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Fall Crypto AG: Vaterlandsverräter oder komplette Stümper?

Diese Frage erhebt sich nach Auffliegen des Skandals rund um die Crypto AG, welche an weit über 100 Länder Verschlüsselungsmaschinen verkaufte, deren Code durch eine Hintertür von westlichen Geheimdiensten dechiffriert werden konnte. Aufgeworfen wird die Frage von der Kommunistischen Partei (Schweiz) in ihrer Stellungnahme zur Rolle der offiziellen Schweiz im Skandal. Nachfolgend die deutsche Übersetzung der Resolution der Parteileitung vom 23. Februar im vollen Wortlaut. (mh/25.02.2020)


Resolution der Parteileitung der Kommunistischen Partei (Schweiz) vm 23. Februar 2020

Fall Crypto AG: Vaterlandsverräter oder komplette Stümper?

Die Kommunistische Partei ist bestimmt nicht erstaunt darüber, dass die Schweiz einen Betrieb im Eigentum der atlantischen Geheimdienste (in diesem Fall der US-amerikanischen CIA und der westdeutschen BND) beherbergte: wir wissen gut, dass sich Bern, trotz unserer Neutralität (die wir als Kommunisten verteidigen und zur Geltung bringen wollen), historisch im atlantischen Lager eingereiht hat und dass man auch heute – mit dem Rücktritt von Bundesrat Didier Burkhalter noch deutlicher – fortfährt, das Haupt vor Washington zu senken. Aber wenn nicht erstaunt, so sind wir mit Sicherheit empört über denjenigen Teil der schweizerischen Bourgeoisie, der vor diesem Skandal die Augen verschlossen und sich damit einmal mehr als “Patriot” mit variabler Geometrie erwiesen hat.

Der Fall von Spionage seitens der Geheimdienste der USA mittels der Schweizer Firma Crypto AG bis 2018 wird vom Wirtschaftsverband “Economiesuisse” sogleich als “Relikt aus dem Kalten Krieg” klassiert. Dessen waren wir uns gewiss: ohne auch nur die Zeit zur Verdauung der Nachricht und zur Eröffnung einer Untersuchung abzuwarten, haben die eifrigen Exponenten des schweizerischen Patronats, die nur Schwächeren gegenüber Patrioten, aber immer bereitwilligst sind, vor den Diktaten der USA und EU in die Knie zu gehen, sofort dazu aufgerufen, die Affäre nicht hochzuspielen. Ins gleiche Horn blies Nationalrat Marco Romano (CVP) im Interview mit RSI, der im perfekten Stil des “uregiatt”[1] den schwerwiegenden Angriff von Seiten Washingtons auf unsere nationale Souveränität und auf den neutralen Charakter der Eidgenossenschaft schamhaft banalisierte. Es mutet seltsam an, wenn dabei vom “Kalten Krieg” die Rede ist: es leuchtet uns in der Tat nicht ein, dass Italien, das auch zu den Kunden von Crypto AG zählte, dem Warschauer Pakt angehört haben soll!

Die diplomatischen guten Dienste und die Neutralität, die der Eidgenossenschaft Ansehen eingetragen haben (und aus denen sie auch wirtschaftliche Vorteile zieht), stehen heute in ihrer internationalen Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Es ist vielleicht kein Zufall, dass wichtige Friedensgespräche heute nicht mehr in Genf stattfinden, sondern in Sotschi, Astana oder Singapur! Nur durch Schaffung maximaler Transparenz und eine drastische Erneuerung des Apparats unserer Gegenspionage wird man schliesslich versuchen können, den Schaden (nicht nur am Image) auf globaler Ebene sofort wieder zu beseitigen. Wer den Staub unter den Teppich kehren will, arbeitet aktiv gegen die nationalen Interessen und im Dienst des atlantischen Imperialismus.

Durch ein Schweizer Unternehmen – mit Zustimmung sowohl des Wirtschaftsamts SECO wie des Eidgenössischen Departements für Verteidigung (… und was für eine Verteidigung!) – konnte beispielsweise eine ausländische Macht die Regierung von Salvador Allende in Chile ausspionieren, welche – auch dank der Informationen, die von der Schweizer Firma illegal entwendet wurden – durch Pinochets blutigen Staatsstreich gestürzt werden konnte. Wie will man nun den vielen chilenischen Flüchtlingen, die jetzt in unserem Land leben, erklären, was 1973 passiert ist? Aber es gibt noch mehr: Wie Ex-Ständerat Dick Marty (FdP) zu Recht sagte, wurde nicht nur das Leben unserer Mitbürger aufs Spiel gesetzt, die als ahnungslose Arbeiter des Unternehmens in die ganze Welt geschickt wurden, um Minister, Militär- und Geheimdienstagenten hineinzulegen; in Gefahr gebracht wurde die innere Sicherheit unseres Landes, das im Fall der Aufdeckung Repressalien ausgesetzt werden konnte.

Ist es wahr, dass unsere Nachrichtendienste und die (politische) Bundespolizei – die während Jahrzehnten fröhlich fast eine Million von Bürgern ausspionierten und fichierten (und das womöglich immer noch tun!) – im Fall der Crypto AG ein Auge zugedrückt haben, um den nordamerikanischen Boss nicht zu stören? Wenn ja, dann heissen sie Komplizen und dienten nicht unserem Land, sondern einer fremden Macht und verrieten ihr hohes Amt in der Verteidigung unserer Unabhängigkeit. Wenn nein, dann sind wir in der Hand von kompletten Stümpern, welche, während sie ihre Zeit verschwendeten mit der Fichierung von Grossrat Pietro Monetti, dem Gründer unserer Partei, welche nie den Umsturz befürwortet hat, sich an der Nase herumführen liessen von denen, die im Ernst Staatsstreiche und terroristische Attentate organisierten! Kurz gesagt, die Situation muss auf jeden Fall als ernst angesehen werden: Nicht nur eine parlamentarische Untersuchungskommission ist dringend erforderlich, sondern auch eine allgemeine Säuberung innerhalb der für die nationale Sicherheit zuständigen Stellen!

Der Crypto-AG-Skandal zeigt aber auch einen anderen Aspekt, der bislang wenig thematisiert wurde: die Unterwürfigkeit, welche die Schweiz mit der Technologie auf NATO-Basis entwickelt hat, und dies nicht nur in Bezug auf die Bewaffnung, aber auch im Bereich der Verschlüsselung und der Informatik. Diese Tendenz riskiert sich noch weiter zu konsolidieren mit der nächsten Beschaffung von neuen Kampfflugzeugen, wobei die atlantische Bindung im technologischen Bereich vom Bundesrat sogar ausdrücklich erwähnt wird. Ein wirklich unabhängiges und neutrales Land müsste dagegen die eigenen technologischen Bezugsquellen diversifizieren und vermeiden, dass solche zum Mittel der Erpressung durch fremde Mächte werden können.

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1 “Uregiatt”: Die CVP steht nicht nur im Tessin im Ruf einer Partei, die gerne allen recht gibt, sich immer ein wenig, aber doch nicht zu sehr exponiert, klaren Stellungnahmen ausweicht, heuchelt usw. Im 19. Jahrhundert ist für konservative Politiker dieses Typus im Tessiner Dialekt die Bezeichnung “uregiatt” (ital. orecchiuto, langohrig) aufgekommen. (Anmerkung d. Übersetzers)


Originaltext (ital.): Caso Crypto SA: traditori della patria o perfetti incompetenti? (Risoluzione della Direzione del Partito Comunista del 23 febbraio 2020) | Übersetzung: kommunisten.ch (25.02.2020).


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