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Zu den «humanitären» Aspekten der Kampagne gegen Libyen


Aus der Sicht eines papierlosen Ausländers in der Schweiz oder einem beliebigen anderen Schengenland müssen Freiheit und materielle Lage, welche die festgehaltenen Schweizer in Libyen geniessen, als beneidenswert erscheinen.

Die Schweizer Geiseln in Tripolis

Der Anspruch der Schweiz als Hüterin von humanitären Werten hat stark gelitten, und wir rechnen nicht damit, dass schon die ganze geschichtliche Wahrheit über sämtliche tiefen Verwicklungen der Schweiz in verschiedene dunkle und dunkelste Kapitel heraus ist. Aber die Schweizer Medien wirken sehr überheblich gegenüber Libyen, und finden sich aktivlegimiert, um Libyen speziell auf dem Feld der Menschenrechte herauszufordern.

Eine völlige Übertreibung zeigt sich in der dramatisierenden Story vom ungewissen Schicksal von zwei Schweizer Geschäftsleuten, die als “Geiseln” bezeichnet werden. Diesen Herrschaften geht es materiell gut, sie dürfen sich in Libyen frei bewegen und wohnen in der Schweizer Botschaft. Aber sie sind offenbar illegal geschäftstätig, da sie bloss über Touristenvisa verfügen. Das ist nach libyscher Darstellung der Grund, weswegen sie nicht vor dem Gerichtstag ausreisen dürfen.

Wenn wir die Lage der beiden “Geiseln” als Massstab nehmen, dann sieht sich ein papierloser Ausländer hierzulande vermutlich ganz anderen Einschränkungen und Bedrohungen ausgesetzt als die beiden in Tripolis. Hier in Europa ist er bei jedem Schritt bedroht und erlebt er eine wahrhaftige Jagd, die mit polizeilichen Fangquoten (Madrid) und Pogromen (Italien) organisiert wird. Aus der Sicht eines papierlosen Ausländers in der Schweiz oder einem beliebigen anderen Schengenland müssen Freiheit und materielle Lage, welche die festgehaltenen Schweizer in Libyen geniessen, als beneidenswert erscheinen.

Zur Bedeutung der gegen Hannibal Gadhafi erhobenen und zurückgezogenen Anschuldigungen

Anlass der Spannungen zwischen Libyen und der Schweiz war die Tatsache und die Umstände der Verhaftung Hannibal Gadhafis und seiner Frau im Juli 2008 in Genf.

Die Genfer Behörden begründeten ihr Vorgehen mit Anzeigen oder Zeugenaussagen, die das Ehepaar Gadhafi belasteten. Durch Rückzug und Desinteresseerklärungen sind diese Anzeigen wegen Misshandlung von Hausangestellten inzwischen juristisch vom Tisch. Mit diesen wird sich auch das von beiden Staaten eingesetzte Schiedsgericht nur indirekt zu befassen haben, zum Beispiel wenn die libysche Seite Gadhafi es nötig findet, sich von diesen Vorwürfen zu reinigen und Material vorweisen kann, das die Vorwürfe entkräftigt.

Einige Schweizer Medien stellen die Sache so dar, als seien die Rückzüge der Anzeigen durch libyschen Druck erfolgt. In diesem Zusammenhang wird auch behauptet, dass Familienangehörige der Anzeigesteller in Libyen als Geiseln gehalten würden. Andere Quellen besagen, dass sich diese Familienangehörigen erst nach den Genfer Vorfällen und aus freien Stücken nach Libyen begeben haben und wieder ausgereist sind. Der von Libyen mandatierte Genfer Anwalt Charles Poncet verweist auf die Möglichkeit, dass die Anzeigen erlogen und die zum Beweis gezeigten Verletzungen eigenhändig zugefügt wurden. Als Tatmotiv käme die Aussicht auf eine Asylaufnahme in der Schweiz in Betracht.

