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Geschrei gegen Libyen

Beliebigkeit der Argumente

Nahezu jedes Argument und ebenso sein Gegenteil, ist in diesen Tagen in der Schweiz recht, sofern es nur irgendwie dazu taugt, die Hetze gegen Libyen anzufeuern, sei es aus aussenpolitischen Gründen oder im Rahmen des Gezänks zwischen den Bundesratsparteien, sei es, um die Sensationsgier zu bedienen.

Die Spannungen zwischen der Schweiz und Libyen beruhen natürlich auch auf allen Antagonismen, die sich aus der unterschiedlichen Stellung beider Länder ergeben, aber dem Anlass nach handelt es sich um einen “nichtantagonistischen” und zweitrangigen Konflikt. Es besteht kein unüberbrückbarer Interessengegensatz, der seiner Lösung entgegenstehen würde.

Der Bundespräsident hat sich in Libyen für den als “ungebührliche und unnötige Verhaftung” eines libyschen Diplomaten charakterisierten Polizeieinsatz in Genf entschuldigt. Opfer dieses Vorfalls vom Juli 2008 waren der Sohn des Gründers der “Grossen Sozialistischen Libysch-Arabischen Volksrepublik” und Staatspräsidenten Muammar Al-Qaddhafi (auch Gadhafi oder Gaddafi). Zwanzig schwerbewaffnete Polizisten waren damals in ein Hotelzimmer eingedrungen, um Hannibal und seine hochschwangere Frau Aline zu verhaften, wobei sie ihn in Handschellen abführten, obwohl er keinen Widerstand leistete.

Seit der Reise von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz nach Tripolis vom 20. August ist es auch für die Öffentlichkeit ersichtlich, dass sich eine Lösung zum Abbau der bestehenden Spannungen zwischen beiden Staaten anbahnt. Aber genau seit diesem Zeitpunkt sehen wir ein Heer von Politikern und Journalisten am Werk, die dieses Vorhaben offenbar torpedieren wollen. Dabei nehmen Viele eine erneute Beschädigung der Beziehungen mit Libyen in Kauf, indem sie Libyen a priori als vertragsbrüchig hinstellen, indem sie unser Land offen zum Vertragsbruch auffordern, und indem sie damit auch die libysche Seite provozieren, denen Recht zu geben, die den Schweizern nicht recht trauen.

Libyen pocht auf Gleichbehandlung

Schon in der ersten Phase der Bemühungen um eine Beilegung der Probleme wurde das beleidigte Tripolis zusätzlich brüskiert, indem die Schweiz ihren Botschafter aus dem Land zurück beorderte. Im Verlauf der Verhandlungen mit Libyen hat sich die Position der Schweiz weiter verschlechtert.

In Schieflage geriet die Schweiz auch durch ihr widersprüchliches Verhalten. Auf der einen Seite wird ein Gadhafi-Sohn in Genf verhaftet, und eine geforderte Entschuldigung wird langezeit als Ding der Unmöglichkeit hingestellt und verweigert. Sein Bruder wird anderseits in Davos von der Aussenministerin in die Sache gezogen, und mit aller Selbstverständlichkeit mit allem diplomatischen Respekt und Status angesprochen, den man seinem Bruder negiert haben wollte.

Nach Darstellung des Genfer Anwalts Charles Poncet, der mit der Wahrung der Interessen der Familie Gadhafi beauftragt ist, trat die Schweizer Delegation den libyschen Unterhändlern gegenüber in einer Weise auf, die dort den Eindruck hervorrufen musste, dass man auf ihr Land herabblickt. So erklärten die Schweizer den Gästen aus Tripolis, gerade als diese einige Fragen auf den Tisch gelegt hatten, dass die Sitzung leider abgebrochen werden müsse, damit die Berner EDA-Beamten nicht zu spät nach Hause kommen. “Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen!”, sagt Poncet.

Man kann sich den Schock der Weithergereisten vorstellen. So musste sich wohl auf libyscher Seite der Eindruck gerade befestigen, dass die Schweiz einem Land wie Libyen die Gleichbehandlung mit anderen Ländern versagt, dass sich die Ereignisse von Genf gewissermassen im Kleinen wiederholen.

Antilibysche Kampagnen

Es muss in Libyen wohl eine zusätzliche Bitterkeit hervorrufen, wenn ihm von der Schweiz aus immer wieder unterstellt wird, dass es sein Wort nicht halten werde.

