kommunisten.ch

kommunisten.ch

Standortvorteile für den Aberglauben

Schon vor einigen Wochen konnte man der Presse entnehmen, dass der Turm von Babel, die Arche Noah und der Garten Eden bald an den Rhein zu liegen kommen werden. Die Firma Genesis-Land AG mit Sitz in der Schweiz plant eine Art Disney-Land zur Propagierung der biblischen “Botschaft” und Geschichte. Auf ihrer Internet-Seite beklagt sich die Firma mit folgenden Worten über die Unfrömmigkeit und begründet ihren Plan, um die “westliche Gesellschaft” zu retten.

Wir erleben vor allem in Europa und im Speziellen im deutschsprachigen Raum eine Zeit, in der darüber diskutiert wird, ob der biblische Unterricht aus den Lehrprogrammen der Schulen gestrichen werden soll. Dadurch entzieht die westliche Gesellschaft ihren Kindern das Wissen über die Grundlage unserer Kultur: Die Bibel. Wir möchten die biblische Geschichte und Botschaft in einer modernen und erlebnisreichen Art vermitteln. (Genesis-Land AG)

In Interlaken hat Gott offenbar nicht gewollt. – Der Mystery Park, vor Jahren mit grossem Pomp angekündigt und gegen grosse Widerstände aus der Bevölkerung gebaut, ist letztes Jahr geschlossen worden. Erich von Dänikens Traum, dass auf dem Bödeli zwischen Brienzer- und Thunersee einst ein Landeplatz für Ausserirdische entstehen würde, ist vorerst ausgeträumt. Der Park ist geschlossen, und offen bleiben seine unbezahlten Rechnungen. Die Propaganda für das Projekt Mystery Park war seinerzeit in den betroffenen Gemeinden so dicht, dass es nicht verwundern darf, wenn sich damals einige Bürger vom Enthusiasmus eines von Däniken anstecken liessen, wenn sie dieser Firma viel Kredit gaben und sich sogar mit kleinen Aktienpaketen daran beteiligten. Heute sind diese Leute ernüchtert und geben jenen Recht, die schon immer vor dieser Sache gewarnt hatten. Gegen den Bau des Mystery Park waren wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Einwände vorgebracht worden. Die Gemeindebeschlüsse über Landabtretungen und Baubewilligungen usw. waren heftig umstritten. Die geplanten Betriebsrechnungen wurden schon damals als realitätsfremd erkannt. Der Konkurs hat nun endgültig gezeigt, dass auch das betriebswirtschaftliche Konzept nicht auf Fakten gründete, eher auf extraterrestren Prophezeiungen.

Nach dem Zusammenbruch des Mystery Park war auch davon die Rede, dass der Ort dem Okkultismus erhalten werden könnte, indem der Tempel umgeweiht und dem eher biblisch und alttestamentlich orientierten traditionellen Wunderglauben verschrieben wird. Obwohl die Werke von Dänikens in vielen Sprachen in Massenauflagen erschienen sind, erreichen sie dennoch nicht den Bekanntheitsgrad des alten Testaments, und wo bekannt halten sie keinerlei Vergleich mit der biblischen Sammlung von spannenden Geschichten stand, die vor zweieinhalb Tausend Jahren auf Anregung der Perser und inspiriert durch die mythologische Schatzkammer dieses Kulturvolkes niedergeschrieben und viel später von Luther kraftvoll ins Deutsche übertragen wurden. Warum den Tempel also nicht jenen Göttern weihen, die das wirtschaftlich bessere Rezept versprechen?

Allerdings zeigt die eingangs genannte Genesis-Land AG wenig Interesse an der sterblichen Hülle des Mystery Park in Interlaken. Zu kleinräumig und zu abgelegen scheint das Einzugsgebiet und entspricht wohl nicht den grossdeutschen Dimensionen alles Beabsichtigten. So bleibt denn Interlaken vor dem Treiben der christlichen Tempelbauer verschont – dem Himmel sei Dank!. Aber die Widmung wertvoller diesseitiger Ressourcen an jenseitige Zwecke setzt sich andernorts fort. Als Stätte für den grossen Tempelbau haben die Kreationisten der Genesis die Gegend um Heidelberg auserkoren. Die Stadt, wo der Student sein Herz am Neckarstrand hat liegen lassen, soll nunmehr Gnade vor den Augen des Herrn finden, und Herr – das versteht sich – ist in unserer Gesellschaft immer noch der geballte Kapitalbesitz. Fundamentalistische Investoren sind also gesucht, welche bereit sind, das 120 Millionen Euro schwere Projekt zu finanzieren. Als Standortvorteil von Heidelberg kommt in Betracht, dass diese Stadt einen besonders hohen Anteil an US-Touristen aufweist, die im Rufe stehen, an alles zu glauben, wofür man auch bezahlen muss.

