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Gegen die Europäische Union des Grosskapitals


Vorbemerkung: An einem Sonderparteitag legt die Partei der Arbeit (PdA Schweiz) im Juni ihre Position zur Europäischen Union fest. Dazu dokumentieren wir einen Diskussionsbeitrag von Rolf Zbinden und Marcel Hostettler. Die Autoren aus Bern kommen zum Schluss, dass die Kommunisten in der Schweiz sich dem Kampf der kommunistischen Parteien und der Arbeiterklassen Europas gegen Euro-Zentralismus, Neoliberalismus und Militarismus anschliessen sollen. Dem Kongress wird die Berichtigung der vom Parteitag 1991 beschlossenen EU-freundlichen Position empfohlen, «die teilweise das Ergebnis von isolierten, aus den Zeitumständen heraus verständlichen Fehleinschätzungen und Irrtümern war, …» – Illusionen, die durch die seitherige reale Entwicklung unerbittlich zerstäubt werden – , «… teilweise aber auch Ausdruck der verschüchterten Preisgabe der proletarischen Weltanschauung und Klassenerfahrung.»


Diskussionspapier für den Kongress der Partei der Arbeit (PdA Schweiz) im Juni 2009:

Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d.h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die “fortgeschrittenen” und “zivilisierten” Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär. Das Kapital ist international und monopolistisch geworden. Die Welt ist aufgeteilt unter ein Häuflein von Grossmächten, d.h. von Staaten, die in der grossangelegten Ausplünderung und Unterdrückung der Nationen die grössten Erfolge zu verzeichnen haben. (Lenin: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa1)

