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EU-Beflaggung im Kanton Tessin verbieten?

Der Abgeordnete der “Lega dei Ticinesi” (nationalistische Rechte) hat ein Verbot der Hissung der europäischen Flagge an öffentlichen Gebäude des Kantons Tessin. Üblich ist diese Beflaggung alljährlich am 5. Mai (Tag des Europarats, dem die Schweiz angehört). Die sozialdemokratische, die liberale und die christdemokratische Partei hielten diesem Begehren den Unterschied zwischen Europarat und Europäischer Union entgegen (die dieselbe Flagge haben). Der Abgeordnete der Kommunistischen Partei Massimiliano Ay hingegen ergriff die Gelegenheit, um die parlamentarische Tribüne zur Brandmarkung des europäischen Imperialismus auszunutzen. Nachstehend seine Rede vom 9. Mai 2017 im vollen Wortlaut, in deutscher Übersetzung:


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Massimiliano Ay (KP), Grossrat Tessin

Präsident, Staatsräte, Kolleginnen und Kollegen,

Meine anfängliche Gegnerschaft gegen die Motion war von der Tatsache bestimmt, dass die realen Probleme andere sind als der blosse Symbolismus. Und gleichzeitig glaube ich nicht an eine autarke Schweiz, sondern an ein neutrales Land im Rahmen eines multipolaren Zusammenhangs.

Ich bin allerdings zum Schluss gekommen, dass diese Flagge, obgleich sie am 5. Mai als Symbol für den Europarat gehisst wird, eine andere Bedeutung hat, und dass wir uns darüber Rechenschaft geben müssen: sie ist, ob es uns gefällt oder nicht, Symbol für eine oligarchische, supranationale und inzwischen nicht mehr reformierbare Macht geworden, die sich Europäische Union nennt, und wird von dieser im Dienste der Banken und der Multinationalen instrumentalisiert.

Die EU befindet sich im Niedergang, dennoch spart sie nicht an Politiken der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der einzelnen Nationen, mit neo-kolonialen und kriegstreibenden Modalitäten.

Es ist nicht wahr, dass jene Flagge eine Flagge des Friedens und der Menschenrechte sei: Es sind die europäischen Institutionen, die die Zerstörung ex-Jugoslawiens betrieben haben; es sind die europäischen Institutionen, die zum Weg der Balkanisierung und der Migrationsflüsse gedrängt haben, die durch diese geopolitischen Desaster verursacht wurden. Es ist die Flagge, die wie in Griechenland den Gipfel des Hasses erreicht hat, mit den dortigen Austeritätsmassnahmen gegen die Arbeitenden und die Pensionierten. Und es ist dieselbe Fahne, die 2014 die Neonazis vom Maidan-Platz in der Ukraine schwenkten bei ihrem Putsch, der die Kommunisten ausserhalb des Rechts gestellt, die Gewerkschafter in Odessa ermordet, und die Rassengesetze im Donbass erlassen hat.

Aber auch der Europarat, Kolleginnen und Kollegen, vertritt vom marxistischen Standpunkt aus nicht die Interessen der sozialen Klassen, die wir verteidigen möchten, und respektiert nicht einmal die Volkssouveränität, auf welcher die partizipative Demokratie aufgebaut ist.

Der Europarat ist verantwortlich für eine einseitige Auffassung der Werte, die wir als Marxisten respektieren, aber Mühe haben, in ihrer Gesamtheit zu anerkennen. Er hat in der Tat zum Ziel, drei Konzepte umzusetzen, die sich als zweideutig erweisen können: vor allem die Harmonisierung der juristischen Praxis, die jenseits aller schönen Worte leider in Wirklichkeit auch dazu dient, die sozialen Errungenschaften zu kastrieren; die an zweiter Stelle hochgepriesene Verteidigung der Demokratie beruht in der Realität auf einer einseitig klassengestützten und eurozentrischen Auffassung derselben, die nichts mit dem Respekt für kulturelle Verschiedenheiten und für die Souveränität der Nationen zu tun hat. Und Gleiches gilt auch für das dritte Ziel, nämlich die Entwicklung einer sogenannten europäischen Identität, die sich nun allenfalls in den «Erasmus»-Projekten und im Sponsoring von universitären Lehrstühlen und Beeinflussung der Studieninhalte in einer für die Interessen des Marktes funktionalen Weise niederschlägt.

Ich werde daher für den Bericht der Minderheit (zugunsten der Motion) stimmen, eher aus Absicht, ein politisches Zeichen zu setzen und weniger aus absoluter Überzeugung: Diese Flagge ist ein Affront auf die nationale Unabhängigkeit, auf die Arbeiter- und Studentenkämpfe und auf die direkte Demokratie.

Aber damit Klarheit besteht: ich handle damit als Internationalist, denn der Internationalismus hat nichts gemein mit dem Kosmopolitismus, der dieser ungerechten sozialen Ordnung zugrundeliegt, welche das globale und europäische Grosskapital konsolidieren will. Er hat nichts zu schaffen mit dem Nationalismus derjenigen, die vergessen, dass unser Land die antifaschistischen Internierten während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit heranzog, dass es antisemitische Praktiken vorsah, dass es die Kommunistische Partei der Schweiz und die Fédération Socialiste Suisse verbot und ihre demokratisch gewählten Abgeordneten aus dem Parlament ausschloss.

Danke für die Aufmerksamkeit

Massimiliano Ay,
Abgeordneter des Parlaments der Republik und des Kantons Ticino und Politischer Sekretär der Kommunistischen Partei (Schweiz)

Originalquelle (italienisch): DISCORSO SULLA MOZIONE “NO ALLA BANDIERA UE IN TICINO (9 maggio 2017 | Übersetzung: kommunisten.ch (15.05.2017).


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