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Nachlese zu den Wahlniederlagen in der Westschweiz

Zum Urnen-Misserfolg der Einheitskasse titelte die PdA: Die Diskussion wurde nicht verstanden. Zur jüngsten Serie von Wahlniederlagen ist sofort die folgende Erklärung zur Hand: Es profitiert, wer Ängste bedient. Beide Erklärungen, so richtig sie sein mögen, lassen dennoch an Tiefe des Ansatzes vermissen. Dass die linken Parteien nicht mehr verstanden werden, trifft wohl zu. Die Gründe hierfür sind aber allgemeiner Natur und liegen weitgehend ausserhalb der jeweiligen Sachfragen, über die abgestimmt wird. Die Schwierigkeiten der Verständigung wurzeln nicht in den technischen Verzwicktheiten, wie sie rund um den vorgeschlagenen Systemwechsel in einer Krankenversicherung auftreten können.

Unter den Gründen für Niederlagen fehlt selten der Hinweis auf die überlegenen Mittel der Gegner. Der Hinweis ist wichtig, da er zur Einsicht beiträgt, dass demokratische Volksentscheide unter der Diktatur des Grosskapitals Warencharakter annehmen. Aber auch dieser Hinweis darf uns nicht genügen: die Arbeiterklassen und ihre Parteien hatten es von jeher einem finanziell weitaus überlegenen Gegner zu tun. Immer mussten sie dieses Handicap mit ausserfinanziellen Mitteln ausgleichen. Wir sollten bei der Analyse der Gründe von eigenen Misserfolgen einen Schritt weiter wagen und dabei zuallererst auch die eigene politische Praxis in die Untersuchung einbeziehen.

Auf jedem Weg zum Sieg stellen Rückschläge aller Art eine völlig natürliche Erscheinung dar. Das gilt auch für Wahlniederlagen. Manchmal ist der Popularitätsrückgang einer Partei gerade ein Zeichen ihrer Standhaftigkeit und ihres hohen Grades an Bewusstsein. Bekanntlich entfalteten die Bolschewiki 1917 in Umsetzung von Lenins Aprilthesen eine Kampagne gegen die Fortsetzung des imperialistischen Kriegs durch die bürgerliche Regierung. Dabei wurden ihre Redner oft vom Podest heruntergeholt und verprügelt. Der vorübergehende Verlust an Einfluss auf die Massen schlug aber schon innert weniger Monate in sein Gegenteil um. Die Arbeiter, Bauern und Soldaten begannen den Betrug zu durchschauen und strömten nun massenweise ins Lager Lenins.
Für die jüngste Reihe von kantonalen und kommunalen Wahlniederlagen der PdA in der Westschweiz (und im Tessin) wüssten wir allerdings keine ähnlich ruhmreiche Erklärung zu bieten. In Waadt und Genf ist die PdA ein enges Wahlbündnis mit trotzkistischen und anderen Linksgruppen eingegangen. Dieses Bündnis blieb aber weit unter den Wähleranteilen der PdA im Alleingang vor 4 Jahren, geschweige denn vor 8 Jahren, wo die PdA die wählerstärkste Partei in der Stadt Genf war. Der Name des linken Wahlbündnisses ist bezeichnend: «A Gauche Toute (AGT)». Als Logo wird das Sternmännchen des «Bloco da Esquerda» (Linksblock) verwendet, eines buntgescheckten Ritterordens, welchem der Fürst Fausto Bertinotti als Padrone der EU-Linkspartei das Land Portugal zum Lehen anvertraut hat, und der vor allem durch eine Gemeinsamkeit zusammengehalten wird, und zwar durch die Feindschaft gegenüber der kommunistischen PCP. Die Architekten des helvetischen Wahlbündnisses AGT sehen darin aber bloss das Gerüst zum Bau einer Linkspartei à la Bertinotti. Der gescheiterte Waadtländer Regierungsratskandidat, Theologe und Nationalrat Zisyadis ist Wortführer dieses neuen Tempelbaus. Seine Vorstellungen zur Liquidation der Partei setzte er passenderweise unter ein Gorbatschow-Zitat. Und garnierte dieses Thesenpapier vom 18. Juni 2006 mit solchen Geistesblitzen wie:

«Im Rahmen von AGT könnte sich die Identität der PdAS durch folgende Ziele/Absichten auszeichnen: … 4. Unseres antiproduktivistisches Ziel. …».[1]

Im gleichen Papier wetterte Zisyadis gegen die neue Ausrichtung des «Vorwärts» und rief zur Unterstützung eines Projekts für ein Konkurrenzblatt der alten antikommunistischen Redaktion auf. Der gebildete Mann scheute sich dabei nicht, von Krankheitserregern zu sprechen, und eröffnete dann in dieser Buchhaltung ein heilbringendes Gegenkonto, wo er sich ausser seiner selbst auch Bertinotti verbuchte. Für weit geringere Parteischädigung sind verdiente Genossen schon aus Arbeiterparteien ausgeschlossen worden. Bei einem Zisyadis muss man ein Auge zudrücken und das andere offen behalten, während man auf seine Lernfähigkeit setzt. Immerhin hat seine Unterschrift (als Vorstandsmitglied der EU-Linkspartei) unter einen Appell zur Solidarität mit Senator Turigliatto einen gewissen Seltenheitswert. In der bekannten Stellungnahme der PdA Bern finden wir einen Solidaritätsgruss an die italienischen Genossen, die den Kampf unbeirrt fortsetzen, aber es vermeidet, den Senator in einem Atemzug mit Liebknecht zu nennen.

Die Wahlniederlagen in Waadt und Genf sind zu werten als Indiz für eine lähmende Verunsicherung innnerhalb der PdA selbst und auch Indiz für eine Verunsicherung der Wählerschaft in bezug auf eine PdA, welche immer mehr davon abkommt, unter eigenem Namen und Banner und mit eigenem Programm aufzutreten. In diese Richtung weist auch eine erste Einschätzung der PdA Genf, wo nach dem Kampf um die städtischen Rathäuser auch die kantonalen Wahlen bevorstehen. In der Westschweiz konzentrieren sich die Kritiken besonders auf die übertriebene Personalisierung rund um Josef Zisyadis in der Waadt. Hier die Stimmen von zwei Ex-Präsidenten der PdA Schweiz, die in Erinnerung rufen, wozu eine Arbeiterpartei existiert:
«Ich habe den Eindruck, dass AGT eine Wahlmaschinierie ist, ohne wirklichen Ausdruck eines politischen Bewusstseins; unsere vorderste Mission ist aber gerade, das Bewusstsein der Leute für ihr Lage zu heben.» (Alain Bringolf)[2]

«Wir müssen politisch auftreten, denn die Veränderung zwingt zu eine andauernden Information und Kommunikation unter den Leuten. Die Personalisierung einer Kampagne, das ist nicht unsere Teetasse. Von uns erwartet man nicht, dass wir es anderen gleichtun. Der Elitismus ist eine Waffe der Bourgeoisie …» (Jean Spielmann) [3]

Die Wahlniederlagen sind ferner Ausdruck der Schwäche einer Partei, die sich zu so zentralen Fragen wie Imperialismus, Antikommunismus, internationale Solidarität nicht eindeutig und vernehmlich äussert, und deren namhafte Vertreter immer noch nicht einsehen und offen aussprechen, dass sie bei ihren Anflügen von EU-Begeisterung die Opfer von Fehleinschätzungen und Täuschungen geworden waren. Man könnte auch von einer ideologischen Blindheit oder Erstarrung sprechen, bis hin zur Anbetung all dessen, was in die kosmopolitische Schablone passt und als Inbegriff des Internationalismus missverstanden wird. Die Lohnabhängigen begreifen hingegen sehr wohl, dass der derzeitige Generalangriff auf alle ihre Rechte einen inneren Zusammenhang aufweist zur weltweiten Offensive des Imperialismus, zum Verschwinden eines starken sozialistischen Weltlagers und zur Stärkung von EU, Nato, WTO und anderen Herrschaftsinstrumenten des Monopolkapitals. Die Lohnabhängigen merken am Postomat, in welche Richtung die von Brüssel aus zentral gesteuerten Direktiven an die einzelnen Staaten insgesamt laufen.