GEGEN DIE EUROPÄISCHE UNION DES GROSSKAPITALS

I. Kurzthesen zur EU

  1. Der Römer Vertrag von 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG war eine Option der wichtigsten Grossmächte und des Monopolkapitalismus Westeuropas. Heute geben die Entwicklungen in der EU jenen Kräften Recht, welche dieser Politik den Kampf angesagt haben, die NEIN zum Maastricht-Vertrag sagten und heute ihre Gegnerschaft zum –Verfassungsvertrag» von Lissabon zum Ausdruck bringen. Die Entwicklung gibt all jenen Recht, die heute die Europäische Union des Grosskapitals als neoliberales und militaristisches Direktorium der Grossmächte bekämpfen.
  2. Die von Seiten der dominierenden Kräfte der Europäischen Union, Sozialdemokraten, Konservative und Rechte unterschiedlicher Ausrichtung, propagierten Ziele wie Zusammenwachsen der nationalen Volkswirtschaften, Beschäftigung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Ausbau der Demokratie, Frieden und gemeinsame Entwicklung auf dem Fuss der Gleichberechtigung – haben sich als Fehlanzeige erwiesen. Die EU hat zur Aufgabe, das transnationale Kapital mit europäischer Basis und die Grosskonzerne der wichtigsten europäischen Mächte zu stärken, indem sie ihren ökonomischen Machtbereich expandiert und ihren Einfluss auf die Festlegung der Politiken auf europäischer Ebene und und in den Mitgliedsstaaten verstärkt, indem sie den Lohnabhängigen Rechte und Errungenschaften entzieht, und indem sie neue Märkte und Rohstoffgebiete ausbeutet.
  3. Derzeit nehmen die Angriffe auf Beschäftigung und Löhne zu, desgleichen auf die Altersvorsorge und die soziale Sicherheit, das Arbeitsrecht und die gewerkschaftlichen Rechte. Grundlegende Rechte wie das Recht auf Schulbildung, Gesundheit und Sozialvorsorge werden in Märkte und Profitquellen des Grosskapitals verwandelt. Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung nehmen zu. Die familienbetriebliche Landwirtschaft und Fischerei, die selbständigen Handwerker und kleinen Industriebetriebe werden durch die Herrschaft der Finanzgruppen und der Grossverteiler erdrückt.
  4. Die demokratischen Rechte erleiden herbe Schläge. Der Antikommunismus wächst, in einigen Fällen mit Hilfe von Regierungen von EU-Mitgliedern, in anderen Fällen durch die Einrichtungen der EU selbst gefördert. Verbotserlasse und Verfolgung von politischen Linkskräften werden verallgemeinert, Rassismus und Fremdenhass genährt. In zahlreichen EU-Ländern (Spanien, baltische Staaten, Tschechien, Ungarn, Polen) werden Oppositionsparteien unterdrückt und illegalisiert.
  5. Die Militarisierung der EU schreitet zügig voran. Die fortlaufende Steigerung der Militärausgaben der EU-Mitglieder wird von der EU her forciert. Dazu kommt die Schaffung einer zentralen Rüstungsagentur, welche als europäisches Pendant zum Pentagon entstehen soll.
  6. Zügig voran schreitet auch die Zusammenarbeit der EU mit der NATO und den USA, die sich nicht nur in den imperialistischen Kriegen, namentlich im Irak und Afghanistan, beweist, sondern auch in den illegalen Flügen der CIA, in den gemeinsamen Druckversuchen gegen das sozialistische Kuba und das bolivarische Venezuela und überhaupt gegen all jene Länder und Völker, welche den imperialistischen Weltherrschaftsplänen Widerstand leisten. Diese Komplizenschaft zwischen EU und USA, die auch durch den Eintritt Frankreichs in die NATO-Kommandostrukturen zum Ausdruck kommt, widerlegt Illusionen derer, die in der Stärkung der EU ein Gegengift gegen die Vorherrschaft der USA erblicken möchten. Der Expansionskurs der EU und der NATO sind nicht von einander zu trennen: Das europäische Grosskapital braucht die Osterweiterung der EU und der NATO, ebenso wie die Politik des Drucks gegen souveräne osteuropäische Länder, um seine Pläne der politischen, wirtschaftlichen und geostrategischen Herrschaft zu verfolgen. Dazu passt es, dass neue EU-Betrittskandidaten sich jeden Annäherungsschritt mit NATO-Partnerschaften und NATO-Beitritt erkaufen müssen.
  7. Nach innen zielt die Militarisierung der EU auf die weitgehende Unterordnung des gesamten gesellschaftlichen Lebens unter die Erfordernisse der Hegemonialpolitik der EU-Grossmächte. Die EU-Regierungen richten sich durch eine gewaltige Aufrüstung auf den Ausbruch sozialer Unruhen ein. Unter dem Vorwand des “Kriegs gegen den Terrorismus” wurde der repressive Apparat in den letzten Jahren massiv ausgebaut:
    – durch personelle und finanzielle Aufstockung;
    – juristisch, indem die Polizeibefugnisse ausgedehnt und die demokratischen Verfassungsrechte reglementiert und geschmälert werden;
    – durch neue Bewaffnungen, die dem zutiefst menschenverachtenden Zug des Imperialismus entsprechen, wie etwa Taser, Drohnen usw.;
    – durch Ausbau des Überwachungsstaates mit modernsten technischen Mitteln und internationale Vernetzung der angelegten Datenbestände;
    – durch den Aufbau von privaten Schlägertrupps.
  8. Die Souveränität und Unabhängigkeit der Völker und Länder werden immer öfter in Frage gestellt. Dies zeigt sich nicht nur im Inhalt, sondern auch in den Methoden zur Durchsetzung des –Verfassungsvertrags», trotz dessen ausdrücklicher Ablehnung durch die Völker Frankreichs und der Niederlande. Nie haben die Völker der EU-Mitglieder den Wunsch nach einer supranationalen Verfassung geäussert. Nie haben Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung stattgefunden, so dass die Parteien ihre Vorstellungen über Verfassungsalternativen in einem Wahlkampf hätten einbringen können, damit die Völker eine Richtung einschlagen könnten. Nie und nimmer haben die Völker die Regierungen ermächtigt oder beauftragt, hinter verschlossenen Türen eine Verfassung auszuhandeln und den Rechtsunterworfenen als vollendete Tatsache hinzustellen. Durch eine Reihe von Verträgen (Maastricht, Amsterdam, Nizza usw.) haben die Regierungen und die grossen Wirtschafts- und Finanzgruppen die Ausgestaltung der Europäischen Union als Direktorium der transnationalen Konzerne und der Grossmächte vorangetrieben. Das alles ist über die Köpfe der Völker hinweg geschehen.
  9. Die EU beruht auf einem Vertragswerk, in dem die politischen und ökonomischen Bedingungen für die Verwirklichung der Ziele ihrer Urheber festgeschrieben sind: Militarisierung, Sozial- und Demokratieabbau sowie Privatisierungspolitik. Der Lissabon-Vertrag bedeutet weitere Souveränitätsverluste für die Völker der EU-Mitgliedsländer, verpflichtende militärische Aufrüstungsprogramme, verschärfte Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Menschen. Der Kapitalismus soll durch den Vertrag als einzig zulässiges Wirtschaftssystem festgeschrieben werden. Die EU ist daher weder für fortschrittliche Bewegungen instrumentalisierbar noch lässt sie sich in eine fortschrittliche oder gar revolutionäre Richtung transformieren.

II. Schlussfolgerungen (Entwurf)

1. Aus diesen Gründen schliesst sich die PdA dem Kampf der kommunistischen Parteien und der Arbeiterklassen Europas gegen Euro-Zentralismus, Neoliberalismus und Militarismus an. Sie kämpft für ein Europa des Friedens und der Solidarität, der sozialen Gerechtigkeit, der Zusammenarbeit zwischen souveränen und gleichberechtigten Staaten.
Damit berichtigt der Parteitag die vom Parteitag 1991 beschlossene Position, die teilweise das Ergebnis von isolierten, aus den Zeitumständen heraus verständlichen Fehleinschätzungen und Irrtümern war, teilweise aber auch Ausdruck der verschüchterten Preisgabe der proletarischen Weltanschauung und Klassenerfahrung.