Anderthalb Jahrhunderte nachdem David Strauss das Leben Jesu kritisch bearbeitete, nach Corvins Paffenspiegel, Heines Wintermärchen und dem kommunistischen Manifest, hundert Jahre nach allem Spott des Simplicissimus über wiederaufkommende Unsitten des Aberglaubens und Reliquienhandels, stehen wir heute erneut einem Wiedererstarken des Obskurantismus gegenüber. So gross wie 70 Fussballfelder soll der bei Heidelberg geplante Park werden. Die Arche Noah soll dem Vernehmen nach “in Originalgrösse” nachgebaut werden. Diese Aufgabe wird die Schiffsbauer nicht in Verlegenheit bringen. Gewiss würde sich auch ein Schreiner bereit finden, um die Himmelsleiter, von der Jakob träumte, in Originalgrösse anzufertigen. Durch Zucht und Genmanipulation sollte es wohl auch gelingen, die sieben fetten Kühe von Pharaos Traum in originaler Öppigkeit lebendig werden zu lassen.

Hokuspokus widerspricht der Mentalität des Bödeli – Der ganze Hokus Pokus um Ausserirdische, welche angeblich die göttlichen Kulturbringer und Begründer der Geschichte gewesen seien, passt nicht nach Interlaken. Die Gegend von Interlaken war schon im Mittelalter ein ständiger Herd von Revolutionen lag meistens im Kampf mit den Feudalmächten des Klosters, der Landadeligen und später mit der stadtbernischen Feudalaristokratie, als diese ihre Landesherrschaft über das Oberland aufrichtete. Das Oberland hatte die freiheitliche helvetische Republik stürmisch begrüsst und der helvetischen Verfassung von Peter Ochs mit erdrückender Mehrheit zugestimmt. Gegen die Restauration der Macht der bernischen Aristokratie wehrten sich die Oberländer im Aufstand von 1814, wurden aber niedergeschlagen. Die Sieger überzogen diese Gegend mit wüsten Rachefeldzügen. Die erwachsenen Männer der aufständischen Dörfer wurden nach Interlaken gebracht und dort auf der Höhematte an Bänke gebunden. Ausländische Schergen verabreichten ihnen Rutenstreiche, während die Berner Aristokraten von den Hotelfenstern herab zuschauten. Unerhörte Kollektivbussen wurden den aufständischen Dörfern zur Vergeltung und Abschreckung auferlegt. Jahrzehntelang lehnten die Staatsbehörden willkürlich praktisch jedes Gesuch um eine Gewerbekonzession ab, das aus dieser freisinnigen Gegend kam. Dabei gab es selten ein Gewerbe, bei dem man nicht auf solche staatlichen Konzessionen und Bewilligungen angewiesen war. Viele Familien wurden ruiniert. Die ultraradikalen Oberländer, namentlich der Gemeinderat in corpore von Bönigen, wurden im 19. Jahrhundert von der bernischen Aristokratie zum Staatsfeind Nummer 1 erklärt. In der Zeit der Regeneration um 1830, in der Abwehr der Jesuitennot und im Kampf um einen demokratischen Bundesstaat stand das Bödeli an der Spitze der fortschrittlichen Bewegungen. Seine Vertreter bildetet auch im Verfassungsrat des Kantons Bern von 1846 die ultralinke Vorhut. Die Hegemonie der ausgesprochen demokratischen und patriotischen Kräfte hat sich auch im 20. Jahrhundert fortgesetzt. Bei Volksabstimmungen über sozialpolitische Vorlagen folgte das Oberland sehr oft, und einige Dörfer fast immer den Parolen der Gewerkschaften. Die ausgesprochen freiheitliche und entsprechend antifaschistische Gesinnung der Bevölkerung mochte einen der Gründe bilden, die den General Guisan bewogen haben, sein Hauptquartier gerade hier in Interlaken aufzuschlagen. An der Wende zu unserem Jahrhundert ist der Einfluss der Sozialdemokratischen Partei rasch zusammen geschmolzen. Ihr Wähleranteil hat sich in vielen Dörfern halbiert. (6.6.08-mh)

Externe Links: