriotismus handle.

Und die Linke?

Bekanntlich unterliegen auch viele Linke (Demokraten, Antirassisten, Fortschrittliche) demselben Irrtum und sind blind für alle Unterschiede und Gegensätze zwischen aufrechten Patrioten einerseits, und anderseits Fremdenhassern, Rassisten, Chauvinisten und Faschisten. Auch die Arbeiterklasse ermangelt heute einer starken und in jeder Hinsicht konsequenten Klassenpartei. Eine solche Partei1 würde sich auch als Verteidigerin der nationalen Souveränität und der Interessen der Schweiz und ihrer Bevölkerung in Stellung begeben und den Kampf gegen den offenen oder versteckten Anschluss unseres Landes an EU, NATO und andere imperialistische Pakte oben auf ihre Agenda setzen. Anläufe in dieser Richtung sind am ehesten bei den PdA-Sektionen der Deutschschweiz zu erkennen, wo sich etwa die PdA Bern klar gegen die Entwicklung der EU zu einem gegen die Werktätigen gerichteten, wirtschaftlichen, militärischen und politischen Block ausspricht und sich in ihrer Stellungnahme2 ausdrücklich der Gemeinsamen Position der Kommunistischen und Arbeiterparteien[3] zum Lissabon-Vertrag anschliesst.

(mh/7.7.08)

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Anmerkungen:

1 Vgl. dazu: Alvaro Cunhal: Merkmale einer KP; IV. Kapitel

2 Beschluss der Mitgliederversammlung der PdA Bern zur Europäischen Union (Dezember 2007)

3 Siehe Gemeinsame Stellungnahme zum EU-Vertrag (vom 17. Oktober 2007). Im Beschluss der PdA Bern vom Dezember 2007 mit keinem Wort erwähnt wird dagegen die im November 2007 in Prag von der EU-Linkspartei beschlossene Stellungnahme zur gleichen Materie.


Siehe auch:

Leseempfehlung zum Thema. Externer Link (NZZ-Online, 11.07.2008): Die Auns im Schatten der SVP-Interessen


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