Uns interessiert hier nicht der in den Anzeigen behauptete Tathergang, sondern die Frage nach der politischen Bedeutung und Einordnung der erhobenen Vorwürfe. Und dabei wir stellen wir fest, dass sich kaum ein einziges der Medien ernsthaft dem Problem der Ausbeutung von Hausangestellten widmet; dieses Problem ist gerade recht als Vorwand für Kampagnen gegen Libyen.

Die Schweizer Medien liefern der Genfer Polizei brav Feuerschutz mit Darstellungen über die besondere Gewalttätigkeit und Gefährlichkeit des Hannibal Gadhafi. Die Medien sprechen dabei von der kulturimperialistischen Warte eines Landes, das den Namen von Recht und Menschlichkeit für sich in Anspruch nimmt, um Kreuzzüge oder Missionen ins rückständige Afrika zu führen.

Kampf um eine humanitäre Schweiz und runter vom hohen Ross

Der Kampf gegen Rassismus, Fremdenhass und Rücksichtslosigkeit gegen Immigranten bildet seit Jahrzehnten eine Daueraufgabe des gesamten fortschrittlich-demokratischen Lagers. Serienweise Brandstiftungen von Asylunterkünften, kriminelle Anschläge gegen Ausländer bestimmter Herkunftsländer und die Asylabweisungs- und Ausschaffungspraktiken unseres Landes haben Elend und Tod in manche Familie gebracht.

Und dieses durch Rassismus und Fremdenhass hervorgerufene Elend wird alldem Leid hinzugefügt, das die hoch entwickelten kapitalistischen Konzerne und ihre Staaten in der Welt allein aufgrund ihrer politischen und wirtschaftlichen Rolle verbreiten, ohne sich in bei der Wahl ihrer Mittel durch Respekt vor den Menschenrechte und der menschlichen Würde hindern zu lassen. Niemand zur Linken wird bestreiten wollen, dass die Schweiz ein Land ist, das gewissen gesellschaftlichen Gruppen, darunter auch den Bürgern bestimmter Staaten, oft genug die Einhaltung der mindesten Anstandsregeln verweigert.

Solange wir im Kampf um eine humanitärere Schweiz keine wesentlichen Fortschritte erzielen, sollten sich die Schweizer vom hohen Rosse herab bemühen, wenn sie mit Libyen oder anderen Ländern über humanitäre Fragen diskutieren.

Regularisierung des Status von papierlosen Ausländern!

Die Misshandlung von Botschaftsangestellten beschränkt sich nicht auf die Schweiz als Tatort, und die Täterschaft lässt sich nicht auf die Diplomaten eines einzelnen Staates oder einer bestimmten Staatengruppe eingrenzen. Dieses Problem muss – getrennt vom behaupteten Einzelfall, der mit Emotionen medial aufgepumpt wurde – mit den am besten geeigneten Mitteln gelöst werden. Von der Diplomatie selbst eine Lösung zu erwarten, wäre zu optimistisch. Der einzige gangbare Weg besteht in einem Bündel von allgemeineren (nicht auf Botschaften beschränkten) Massnahmen, die mindestens für die Schweiz kurzfristig Aussicht Abhilfe bringen könnten, darunter:
  • Die völlige Regularisierung des Status von papierlosen Ausländern
  • Aufhebung aller Bestimmungen, welche die Freiheit des Stellenwechsels behindern
  • Erlass von verbindlichen Schutzbestimmungen gegen Überausbeutung und Unterdrückung von Hausangestellten (durch Gesetz, Normalarbeitsvertrag usw.)

Leider verfolgt der Bundesrat in der Ausländerpolitik, in der Arbeitsmarktpolitik und generell gerade eine gegenteilige Politik, die Politik der schrittweisen Entrechtung der Werktätigen. Ein sprechendes Beispiel ist die im Nationalrat hängige Änderung der Arbeitslosenversicherung, welche das Lohndumping massiv verschärfen würde. Auch in der ALV werden neue Kategorien mit minderem Rechtsstatus ausgesondert; und die sogenannten “arbeitsmarktlichen Massnahmen” des Arbeitslosenversicherungsgesetzes erweisen sich als amtliche Handhabe, um immer mehr Leute dort hinunter zu befördern.

(mh/06.09.9009)


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