2. Die PdA stellt sich sowohl gegen den Beitritt der Schweiz zur EU wie auch gegen die Abtretung von souveränen Rechten an supranationale Gebilde gleichen Charakters.

3. Soweit sich unter den in Kraft stehenden und überwiegend arbeiterfeindlichen Bestimmungen der Verträge mit der EU tatsächlich vereinzelte Erleichterungen für Gruppen von Lohnabhängigen aus dem EU-Raum und der Schweiz finden, fordern wir deren Anwendung auf Staatsangehörige aller Länder ungeachtet ihrer Mitgliedschaft in supranationalen Strukturen und Militärblöcken.

4. Die PdA verurteilt die Politik des kalten Anschlusses an EU und NATO, welche vom Bundesrat grösstenteils hinter dem Rücken des Volkes geführt wird, weil man das Licht der Öffentlichkeit scheut – das sich gelegentlich dann doch den Weg bahnt (Tornado-Absturz, CIA-Fax-Affäre, Aktion Reisswolf).

III. Zum Papier Crivelli2

  1. Genosse Crivelli verschleiert den Klassencharakter der EU (die Frage: wer wen?) und nährt die falsche Vorstellung, dass der politische Überbau über imperialistischer Ökonomik demokratisch usw. sein könne.
  2. Crivelli spricht von Demokratie, aber nicht vom Baskenland. Er spricht von Frieden, aber nicht von Jugoslawien. Er verzichtet auf eine Auseinandersetzung mit der konkreten EU und ihren konkreten Politiken, und speist uns stattdessen mit pseudokritischer Rhetorik ab. Dazu gehört, dass er den Begriff Europa instrumentalisiert, indem er die EU mit Europa geradewegs gleichsetzt, so dass jede EU-Kritik für eine Kritik an Europa erscheinen muss. (vgl. die Formulierung “Unsere Partei soll Europa … mit dem Willen zur Veränderung anschauen.”)
  3. Er verwechselt den proletarischen Internationalismus mit bürgerlichem Kosmopolitismus, dem er sich so verbunden fühlt, dass er zur Selbstgeisselung aufruft: “Wir Schweizer … sind nicht besser als die anderen Europäer, im Gegenteil!”. Crivelli versteht nicht, dass der Kapitalismus “aus einem Befreier der Nationen zu deren grösstem Unterdrücker geworden ist”3.
  4. Crivelli leugnet die antidemokratischen Druckversuche vor und nach dem irischen Referendum und den antidemokratischen Charakter des Prozesses zur Durchsetzung der neuen EU-Verfassung. Er scheut sich nicht vor sachlicher Falschinformation, indem er so tut, als würden im Falle eines EU-Beitritts die direktdemokratischen Instrumente des Referendums und der Initiative unbeschadet weiter gelten.
  5. In denunziatorischer und beleidigender Weise stellt er die EU-Gegnerschaft innerhalb der PdA in die SVP-Ecke und warnt die Partei, “nicht den rechtsextremen Nationalisten und der Fremdenfeindlichkeit zu folgen.”
  6. Crivellis Diffamierungen richten sich auch gegen den “Grossteil der Bevölkerung”, von deren Konsultation der Demokrat Crivelli lieber absehen möchte. Dabei unterstellt er der ablehnenden Volksmehrheit, den “rechten Sirenengesängen” zu folgen. Hier eine Frage: wenn es die behauptete Volksverblendung durch die SVP gibt, muss ein Kommunist sich dann nicht nach deren Ursachen fragen? Stattdessen predigt Crivelli einen politischen Elitismus, der sich für eine kleine Gruppe leicht als self fullfilling prophecy herausstellen könnte.

15. April 2009
Rolf Zbinden / Marcel Hostettler

Fussnoten (Bem.: Die Kurzthesen machen ausgiebig Gebrauch von den internationalen Erfahrungen der kommunistischen und Arbeiterparteien, die sich in zahlreichen “Common Statements” und Dokumenten von einzelnen Parteien (KKE, PCP, KPÖ Steiermark, dkp Berlin, PdA Bern usw.) verallgemeinert und untersucht finden. Aus dieser Quelle eingeflossene Ergebnisse und übernommene Formulierungen werden hier nicht als Zitate ausgewiesen.)

1 W.I. Lenin (1915), Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, in: Lenin, Werke, Band 21, S. 342ff., Dietz Berlin 1972

2 Norberto Crivelli, Die Option offen lassen, in: «Vorwärts – die sozialistische Zeitung», Nr. 13/14 (3. April 2009)

3 W.I. Lenin (1915), Sozialismus und Krieg in: Lenin, Werke, Band 21, Seite 289ff.


Siehe auch:

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