Wenn die PdA an Einfluss verliert, so sehen wir darin – über die vielfältigen lokalen Besonderheiten, unterschiedlichen Wahlmodalitäten, Personalfragen hinweg summiert und von allem zufälligen Krimskrams abstrahiert – eine weitere Bestätigung für einen europaweit feststellbaren Trend. Auch in der Schweiz wächst die Einsicht, dass jene Skeptiker Recht behalten werden, welche die EU von Anfang an als Europäische Union des Grosskapitals erkannt haben. Also wohin mit Wahllisten, auf denen sich EU-Gegnerschaft und Befürworterschaft gegenseitig die Waage halten und gegenseitig aufheben? Die Frage wird sich von selbst weiter zuspitzen, je mehr die EU ihren imperialistischen, arbeiterfeindlichen Charakter offenbart. Viele Genossen werfen die Frage auf, warum unsere Partei unter den Unterzeichnern der Gemeinsamen Erklärung zum 50. Jahrestag der EWG fehlt, die auf Initiative der PCP von vielen Kommunistischen und fortschrittlichen Parteien Europas beschlossen wurde. Je eher die Parteiaktivisten die Gefahren erkennen, die unserer nationalen Souveränität und der Souveränität aller Völker von Brüssel her droht, umso näher sind sie der Lösung des Problems, nämlich Überwindung der Kluft, durch welche sie sich von den Massen abgesondert haben. Wie schon die Alten sagten, sind Wahlen ein Gradmesser. Wahlresultate widerspiegeln auch den Reifegrad der Bewegung und damit eine Grösse, in deren Ermittlung wiederum Wirkungsweise und Wirkungsgrad der organisatorischen, ideologischen usw. Parteiarbeit auf die Massen einfliessen. Dort wo die Massen vorauseilen, und die Partei sich teilweise im Nachtrab befindet, vertauschen sich die Rollen. Dann müssen wir gründlich an der innerparteilichen Reifung von allen Fragen arbeiten, die das Verhältnis zwischen Internationalismus und Verteidigung der nationalen Souveränität betreffen, und wir sollten unsere Stellung über diese Fragen so einfach und praxistauglich wie möglich formulieren.

Der Trend, dass sich vormals stolze Arbeiterparteien in nichts auflösen, setzt sich auch in Frankreich fort. Die Kandidatin der KP erhielt in der 1. Runde der Präsidentschaftswahlen 1,9 % der Stimmen. Vor Jahrzehnten erreichten die KP-Kandidaten den zehnfachen Anteil. Der Absturz war zwangsläufig, und die Quittung der Wähler für die Kandidatin Buffet war notwendig. Sie hat sich im Wahlkampf vor allem durch Angriffe auf das sozialistische Kuba hervorgetan.

(03.04.2007/mh)
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Anmerkungen:

1 Vollständige Parteitagsmappe 2006 online bei Neue PdA (Politik/Parteitag). Dort auch das Liquidationspapier: Zisyadis/Huguenin: Keine Zukunft für die PdAS

2 Bringolf: «J’ai l’impression que AGTÂ ! est une machine électorale sans conscience politique réellement exprimée; or, notre mission première est de rendre les gens conscients de la situation.» (Quelle: http://www.gauchebdo.ch/ )

3 Spielmann: « Nous devons parler politique, sans cesse, parce que le changement impose une information, une communication permanente des gens. La personnalisation d’une campagne, ce n’est pas notre tasse de thé. Nous ne sommes pas censés faire comme les autres. L’élitisme est l’arme de la bourgeoisie…» (Quelle: http://www.gauchebdo.ch/ )