Ein Beispiel: Als vor Tagen ein Bundesratsjet nach Libyen flog, um zwei dort 2 wegen Visavergehen festsitzende Schweizer Bürger nach Hause zu bringen, entrüstete sich der Boulevard darüber. Aber nicht etwa über den bei dieser spektakulären Staatsaktion zum Vorschein gekommenen Mangel an diplomatischem Fingerspitzengefühl; nein, der Journalist insinuierte, dass die Libyer imstande seien, sich unserer Transportmittel zu bemächtigen. «Das Flugzeug hat zwar Baujahr 1982, ist aber immer noch 5 Millionen Franken wert. Doch der Bundespräsident zögerte nicht, das teure Flugi auf nach Tripolis zu schicken.» (Blick 27.08.2009) Nachdem sich herausgestellt hat, dass Libyen das Flugzeug nicht nur unbehelligt gelassen, sondern sogar auf dem raschen Abflug der Maschine mit Bemalung der Swiss Air Force bestanden hat, kommentiert die gleiche Zeitung: «Und wieder tanzt Merz nach Gadaffis ­Pfeife: Der Bundesrats-Jet durfte nur das Gepäck der Geiseln mitnehmen.» (Blick, 29.08.2009) Nur das Gepäck! Dass das gestern noch als gefährdet Wertobjekt von “aber immer noch 5 Millionen Franken” wohlbehalten in der Schweiz gelandet ist, wird als Selbstverständlichkeit gar nicht erst erwähnt, obwohl gestern noch einen falschen Alarm wert.

Noch ein Beispiel aus dieser Kampagne: Einige der Hälse, die sich mit Forderungen nach Härte gegen Libyen wund schreien, behaupten, dass Libyen viel mehr als die Schweiz vom gegenseitigen Handel profitiere bzw. von dessen Aussetzen mehr zu befürchten habe. Damit soll dargetan werden, dass die Schweiz am längeren Hebel stehe und diese Lage ausnützen sollte. Die Richtung solcher “Argumente” ist auch gegen Verkehrungen des Arguments ins Gegenteil resistent. Auch unter Behauptung des materiellen Gegenteils, ertönt die Negation in der Praxis wiederum als antilibysches Feldgeschrei in Form des Vorwurfs, der Bundespräsident habe der (stärkeren) ökonomischen Verhandlungsmachtposition der Libyer nachgegeben und die Ehre der unterlegenen Schweiz geopfert. So wird im ersten Schritt fein säuberlich unterschieden, ob die Schweiz am längeren oder kürzeren Hebel steht, um alsdann in beiden Fällen in die gleiche Einbahnstrasse der antilibyschen Schlussfolgerungen einzuspuren.

Das Schiedsgericht ist ein vernünftiges Mittel

In der Rhone-Stadt, die unsere Aussenministerin stellt, gehen die Wogen besonders hoch, und der Kanton Genf fühlt sich von der eidgenössischen Zentrale überfahren. Auch in der Deutschschweiz wird auf jede Weise dramatisiert und so getan, als ginge es bei der libysch-schweizerischen Vereinbarung über die Einsetzung eines internationalen Schiedsgerichts um einen Präzedenzfall der Unterwerfung der Schweiz unter “fremde Richter”. Mit Anspielung auf den Bundesbrief von 1291

“Wir haben auch einhellig gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter, der das Amt irgendwie um Geld oder Geldeswert erworben hat oder nicht unser Einwohner oder Landmann ist, annehmen sollen.”

versuchen Gegner, den Vertrag mit Libyen als Bedrohung für den Kerngehalt der Schweizerischen Eidgenossenschaft hinzustellen. Dabei unterschlagen sie die Tatsache, dass die Entwicklung von schiedsgerichtlichen Verfahren zwecks friedlicher Beilegung von Konflikten gerade einen der grundlegendsten Charakterzüge der Eidgenossenschaft bildete, und zwar von allem Anfang an.

Die Schweiz und Libyen erweisen sich bei der Beilegung der derzeit bestehenden Probleme als zivilisierte Nationen, welche die Gefahr einer Eskalation noch rechtzeitig zu zügeln wussten, indem sie auf bewährte völkerrechtliche Instrumente setzen. Das ist erfreulich in einer Zeit, in der einige grösseren Mächte das internationale Recht und Völkerrecht immer mehr beiseite schieben, um ihre Interessen mit wirtschaftlicher Erpressung, mit unmenschlichen Blockaden oder mit Militärgewalt durchzusetzen.

Wer im Glashaus sitzt …

In der Schweiz stellen wir fest, dass sich “spontan” eine starke Opposition gegen den Vertrag mit Libyen bildet, ein Land, das zur Bewegung der blockfreien Staaten gehört und dort ebenso wie in der Afrikanischen Union eine bedeutende Rolle spielt. Keine auch nur annähernd in Breite und Medienwirkung vergleichbare Opposition bildet sich gegen Verträge mit Staaten wie den USA, Grossbritannien, Deutschland und Israel usw. vereinbaren, die im aggressiven Kriegspakt verbündet weltweit Furcht und Schrecken verbreiten. Dies obwohl es sich da um Verträge von wesentlich allgemeinerer und grösserer Tragweite handelt, die weit tiefergehende Verpflichtungen der Schweiz stipulieren. Darin werden strategisch entscheidende politische und ökonomische Materien verbindlich geregelt, und es werden Weichen gestellt für die Anbahnung einer immer engeren Kooperationen im militärischen, polizeilichen und geheimdienstlichen Bereich.

Libyen scheint besonders geeignet als Opfer gegen Angriffe mit humanitären Argumenten. Und die Schweizer, in der Meinung, dass ihr Land auf diesem Gebiet keine Blössen habe, werfen ihre Steine vom hohen Ross, und verstehen einen Hans-Rudolf Merz nicht, der hierüber wohl ein realistischeres Bild hat, und an die Sache im Bewusstsein heranging, dass die Schweiz im Glashaus sitzt. Was Gadhafi auch immer auf dem Kerbholz haben mag, es verschwindet wohl neben dem, was die Schweizer Konzerne und in ihrem Interesse die Regierung um des Profits willen weltweit an Unrecht, Unterdrückung, Krieg und Elend hervorgerufen, ausgeheckt, unterstützt oder geduldet haben.

Leider tun die Medien wenig, und benützen auch die jetzt gebotene Gelegenheit kaum, um die Bevölkerung über die Rolle des frankengestützten Imperialismus und seine in vielen Ländern verheerenden Auswirkungen aufzuklären. Stattdessen werden Vorurteile und irrealistische, wenn nicht mythische Vorstellungen gepflegt, die den Nährboden für rassistische und chauvinistische Ideen bilden.

Ein Strauss von Forderungen

Hier nur eine kleine Auswahl von Stellungnahmen, die in diesen Tagen erhoben wurden: Es hagelte unter anderem von Rücktrittsforderungen, die sich abwechslungsweise gegen den Bundespräsidenten (FDP) und gegen die Aussenministerin (SP) richten. Daneben die bereits vertraute Verkehrung des Arguments: Stimmen, welche solche Rücktrittsforderungen ohne Prüfung ihrer Rechtfertigung strikt ablehnen, weil der Sturz eines Ministers ein Triumph sei, den sie Gadhafi nicht gönnen möchten.

Ein prominenter SP-Politiker will Anwälten einen Maulkorb verpassen. – «Poncet wird von Libyen bezahlt, um die Interessen der Familie Qadhafi zu verteidigen», kritisiert der Genfer Nationalrat Carlo Sommaruga den Genfer Anwalt, der die libyschen Interessen vertritt. «Gleichzeitig macht er Politik. Man weiss nicht mehr, als was er eigentlich auftritt, als Qadhafi-Anwalt oder als Alt-Nationalrat.» (Tagesanzeiger, 26.08.2009) Sommaruga sitzt in der aussenpolitischen Kommission des Nationalrates.

Grün lauert sprungbereit auf eine PUK – Ebenfalls aus dem Kanton Genf wettert der Präsident der Grünen Schweiz, Ueli Leuenberger, auf den Zeitpunkt wartend, um das «unannehmbare» Verhalten von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz zu analysieren, und setzt auf eine parlamentarische Untersuchungskommission: «Eine PUK könnte dann eine Möglichkeit sein.» (Der Bund, 25.8.2009)

Vertragsbruch oder gleich Krieg? – Der freisinnige Bundepräsident habe durch seine Unterzeichnung des Vertrags mit Libyen das Gesicht verloren, heisst es. Seine eigene Partei verlangt die Sistierung des Vertrags. Andere fordern, den Vertrag überhaupt zu brechen. Hitzköpfe träumen von einer “Geiselbefreiung à la GSG-9”, und ein Politiker der Tessiner Lega fordert die Schweiz auf, einen Krieg gegen Libyen anzuheben.

PdA-Sektion Waadt mit von der Partie – Auch die PdA-Sektion des Waadtlandes schliesst sich vorherrschenden Sprachregelungen an, sogar bis ins Detail hinein: sie glaubt, von einem “Kniefall vor einem der schlimmsten Diktatoren des Planeten” (POP VD, 21.08.2009)1 reden zu müssen. Damit äussern die Popistes Vaudois ein weiteren Mal ihre Neigung, sich vor fremde Karren spannen zu lassen oder diesen hinterher zu trotten.

Sobald die beiden in Tripolis befindlichen Schweizer Bürger zurückfliegen, wird eine neue Welle der Kampagne auf uns zu kommen, weil dann die zwischen den politischen Parteien abgestimmte Zurückhaltung aus Rücksicht auf die beiden entfällt, und jede Stellungnahme die andere an Schärfe übertrumpfen will.

(mh/06.09.9009)

Fussnoten

1 La Suisse Se Prosterne Honteusement Devant Kadhafi (POP VD , 21.08.2009)


Siehe auch:


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